Mühsam kämpft sich die „Bavaria“ im Morgengrauen den Berg hinauf. Kurz nach Payerbach überquert sie das Tal und erreicht die erste Steilstrecke. Einen Meter Höhe auf 40 Meter Länge muss sie hier bewältigen – eine Leistung, die noch vor kurzem kaum jemand für möglich gehalten hätte.
Was am Fuße des Semmerings im August des Jahres 1851 stattfand, sollte die Geschichte der Dampflokomotive nachhaltig verändern. Vier Loks traten bei einem Lokomotiv-Wettbewerb gegeneinander an: die „Vindobona“ und die „Wiener-Neustadt“ aus Österreich, die „Bavaria“ aus Bayern und die „Seraing“ aus Belgien. Und sie sollten genug Kraft aufbringen, um Personenzüge über die höchste und steilste Gebirgs-Eisenbahnstrecke der Welt zu ziehen.
Dass diese Bahnstrecke – der Lückenschluss der Verbindung von Wien nach Triest – statt durch Westungarn über den Semmeringpass und die Obersteiermark geführt wurde, galt damals wie heute als kühnste technische Leistung dieser Zeit. Für die Trassierung und Planung wurde Carl Ghega verpflichtet, ein Ingenieur aus Venedig, der bereits mit siebzehn Jahren seinen Doktor in Mathematik gemacht hatte und schon in den 1830ern bei Bahn- und Straßenbauten Erfahrungen sammeln konnte. Ghega war kein Mann des Konventionellen, sondern suchte bei all den ihm gestellten Aufgaben nach dem Neuen. Er reiste gemeinsam mit dem Architekten Moritz Löhr nach England und in die USA, um die dort übliche Trassierung von Bergstrecken zu studieren. Zu dieser Zeit überwand man Gebirgsstöcke in Europa noch mittels Seilebenen – einem System, dem heute noch am ehesten die Standseilbahnen entsprechen. Auch für den Semmering projektierte Ghega unter anderem eine Seilrampe mit 36 ‰, seine favorisierte Variante für die Nordstrecke war jedoch eine Trasse mit bislang nie da gewesenen Steigungen und engsten Kurvenradien. Der auf 984 Metern Seehöhe liegende Semmeringpass sollte mit einem 1,4 km langen Scheiteltunnel unterfahren werden.
Die „Bavaria“ gewann übrigens den Lokomotiv-Wettbewerb von 1851, wenngleich sie erst nach Verbesserungen am Antrieb der Räder durch den Wiener Ingenieur Wilhelm von Engerth (1814-1884) in die Serienproduktion für die Semmeringbahn ging und als „Engerth-Lok“ bis in die 1930er nicht nur in Österreich im Einsatz stand.
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Fakten in Kürze
Kulturdenkmal | Erste Hochgebirgseisenbahn der Welt |
Kontinent | Europa |
Land | Österreich, Niederösterreich und Steiermark |
Ort | Bereich zwischen Gloggnitz und Mürzzuschlag |
Ernennung | 1998 |
Bedeutung | Meilenstein im Tunnel-, Brücken- und Eisenbahnbau sowie bedeutender Einfluss auf den Lokomotivbau der Mitte des 19. Jahrhunderts |
Zur Geschichte | 1841 Carl Ghega (ab 1851 Carl Ritter von Ghega) wird Baudirektionsadjunkt der Österreichischen Staatseisenbahnen und beginnt mit den Planungsarbeiten für die Semmeringbahn 1842 Südbahn von Wien bis Gloggnitz fertiggestellt 1844 Südbahn von Triest bis Mürzzuschlag fertiggestellt 1848 Nach der Niederschlagung der Märzrevolution Auftrag zum Bau, ab Sommer erste Arbeiten 1851 am 12. Juni wird der 1.428 Meter lange Richtstollen für den Scheiteltunnel durchgeschlagen 1853 erste Befahrung der gesamten Strecke durch eine Lokomotive am 23. Oktober 1854 am 16. Mai fährt Kaiser Franz Josef mit Ghega die Strecke ab, im Juli erfolgt die Freigabe für den Personenverkehr (keine feierliche Eröffnung, da sie nur als Teilstrecke der Südbahn galt) 1857 Eröffnung der gesamten Südbahnstrecke Wien – Triest am 27. Juli |
Literatur:
- Günter Dinhobl: Die Semmeringerbahn. Der Bau der ersten Hochgebirgseisenbahn der Welt, Wien 2003
- Wolfgang Kos (Hg.): Die Eroberung der Landschaft. Semmering – Rax – Schneeberg. Katalog zur Niederösterreichischen Landesausstellung. Schloß Gloggnitz 1992, Wien 1992
- Carl Asmus: Die Semmeringbahn. Die älteste Gebirgsbahn Europas, Fürstenfeldbruck 1991
- Richard Mauterer: Semmeringbahn. Daten, Fakten, Propaganda, Wien 1990