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Schönbergs Zwölftonmusik: Von freier zu gebundener Atonalität

Was ist so revolutionär an Schönbergs Musik?

Arnold Schönbergs (1874–1951) Form von neuer Musik – Atonalität und daraus folgend die Zwölftontechnik – zerbricht jede Harmonie, löst jede tonale Bindung auf, so wie sich in der Malerei das Gegenständliche auflöst. Sie provoziert in ihrer revolutionären Ausdrucksgestik Hörerlebnisse, deren Verständnis sich das Publikum, fern jeder Kulinarik, geduldig erarbeiten muss.

Wie war das Echo in der Öffentlichkeit?

Die Kritik reagierte so unterschiedlich wie das Publikum in der Berliner Philharmonie bei der Uraufführung der »Variationen für Orchester« von Arnold Schönberg am 2. Dezember 1928. Von »Empörung über die erlittenen Qualen« und der »musikalischen Mathematik eines von einer verstiegenen Idee Besessenen« sprach man, andere rühmten »die Fantasie, mit der sich Schönberg seine eigene Welt aufbaut«, und erklärten trotzig: »Die Hörer sind es, die sich als Prüflinge fühlen müssten, ob sie vor dem Werk bestehen.« Kein Zweifel, dieses op. 31, Schönbergs erste zwölftönige Orchesterkomposition, war in jeglichem Sinne »unerhört«.

Was versteht man unter freier Atonalität?

Freie Atonalität heißt: Der Gegensatz zwischen Konsonanz und Dissonanz wird durch ein Kontinuum von verschiedenen Sonanzgraden aufgehoben, der Bezug auf einen Grundton geht verloren, womit neue Ausdruckswerte freigesetzt werden; Töne und Klänge stehen in einer neuen, nicht wiederholbaren Beziehung. Schönberg kam etwa ab 1907 zur freien Atonalität, indem er die Spätromantik gleichsam zu Ende dachte, unter anderem in seinen »Gurre-Liedern«. Wie kein Zweiter hat Arnold Schönberg zu Beginn des 20. Jahrhunderts diesen Prozess in Gang gesetzt und vorangetrieben, und zwar mit einer Radikalität, die sich weder von Diffamierung noch von Ausgrenzung beeindrucken ließ.

Wie gelang der Übergang von der freien zur gebundenen Atonalität?

Durch die Zwölftontechnik. Zunächst waren, wie Schönberg notierte, »alle Schranken einer vergangenen Ästhetik durchbrochen«– und alle Fragen der neuen musikalischen Ästhetik ungelöst. Wie sollte die freie Atonalität die traditionellen Formstrukturen der Tonalität ersetzen? Wie sollten sich in dieser Art neuer Musik sinnstiftende Zusammenhänge entwickeln lassen? 1923 gab Schönberg mit der Zwölftontechnik (Dodekaphonie) die Antwort. Kompositionen »mit zwölf nur aufeinander bezogenen Tönen« überführten die freie Atonalität in eine gebundene. Das geistige Zentrum dieser neuen Musik war unter Schönbergs Patronat die so genannte Zweite Wiener Schule mit Alban Berg, Anton von Webern und Egon Wellesz als ihren Hauptvertretern.

Wie funktioniert die Zwölftontechnik?

Jeder in Zwölftontechnik komponierten Partitur liegt eine Reihe zugrunde, die jeden Ton der zwölfstufigen temperierten Tonleiter in beliebiger Oktavlage einmal enthält. Auswahl und Anordnung einer Reihe stehen im Belieben des Komponisten. Da jeder der zwölf Töne der Tonleiter zum Ausgangspunkt einer Reihe werden kann, ergeben sich zwölf Reihen, von denen jede einzelne wiederum vier Erscheinungsmöglichkeiten (Modi) hat – Originalgestalt, Umkehrung, Krebs und Krebsumkehrung –, sodass insgesamt 48 Reihenformen möglich sind. Funktion einer Reihe ist es, die Einheitlichkeit und Zusammenhänge einer Komposition und damit ihre Struktur zu gewährleisten. Deshalb werden alle Themen, Motive, Klänge aus der gewählten Reihe abgeleitet. Dabei bestimmt die Idee der Komposition in gleichem Maße die Wahl der Reihe, wie die Reihe die Komposition bestimmt.

Wie sind die »Variationen für Orchester« angelegt?

Aus einer Introduktion entwickelt sich das Variationsthema, das sich aus verschiedenen Motiven zusammensetzt, unter anderem einem B-A-C-H-Motiv, das als Hommage an den zeitlebens verehrten Barockmeister gewählt ist. Der Exposition des 24-taktigen Themas, in der die Reihe in ihren vier Erscheinungsformen erklingt, folgen neun Variationen sowie ein Finale. Diese Variationen unterscheiden sich rhythmisch und klanglich beträchtlich, wobei die Besetzung zwischen großem Orchester und kammermusikalischen Ensembles wechselt. Erst im Finale entfaltet das B-A-C-H-Motiv der Introduktion und der zweiten Variation seine volle Wirkungskraft. Es wird rückläufig und transponiert verwendet, mit anmutigen Grazioso-Motiven kombiniert und als Umkehrkanon vorgestellt.

Warum ist nicht das Wie, sondern das Was wichtig?

Weil die »Machart« nicht die künstlerische Qualität erschließt, so kompliziert und komplex sich eine Partitur auch ausnimmt. Arnold Schönberg wurde denn auch nicht müde zu betonen, dass es ganz allein darauf ankomme, »was es ist!!«. Was aber ist es, dieses Werk? Ganz unzweifelhaft ein Mirakel an polyphonen Bezügen, in denen sich der Gestaltungsreichtum eines schöpferischen Geistes auf neue, ungewohnte Weise offenbart.

Wussten Sie, dass …

Schönberg eine Spielvariante für vier Schachspieler mit einem erweiterten Brett und 36 Figuren entwickelte?

der Begriff »atonal« nicht auf Schönberg zurückgeht? Er selbst lehnte ihn ab und zog »atonikal« vor.

War Arnold Schönberg ein Universalgenie?

Die Palette von Arnold Schönbergs Begabungen war breit gefächert: neben seiner kompositorischen Tätigkeit malte er und versuchte sich auch als Erfinder. Schönberg wurde am 13.9.1874 in Wien geboren. Er nahm zwar Kompositionsunterricht, brachte sich seine Kenntnisse aber weitgehend autodidaktisch bei. Waren seine Anfänge noch spätromantisch geprägt, so sind seine Werke ab etwa 1908 in das traditionelle Dur-Moll-System nicht mehr einzuordnen. Nach einer Phase der freien Atonalität entwickelte er 1923 mit der Zwölftonmusik ein neues kompositorisches Regelwerk, das in der Folgezeit von Schülern begeistert aufgenommen wurde. 1933 emigrierte er als Jude über Paris in die USA, wo er weiter komponierte und unterrichtete. Er starb am 13.7.1951 in Los Angeles.

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