Wissensbibliothek
Wespen und Hornissen: Künstlerinnen am Bau
Was verstehen Biologen unter dem Begriff »Wespe«?
Eine vielschichtige Gruppe von Insektenarten, die weit mehr als nur die Gemeine Wespe und die zu Unrecht gefürchtete Hornisse aufzuweisen hat. Fachsprache und Alltagssprache klaffen weit auseinander: Spricht der Laie von Wespen, so meint er meist nur einen kleinen Ausschnitt aus dem gesamten Artenspektrum, nämlich die Unterfamilie der Echten Wespen, die – mit zehn weiteren Unterfamilien – zur Familie der Faltenwespen (Vespidae) gehört. Diese Familie wird zur Unterordnung der Taillenwespen (Apocrita) gezählt, deren Hinterleib durch die sprichwörtliche Wespentaille von der Brust abgesetzt ist. Im Folgenden sollen uns nur die Faltenwespen und die Familie der Grabwespen (Sphecidae) interessieren. Beide sind im Garten oder in der freien Natur gut zu beobachten – und wer nicht hektisch um sich schlägt und keinem Nest zu nahe kommt, hat von dem charakteristischen Giftstachel wenig zu befürchten.
Betreiben Wespen Brutpflege?
Nur wenige Arten. Von den weltweit etwa 3000 bekannten Faltenwespenarten leben die meisten solitär und legen für ihren Nachwuchs lediglich bei der Eiablage Vorräte an. In einigen tropischen Gattungen treten Mischformen mit teils bloßer Brutfürsorge, teils schon echter Brutpflege auf: Ist die Futtersituation gut, so wird die Brutkammer mit Vorräten bestückt und dann endgültig verschlossen. Herrscht bei der Eiablage hingegen Nahrungsmangel, so kehrt das Weibchen immer wieder mit neuen Futterraupen zu den Larven zurück.
Die Weibchen anderer Arten geben sich mehr Mühe: Sie füttern die Larven sogar mit vorher zerkauter Nahrung. Dieses Brutpflegeverhalten könnte die Vorstufe zur Staatenbildung gewesen sein. Denn die einfachsten Wespenstaaten dürften dadurch entstanden sein, dass die ersten fertigen Jungtiere das Nest nicht mehr sofort verließen, sondern der Mutter bei der Pflege des weiteren Nachwuchses halfen.
Gibt es auch bei den Wespen Königinnen und Arbeiterinnen?
Ja, ähnlich wie bei den Bienen herrscht bei den Wespen ebenfalls Arbeitsteilung. Wenngleich auch in Mitteleuropa mehr als 80 Prozent der Arten solitär leben, sind doch die Vertreter der Staaten bildenden Arten wesentlich bekannter; sie bilden die Unterfamilie der Sozialen Faltenwespen (Vespinae). Die Königin ist oft etwas größer als die Arbeiterinnen, hebt sich aber vor allem durch ihr dominantes Verhalten von ihnen ab. Auch die Männchen, die aus unbefruchteten Eiern entstehen, sind etwas größer als die Arbeiterinnen. Diese aus befruchteten Eiern schlüpfenden Tiere übernehmen je nach Alter und Größe verschiedene Aufgaben: anfangs meist die Fütterung der Larven, dann die Beschaffung von Baumaterial und Wasser, schließlich die Nestverteidigung. Die Arbeitsteilung ist jedoch nicht fest vorprogrammiert, sondern wird nach Bedarf geregelt.
Übrigens: Die Jungköniginnen schlüpfen gegen Ende des Sommers und begeben sich nach der Begattung durch Männchen aus dem eigenen oder einem fremden Nest in ein Winterquartier, das sie z. B. in morschem Holz, in Mauerritzen oder in Scheunen finden. Alle anderen Tiere eines Volkes sterben im Herbst. Im Frühjahr stärken sich die Königinnen einige Tage mit Nektar, bauen dann an geeigneter Stelle ein neues Nest, das zunächst aus nur wenigen Zellen besteht, und versorgen die ersten Larven selbst mit Fleisch. Nach etwa 40 Tagen schlüpfen die ersten Arbeiterinnen aus ihren Puppenkokons. Als Folge der »schlechten Personalsituation« – es gibt ja noch keine Arbeiterinnen – sind sie besonders klein.
