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Die Kluft im Gesundheitswesen:

Das Gesundheitssystem in Deutschland kann sich im internationalen Vergleich durchaus sehen lassen. Eine flächendeckende medizinische Versorgung und die gesetzlich verankerte Versicherungspflicht sorgen dafür, dass die Grundversorgung hierzulande gewährleistet ist. Trotzdem steht das deutsche Gesundheitssystem immer wieder in der Kritik. Der Grund dafür ist in vielen Fällen das Zweiklassensystem, das die Aufteilung in gesetzliche und private Krankenkassen mit sich bringt.

Die Güte der medizinischen Versorgung hängt immer mehr davon ab, wie der Patient versichert ist.

unsplash.com, impulsq

Die Kluft zwischen Leistungen der gesetzlichen und privaten Krankenkassen wird immer größer. Wer die Lücke für sich selbst und seine Angehörigen schließen möchte, kann aus einer großen Vielfalt an privaten Zusatzversicherungen wählen. Zahnzusatzversicherung, Krankenhauszusatzversicherung, Krankentagegeldversicherung, private Pflegeversicherung, Krebsvorsorgeversicherung und ambulanter Zusatzschutz haben seit Jahren Hochkonjunktur. Die private Absicherung im Krankheitsfall kann die Basisleistungen der gesetzlichen Krankenkassen sinnvoll ergänzen und Kosten und Risiken individuell auffangen.

Gesetzesanpassungen für 2020 können die Lücke nicht ausreichend schließen

Das deutsche Gesundheitssystem ist ständig auf dem Prüfstand. Im Januar 2020 standen die letzten großen Reformen im Gesundheitswesen an, die viele Änderungen mit sich bringen. Auch wenn die Hauptintention des Gesundheitsministeriums darin besteht, das deutsche Gesundheitssystem weiter auszubauen und den Leistungsumfang im Rahmen der Basisversorgung zu vergrößern, können die anstehenden Gesetzesänderungen einen privaten Zusatzschutz bislang nicht zufriedenstellend ersetzen:

  1. Der Zuschuss für Zahnarztbehandlungen steigt

Ein wesentlicher Kritikpunkt an den Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen war der Zuschuss im Bereich Zahnarztbehandlungen und Zahnersatz. Nur 50 Prozent der Regelversorgung wurden bisher von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen.

Die Neuregelung, die zum Januar 2020 in Kraft trat, sieht vor, dass gesetzliche Krankenkassen ab Oktober bis zu 60 Prozent der Kosten für die Regelversorgung übernehmen. Patienten, die durch den Stempel im Gesundheitsheft eine lückenlose Vorsorge nachweisen können, dürfen nach fünf Jahren einen Zuschuss von 70 Prozent in Anspruch nehmen, nach zehn Jahren sind es sogar 75 Prozent.

Patienten, die unter die Regelung für Geringverdiener fallen, können einen Zuschuss von 100 Prozent in Anspruch nehmen und müssen sich an den Kosten für Zahnersatz nicht beteiligen.

Auch wenn die Anpassungen eine Erleichterung für gesetzlich Krankenversicherte darstellen, können sie die enorme Lücke, die vor allem bei den Kosten für Zahnersatz jenseits der Regelversorgung klafft, nicht schließen. Wer im Ernstfall hochwertigere Materialien wählen möchte, ohne zu tief in die Tasche greifen zu müssen, kommt nach wie vor an einer privaten Zahnzusatzversicherung nicht vorbei.

  1. Der Mindestbeitrag für freiwillig Versicherte steigt

Diese Änderung trifft vor allem Studierende, die das 15. Fachsemester oder das 30. Lebensjahr vollendet haben. Für sie endet in der Regel die Mitgliedschaft in der studentischen Krankenversicherung automatisch und sie müssen sich freiwillig krankenversichern.

Hier hat es für 2020 gravierende Änderungen gegeben. Die Begrenzung auf 14 Fachsemester wird es künftig nicht mehr geben. Auch Langzeitstudierende können damit bis zur Vollendung des 30. Lebensjahres von günstigen Studententarifen profitieren. Gleichzeitig entfällt aber auch die Examensregelung, nach der Studierende nach ihrem Abschluss noch bis zu sechs Monate in der studentischen Krankenversicherung bleiben durften.

Außerdem steigt der Mindestbeitrag für die freiwillige Krankenversicherung ab 2020 von bisher 145,37 Euro auf 148,63 Euro monatlich. Inwiefern die Beitragserhöhung dafür genutzt werden kann, um freiwillig Krankenversicherten künftig bessere Leistungen zu bieten, bleibt abzuwarten. Dass der höhere monatliche Beitrag private Zusatzversicherungen in großem Umfang überflüssig machen wird, ist derzeit allerdings nicht zu erwarten.

  1. Der Zusatzbeitrag zur GKV steigt

2020 wird der durchschnittliche Zusatzbeitrag gesetzlichen Krankenversicherung wird um 0,2 Prozent von derzeit 0,9 auf insgesamt 1,1 Prozent angehoben. Wie die gesetzlichen Krankenkassen diesen Richtwert anpassen, bleibt ihnen selbst überlassen.

