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Sieben Monate Cannabis-Legalisierung: Wie kifft Deutschland?

Seit etwas mehr als sieben Monaten können Erwachsene in Deutschland legal Cannabis konsumieren und anpflanzen. Viele Befürworter sehen darin einen Fortschritt für die Gesellschaft, Kritiker ein Risiko. Doch wer hatte rückblickend Recht? Konsumieren jetzt mehr Menschen Cannabis? Und welche Einstellung haben Jugendliche zu der Droge?
SSC, 07.11.2024
Musikhörende, kiffender Designer an seinem Arbeitsplatz
Drogen haben in der Popkultur einen festen Platz – in der Musik, im Film und seit einigen Jahren auch in Videospielen.

© Dusan Stankovic, iStock

Der Konsum und Anbau von Cannabis ist in Deutschland seit etwas mehr als sieben Monaten erlaubt, allerdings unter gewissen Auflagen. Erwachsene dürfen nur bis zu 50 Gramm getrocknetes Cannabis und drei Cannabispflanzen besitzen. Größere Mengen anbauen dürfen hingegen nur sogenannte „Anbauvereinigungen“, auch Cannabis-Social-Clubs genannt. Sie dürfen fertiges Cannabis sowie Samen und Stecklinge der Pflanze an Erwachsene weitergeben.

Eine weitere Auflage für den Cannabiskonsum in Deutschland: Volljährige Personen unter 21 dürfen nur Produkte mit einem reduzierten THC-Gehalt bekommen. THC ist der Wirkstoff der Droge und je nach Pflanzensorte in höheren oder geringeren Mengen enthalten. Diese Regelung hat einen ernsten Hintergrund, denn gerade bei jungen Menschen kann der Konsum von Cannabis gesundheitliche Schäden verursachen. Das war auch eines der Hauptargumente jener Kritiker, die sich vor sieben Monaten gegen eine Legalisierung ausgesprochen haben.

Nicht gut für wachsende Gehirne

„Cannabis ist nicht so harmlos, wie viele glauben“, sagt Tanja Katrin Hantke, Ärztin bei der vivida bkk. Denn THC beeinflusst die Reifeprozesse im Gehirn. Und da das Gehirn sich noch bis zu einem Alter von Mitte bis Ende 20 entwickelt, stellt regelmäßiger Cannabiskonsum besonders für Jugendliche und junge Erwachsene eine Gefahr dar.

Durch die Störung der Reifeprozesse kann die Leistungsfähigkeit des Gehirns eingeschränkt werden, was unter anderem zu schlechteren Leistungen in der Schule und im Studium führen kann. „Cannabis-Konsumierende haben eine höhere Schulabbruchrate, eine geringere Beteiligung an universitärer Ausbildung und weniger akademische Abschlüsse. Die Effekte sind stärker bei frühem Beginn des Konsums und bei hohem Konsum“, sagt das Bundesgesundheitsministerium.

Jugendliche vorsichtiger als junge Erwachsene

In einer aktuellen Studie verharmlosen junge Erwachsene – und vor allem Männer – den Cannabiskonsum allerdings. „Die Umfrageergebnisse offenbaren ein erschreckendes Wissensdefizit, wenn 34 Prozent der Befragten davon ausgehen, dass Kiffen harmlos ist“, berichtet Hantke.

Für die Studie befragten die vivida bkk Krankenkasse und die Stiftung „Die Gesundarbeiter“ insgesamt 1.150 Bürger zwischen 14 und 34 Jahren zu ihrer Einstellung zu Cannabis. Jugendliche stellten sich dabei hinsichtlich ihres Umgangs mit Cannabis als vorsichtiger heraus als junge Erwachsene. 76 Prozent der Jugendlichen hielten Kiffen laut Umfrage für bedenklich. Bei den Erwachsenen waren nur rund 65 Prozent dieser Meinung.

Auch bei den Geschlechtern zeigten sich Unterschiede: 42 Prozent der befragten Männer und Jungen fanden „Die Freigabe von Cannabis zeigt: Kiffen ist unbedenklich“. Das galt jedoch nur für 26 Prozent der Frauen und Mädchen.

Hat der Cannabiskonsum zugenommen?

Aber konsumieren denn auch mehr Menschen Cannabis als vor der Legalisierung? 29 Prozent der Befragten gaben an, dass der Cannabiskonsum in ihrem Umfeld seit der Legalisierung zugenommen hat. 18 Prozent der Teilnehmer behaupten, dass auch ihr eigener Konsum angestiegen ist. Das zeigt sich vor allem bei den Erwachsenen. Ein Viertel von ihnen gab an, jetzt häufiger zu kiffen als vor der Legalisierung. Im Vergleich dazu stehen sieben Prozent der Jugendlichen, die angeben, mehr Cannabis zu konsumieren.

Auch hier zeigt sich wieder der Geschlechterunterschied: Ein Drittel der männlichen Befragten gab an, häufiger zu kiffen, jedoch nur elf Prozent der weiblichen Befragten.

„Smoke weed everyday“ – Ist die Popkultur schuld?

Aber warum verharmlosen viele das Rauschmittel? „Den größten Einfluss, im Guten wie im Schlechten, hatte Popkultur auf mich“, erinnert sich Sarah Hanlon in einem Artikel des Cannabis-Unternehmens Leafly. „Durch Fernsehen, Filme und Musik bekam ich den Eindruck, dass Cannabis ein harmloser Genuss für Erwachsene ist, die jugendlich sein wollen, oder für junge Menschen, die sich reif fühlen wollen.“

Den Einfluss von populärer Musik auf den Konsum von Cannabis bei jungen Menschen bestätigt auch eine Studie der University of Pittsburgh aus dem Jahr 2011. „Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Jugendliche in der populären Musik in hohem Maße Anspielungen auf Cannabis ausgesetzt sind und dass diese Exposition mit dem Cannabiskonsum unter Jugendlichen in Verbindung steht“, erklärt das Forschungsteam.

So ist vor allem Rapper Snoop Dogg für seine positive Einstellung zur Droge bekannt und veröffentlichte 2000 mit Dr. Dre das Lied „The Next Episode“, das den Cannabiskonsum unter anderem durch die Textzeile „smoke weed everyday“ („Rauch‘ jeden Tag Gras“) verherrlicht. Zuletzt stand Snoop Dogg auch als Werbefigur für Feuerzeuge der Marke Bic bereit, welche mit dem Slogan „Perfekt für Kerzen – und mehr!“ warb.

Aufklärung und Beratungsangebote

Doch nicht nur die Popkultur nimmt Einfluss auf den Cannabiskonsum von Jugendlichen. Vor allem im Vergleich zu anderen Drogen wird Cannabis immer gesellschaftsfähiger und ist zudem günstiger, wie Gesundheitsexperten erklären. Zusätzlich seien Jugendliche oft nicht ausreichend über die Risiken des Konsums informiert. „Jetzt geht es darum, faktenbasiert über Gesundheitsrisiken aufzuklären und gleichzeitig einer Verharmlosung entgegenzuwirken. Dazu braucht es konkrete Beratungs- und Ausstiegsangebote vor Ort“, sagt Ärztin Tanja Katrin Hantke.

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