Woraus besteht ein Wespennest?
Im Grunde genommen besteht das Wespennest aus Papier. Feldwespen (Unterfamilie Polistinae) und Echte Wespen (Unterfamilie Vespinae), zu denen Hornissen sowie Kurzkopf- und Langkopfwespen gehören, stellen ihr Baumaterial aus sog. vergrautem Holz her. Dieses findet sich an der verwitterten Oberfläche von Brettern, Masten und Ähnlichem und enthält kein Lignin mehr, sondern nur noch Cellulose. Indem sie den Kopf seitwärts schwenkt und dabei rückwärts geht, schabt die Wespe die Fasern des Grauholzes mit ihren Oberkiefern ab. Aus Holzfasern und Speichel bildet sie Klümpchen, die an Pappmaché erinnern. Zu Hause im Nest zieht die Wespe an einer unfertigen Kante einer Wabenzelle oder auch an der äußeren Kante des Nests die Fasern auseinander und fügt sie an den Rand an. Wenn das Material aus verschiedenen Quellen stammt und daher leicht unterschiedlich gefärbt ist, ergibt sich dadurch ein Streifenmuster. Durch kräftiges Einspeicheln wird die Oberfläche schließlich noch gefirnisst, so dass das Nest bis zum Herbst der Witterung standhält.
Haben Wespennester mehrere Geschosse?
Wenn man es genau nimmt, ja! Die mitteleuropäischen Wespenarten bauen v. a. mehrstöckige Nester, die mit einem Innenskelett versehen sind: Mit einem Stiel wird die erste horizontale Wabe – mit den Öffnungen nach unten – am Untergrund befestigt; ein zweiter Stiel verbindet sie später mit der nächsten, ebenfalls nur einschichtigen Wabe und so weiter. Zwischen den Waben und der Hülle, die allmählich auch nach unten ergänzt wird, bleibt ringsum ein Spalt, durch den die Tiere von einem Stockwerk ins nächste gelangen. Die Außenhülle ist oft aus mehreren Schichten aufgebaut und isoliert das Nest durch die eingeschlossenen Luftpolster hervorragend gegen Hitze oder Kälte. Das Flugloch zeigt stets nach unten oder zu der vom Wind abgewandten Seite. Soll das Nest vergrößert werden, wird eine innere Hülle ab- und eine neue Außenhülle aufgebaut. Dann werden neue Waben an die bestehenden angebaut.
Fliegen Hornissen Attacken gegen Menschen?
Nein, warum sollten sie das tun? Früher nisteten die am Kopf gelblichen, sonst eher schwarz und rotbraun gefärbten Hornissen (Vespa crabro) in hohlen Bäumen; seit diese in unseren Wäldern selten geworden sind, weichen sie auf Vogelnistkästen, Scheunen und Dachböden aus, was sie unweigerlich mit den Menschen in Kontakt und meist auch in Konflikt bringt. Dabei sind Hornissen weniger aggressiv als z. B. die kleinere Deutsche Wespe (Paravespula germanica) und als Insektenvertilger äußerst nützlich. Heute stehen sie unter Naturschutz.
Übrigens: Die Nester der Hornisse bestehen meist aus fünf Waben mit etwa 1500 Zellen, die aber nur von 400 bis 700 Tieren bewohnt werden und von einer rotbraunen, mehrschichtigen Hülle umgeben sind. Das Einflugloch einer Baumhöhle oder eines Starenkastens wird durch Lamellen aus Pappmaché verengt. In den Abfällen am Boden der Höhle gedeihen oft Fliegenmaden.
Töten sieben Hornissenstiche wirklich ein Pferd?