Die höheren Zusatzbeiträge sollen nach Angaben des Gesundheitsministeriums vollumfänglich der Verbesserung des Gesundheitssystems und dem Ausbau der Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen sowie der medizinischen Forschung zugeführt werden.

Eine konkrete Übersetzung der zusätzlichen Einnahmen in verbesserte Leistungen im Rahmen der Basisversorgung wird voraussichtlich erst mittelfristig erfolgen können. Versicherte, die schon jetzt Wert auf eine lückenlose Versorgung in verschiedensten Bereichen legen, sind derzeit mit einer privaten Absicherung noch gut beraten.

Private Zusatzversicherungen bleiben eine attraktive Ergänzung zum Basisschutz

Private Krankenzusatzversicherungen bleiben für gesetzlich Krankenversicherte ein wesentlicher Baustein ihrer Gesundheitsversorgung. Der Verband der Privaten Krankenversicherer (PKV) verzeichnet einen stetigen Zuwachs an privaten Zusatztarifen, die die Lücke zwischen der gesetzlich verankerten Basisversorgung und den Leistungen privater Versicherer schließen sollen.

Zu den am häufigsten gewählten Tarifen gehört die private Zahnzusatzversicherung. Rund 343.000 neu abgeschlossene Tarife konnte der Verband bereits im Jahr 2018 verzeichnen. Mit diesem Anstieg von über zwei Prozent in einem Jahr verfügen inzwischen über 16 Millionen Versicherte in Deutschland über eine private Zahnzusatzversicherung.

Aber auch andere Varianten der privaten Krankenzusatzversicherungen gehören für viele gesetzlich Versicherte zur Grundversorgung. Eine Krankenhauszusatzversicherung ist einer der beliebtesten Tarife. Damit möchten sich gesetzlich Versicherte im Falle eines Krankenhausaufenthaltes eine Unterbringung im Ein- oder Zweibettzimmer und die Behandlung durch den Chefarzt sichern. Auch eine Übernahme des gesetzlichen Eigenanteils im Falle eines Krankenhausaufenthaltes kann mit dem Zusatzschutz abgesichert werden. In Kombination mit der Krankenhauszusatzversicherung ist das Krankentagegeld beliebt. Diese private Zusatzversicherung springt ein, wenn ein krankheitsbedingter Verdienstausfall über mehr als sechs Wochen anhält und die Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen erschöpft sind.

Immer beliebter werden auch ambulante Krankenzusatzversicherungen im Bereich der naturkundlichen Heilbehandlungen inklusive Heilmitteln und Medikamenten auf naturkundlicher Basis.

Der große Vorteil, den private Krankenzusatzversicherungen bieten, ist ein flexibles Baukastensystem, mit dem es möglich ist, die Basisleistungen der gesetzlichen Krankenkassen genau an den Stellen aufzustocken, an denen der eigene Gesundheitszustand zusätzliche Leistungen sinnvoll macht.

Ohne die private Krankenversicherung könnte das Gesundheitssystem verbessert werden

Die Kluft, die im deutschen Gesundheitssystem zwischen privaten und gesetzlichen Krankenversicherungen klafft, gibt seit jeher Anlass zur Kritik. Nur etwa 10 Prozent der Deutschen steht aufgrund ihres Einkommens der Weg in eine private Krankenversicherung offen.

Dabei könnte die Versorgung durch die gesetzlichen Krankenkassen spürbar verbessert werden, wenn das Konzept der privaten Krankenversicherung komplett abgeschafft würde, wie Bernd Hontschik in seiner Kolumne in der Frankfurter Rundschau erläutert. „Laut einer Bertelsmann-Studie könnten die gesetzlichen Krankenkassen neun Milliarden Euro mehr einnehmen und den allgemeinen Beitragssatz um 0,7 Prozent senken, wenn alle Bundesbürger*innen gesetzlich krankenversichert wären“, so der Autor. „In Deutschland sind aber etwa zehn Prozent privat versichert. Diese 8,7 Millionen verdienen im Durchschnitt über fünfzig Prozent mehr als die 73 Millionen gesetzlich Versicherten und sind im Vergleich gesünder.“

Bundesbürger mit besserem Einkommen und einer vergleichsweise besseren Gesundheit sind demnach nicht mehr Teil des deutschen Solidarsystems und verschlechtern damit die Chancen der gesamten Solidargemeinschaft auf bessere Gesundheitsleistungen. Die vielfach kritisierte Zwei-Klassen-Medizin im deutschen Gesundheitssystem scheint also nur einem kleinen Teil der Bevölkerung zu nutzen und den weitaus größeren Teil zu benachteiligen. Eine grundlegende Reform des Gesundheitssystems, in dem die Kluft zwischen privaten und gesetzlichen Krankenkassen endgültig geschlossen wird, erscheint vor diesem Hintergrund logisch, dürfte aktuell allerdings bestenfalls Zukunftsmusik sein.

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