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Sozialdemokratie und Konservativismus: Verändern oder bewahren

Was ist Sozialismus?

Der im 19. Jahrhundert entstandene Sozialismus stellt das Wohl der Gemeinschaft über das des Einzelnen. Zu seinen obersten Zielen gehören soziale Gerechtigkeit und Gleichheit.

In der Frühphase des Kapitalismus besaßen die Lohnarbeiter keine Lobby: Über Arbeitsbedingungen und Arbeitszeiten bestimmte der Unternehmer. Die sozialistische Bewegung verstand sich als Interessenvertretung des Massenproletariats. In Großbritannien bildeten sich Mitte des 19. Jahrhunderts die ersten Gewerkschaften; dort verfassten Karl Marx und Friedrich Engels auch die theoretischen Grundlagen des Sozialismus und Kommunismus.

Was erreichten die Sozialdemokraten?

Die Sozialdemokratie forderte die Emanzipation der Arbeiterschaft und setzte soziale und politische Verbesserungen für die Arbeiter, Kinder- und Arbeitsschutzbestimmungen, verkürzte Arbeitszeiten sowie das allgemeine, freie und gleiche Wahlrecht und den allgemeinen Zugang zu Bildungseinrichtungen durch.

In Deutschland verhinderten aber u. a. die Konflikte zwischen der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) und der SPD ein gemeinsames Vorgehen gegen den Nationalsozialismus. 1933 wurden SPD und KPD verboten.

Wo steht die Sozialdemokratie heute?

Nach 1945 stieg die Sozialdemokratie in Westeuropa zur Massenbewegung auf, die sich – im Gegensatz zu den sozialistischen Parteien – zu Pluralismus, liberalen Grundrechten und sozialer Marktwirtschaft bekannte. In Deutschland vollzog die SPD den Schritt von der Arbeiter- zur Volkspartei mit dem Godesberger Programm 1959. Zehn Jahre später stellte sie mit Willy Brandt (1913–92) erstmals den Bundeskanzler. Zum »Musterland« der Sozialdemokratie entwickelte sich Schweden, das einen umfassenden Wohlfahrtsstaat aufbaute.

Im Zuge der wirtschaftlichen Globalisierung waren sozialdemokratische Grundsätze wie staatliche Wohlfahrts- und Arbeitsprogramme seit den 1990er Jahren immer weniger zu finanzieren. Da auch die Arbeiterschaft in den modernen Industriestaaten immer kleiner wurde, strebten viele sozialdemokratische Parteien – wie die britische Labour Party – der politischen Mitte zu.

Seit wann gibt es Konservative?

Der Konservativismus entstand im späten 18. Jahrhundert als Abwehrbewegung gegen die Ziele der Französischen Revolution.

Die entscheidenden Impulse gab der britische Publizist und Politiker Edmund Burke (1729–97), der sich vor allem dafür einsetzte, die bestehenden Herrschafts- und Besitzverhältnisse nicht zugunsten eines stärkeren sozialen Ausgleichs preiszugeben. Da der Kapitalismus auf privaten Verträgen zwischen Individuen aufgebaut und so dem Einfluss eines Herrschers weitgehend entzogen war, galt auch er den Konservativen zunächst als Bedrohung.

Wie sahen die frühen Konservativen den Staat?

Dem Staat kam in dieser Anschauung die Aufgabe zu, die herrschenden Machtstrukturen zu bewahren.

In Deutschland schuf der Staatstheoretiker Karl Ludwig von Haller (1768–1854) den Begriff des Patrimonialstaats, eines patriarchalischen Staatsgebildes, das auf dem Christentum basierte und besonders in Preußen Rückhalt fand. Konservative Vordenker aus den romanischen Staaten räumten dem Einfluss der Kirche auf den Staat einen besonderen Stellenwert ein und lehnten jede politisch-soziale Emanzipation des Volkes ab.

Wie veränderte sich der Konservativismus?

Im Kampf gegen die Arbeiterbewegung und für den Imperialismus näherten sich Liberalismus und Konservativismus gegen Ende des 19. Jahrhunderts an. In Deutschland standen die konservativen Parteien der Weimarer Demokratie überwiegend ablehnend gegenüber, was zum Scheitern der jungen Republik beitrug.

Seit 1945 prägen konservative Parteien in vielen europäischen Staaten die Politik, so in Großbritannien und in Italien. In den Programmen dieser Parteien fanden sich nun auch die einst bekämpften liberalen Grundrechte wieder. Stabilität, wirtschaftlicher Aufschwung und enge Anlehnung an den Westen lauteten die Kernpunkte der deutschen CDU, die zur führenden demokratischen Volkspartei aufstieg und durch den Aufbau der sozialen Marktwirtschaft auch den sozialen Frieden sicherte.

Sind Sozialismus und Demokratie vereinbar?

In der Praxis bislang nicht. Die sozialistischen »Volksdemokratien« waren faktisch Diktaturen, in denen es eine unabhängige Rechtsprechung ebenso wenig gab wie freie Wahlen und Meinungsfreiheit.

Als 1917 im Zuge der Oktoberrevolution in Russland die Theorie einer sozialistischen Demokratie in die Tat umgesetzt werden sollte, verselbständigten sich die Strukturen der Partei. Als Machtintrument einer kleinen Herschergruppe untergruben sie die – auch von Marx geforderte – Freiheit des Einzelnen.

Sind Sozialdemokraten Sozialisten?

Nein, schon lange nicht mehr. Anfangs kämpften die Arbeiterparteien sowohl gegen katastrophale Arbeitsbedingungen als auch für die Überwindung des Kapitalismus, also gleichermaßen für Reformen und eine Revolution. Dies ist z. B. abzulesen am Erfurter Programm der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) von 1891. Soziale Zugeständnisse erforderten die Kooperation mit der kapitalistisch-bürgerlichen Ordnung. Als führende europäische Sozialdemokraten schließlich 1914/15 gegen die Sozialistische Internationale und für den Ersten Weltkrieg stimmten, zerfiel die Arbeiterbewegung in ein sozialistisches und ein sozialdemokratisches Lager.

Was heißt konservativ?

Die Sicherung der bestehenden Verhältnisse ist seit jeher die Maxime der Konservativen. Im Gegensatz zu reaktionären Bewegungen steht der Konservativismus einem Wandel durch zeitgemäße Reformen auf Basis gewachsener Traditionen und innerhalb der bestehenden Ordnung aber nicht negativ gegenüber: »Verändern um zu bewahren« lautet ein Grundmotiv des modernen Konservativismus.

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