Nein, sicherlich nicht! Der Aberglaube, drei Hornissenstiche würden einen Menschen töten und sieben sogar ein Pferd, hält sich hartnäckig und hat wesentlich zur gnadenlosen Bekämpfung dieser schönen und zumeist wenig angriffslustigen Tiere beigetragen. Außer kurzfristigen starken Schmerzen hat man im Allgemeinen nicht viel zu befürchten, wenn man nicht ausgerechnet in die Zunge gestochen wird und durch die Schwellung keine Luft mehr bekommt oder aber gegen das Gift allergisch ist. (Diese sog. anaphylaktischen Schocks treten bei etwa fünf Prozent der Bevölkerung auf.) Bienengift wirkt etwa auf das menschliche Herz genauso stark wie das von Hornissen. Und Bienen sind – ebenso wie die kleineren Wespen, die so gerne unsere Kaffeetafeln und Grillplätze heimsuchen – wesentlich stechfreudiger als Hornissen. Die tatsächliche tödliche Dosis Wespen- oder Bienengift ist zum Glück sehr hoch: Immerhin 500 Bienen- und sogar 1000 Wespenstiche wären nötig, um einen gesunden Menschen zu töten – von einem Pferd ganz zu schweigen!
Wie lange lebt ein Hornissenvolk?
Nur einen einzigen Sommer. Im Herbst stirbt der gesamte Hornissenstaat bis auf die überwinterungsfähigen Jungköniginnen, d. h., die übrigen Individuen werden alle nur maximal ein halbes Jahr alt. Wie bei den anderen sozialen Faltenwespen ist die Staatengründung im Frühjahr mühsam, da die Königin die gesamte Arbeit zunächst allein erledigen muss. Sobald die ersten sieben bis zehn Arbeiterinnen geschlüpft sind – etwa sieben Wochen nach der ersten Eiablage –, geht es mit dem Aufbau des Volkes rascher voran, auch deshalb, weil sich die Entwicklungsdauer bei den nun sommerlichen Temperaturen auf gut vier Wochen verringert. Die hungrigen Hornissenlarven machen auf sich aufmerksam, indem sie mit den Oberkiefern geräuschvoll an der Zellenwand kratzen. Die Arbeiterinnen füttern sie zunächst mit Drüsensekreten, dann mit Insektenbrei; sie selbst nehmen nur Baum- und Obstsäfte zu sich. Die unteren, später erbauten Wabenzellen sind größer als die in den oberen Etagen. Aus ihnen schlüpfen im Hoch- und Spätsommer die Geschlechtstiere, von denen einige wenige den Winter überleben, um im kommenden Jahr neue Völker zu gründen.
Wie alt ist die Grabwespe und was zeichnet sie aus?
Die Familie der Grabwespen (Sphecidae) bevölkert schon sehr lange die Erde, denn da auf allen Erdteilen fast die gleichen Gattungen vertreten sind, müssen sie folglich schon vor der Teilung der Landmassen vor 100 Millionen Jahren entstanden sein. Anders als ihr Name vermuten lässt, graben nicht alle Vertreter der Familie Bodennester; manche Arten bauen ihre Kammern auch aus Lehm oder in Holzbretter und Pflanzenstängel.
Die meisten der in der ganzen Welt beheimateten Grabwespen sind schwarzgelb gezeichnet, es gibt aber auch viele andere Farben und Formen, so dass der Laie sie oft nicht als Familienmitglieder erkennt. Die geschickten Jäger sind jeweils auf ganz bestimmte Insekten fixiert; alle anderen potenziellen Beutetiere ignorieren sie – verblüffenderweise, denn ihre Larven entwickeln sich im Labor auch bei anderer Kost ganz normal.
Ist der Bienenwolf eine Biene oder ein Wolf?
Weder noch! Es handelt sich um die Grabwespenart Philanthus triangulum, deren Weibchen für ihren Nachwuchs Honigbienen fangen. Das etwa 16 Millimeter lange, schwarzgelb gezeichnete Tier, das durch seine kurzen Fühler auffällt, geht erst bei Temperaturen ab 25 °C auf die Jagd. Der Bienenwolf fliegt zunächst auf alles zu, was die Größe einer Biene hat, stellt sich dann rüttelnd in die Luft und prüft am Geruch, ob er das passende Opfer ausgesucht hat. Blitzschnell packt er die Biene und durchsticht, noch während beide als Knäuel zu Boden fallen, die dünne Haut einer Vorderhüfte. Er umklammert die Beute mit den Oberkiefern und Mittelbeinen und trägt sie in eine Brutkammer im Sandboden. Dort schließt er je drei gelähmte Bienen mit einem Ei ein; so bleiben die Opfer lange genug frisch, um die Larven zu ernähren.
Wie unterscheiden sich Bienen und Wespen?
Von der Honigbiene (Apis mellifica) lässt sich die Gemeine Wespe v. a. durch zwei Merkmale abgrenzen: Die Wespe hat eine intensive schwarz-gelbe Warnfärbung und ist nur schwach behaart, während die Biene deutlich mehr Haare aufweist und einen weniger auffällig gestreiften Hinterleib besitzt. Allerdings gibt es viele Bienen- und Wespenarten, auf welche dieses einfache Schema nicht zutrifft. So ist die Holzbiene schwarz und weniger behaart als die Dolchwespe und der Hinterleib der Sandwespe ist vorne rot und hinten schwarz.
Welche Wespe kann töpfern?
Die Pillenwespen (Gattung Eumenes): Sie töpfern für ihre Kinder eine Kinderstube. Die Weibchen sind über ihre Bemühungen, dem Nachwuchs Nahrung und Schutz mit auf den Weg zu geben, zu perfekten Töpfern geworden: Aus Lehm bzw. aus mit Speichel durchfeuchteter Erde bauen sie zierliche, höchstens haselnussgroße bauchige Urnen mit aufgesetztem Hals. Es heißt sogar, die Form dieser Bauten hätte die Indianer beim Design ihrer Tonkrüge inspiriert. Allein, zu zweit oder zu dritt kleben die Urnen an Pflanzen; jede wird zur Kinderstube für eine Pillenwespenlarve. Das Ei hängt an einem Faden frei im Hohlraum, in den die Mutter eine Reihe gelähmter Rüsselkäfer- oder Spannerlarven einträgt, bevor sie den Hals mit einem Lehmklümpchen verschließt.
Wussten Sie, dass …
ein hiesiges Volk von Kurzkopfwespen bis zu 10 000 Individuen umfassen kann, die mehrjährigen Nester tropischer Arten sogar bis zu 50 000 Zellen enthalten können?
die Nester von tropischen Wespenarten bei einem Durchmesser von knapp 0,5 Metern bis zu 75 Zentimeter hoch werden können?
die Hornisse mit vier Zentimetern Länge die größte Faltenwespe ist?
Biochemiker der Ansicht sind, dass man kaum eine schmerzhaftere Mischung zusammenstellen könnte als Hornissengift, das Serotonin, Acetylcholin und Histamin enthält?
60 Wespen in einer Stunde etwa 230 Fliegen erbeuten können?
Ein „Zuckerwatte-Planet“ gibt Geheimnisse preis
Warum besitzt der Exoplanet WASP-107 b so eine aufgeblähte Atmosphäre? Diesem Rätsel sind Astronomen nun durch neue Daten des James-Webb-Weltraumteleskops auf die Spur gekommen: Sie konnten die Zusammensetzung der Gashülle des Neptun-ähnlichen Planeten genauer aufklären und dabei vor allem einen sehr niedrigen Gehalt an Methan...
„Die Gefahren gehen vor allem von uns Menschen aus“
Der Soziologe Andreas Anton über die Notwendigkeit, sich auf den Kontakt mit Außerirdischen vorzubereiten. Das Gespräch führte RÜDIGER VAAS Herr Dr. Anton, ist Exosoziologie nicht Eskapismus angesichts von Kriegen oder Klimakatastrophen? Das eine schließt das andere natürlich nicht aus. Die großen Probleme der Welt sollten uns...