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Erstmals berechnet: Die Ökobilanz des Menschen
Der ökologische Fußabdruck eines Menschen in Form der von ihm und seinem Konsum verursachten CO2-Emissionen wurden schon häufiger berechnet. Ein Durchschnittsdeutscher emittiert demnach etwa zehn bis elf Tonnen CO2 pro Jahr. Die Ökobilanz hingegen umfasst nicht nur die CO2-Emissionen, sondern alle Schadwirkungen auf die Umwelt – auf Boden, Luft und Wasser. Darunter fallen der Energieverbrauch, alle Besitztümer vom Auto bis hin zur Socke und auch der anfallende Müll. Diese Bilanz zu berechnen, ist eine deutlich größere Herausforderung.
Vom Frühstück bis zum letzten Hemd
Wissenschaftler der Technischen Universität Berlin um Matthias Finkbeiner haben sich dieser Herausforderung gestellt. Zuvor hatten sie lediglich die Ökobilanz einzelner Produkten ermittelt, indem sie den Rohstoffanbau, die Produktion, den Transport, die Nutzung und die Entsorgung betrachteten. Wesentlich schwieriger machte es ihnen ihre menschliche Testperson Dirk Gratzel: Der Wunsch des rund 50-jährigen Unternehmers war es, ökologisch schuldenfrei zu leben.
Deshalb haben die Forscher seine bisherige Ökobilanz errechnet und dabei auch seinen Konsum genau unter die Lupe genommen. Der Selbstversuch sollte ihrem Probanden helfen, Maßnahmen zur ökologischen Verbesserung seines Lebensstils zu finden und umzusetzen.
Als erstes bilanzierte Finkbeiners Team die Umweltschäden, die Dirk Gratzel in seinem Leben bislang verursacht hatte. Dafür musste dieser sein bisheriges Leben, seinen Alltag, seine Ernährung, seinen Besitzstand von der Socke bis zum Auto, seine Wohnsituation, seine Hobbys, ja sogar seinen Müll, nach Stoffen penibel getrennt, akribisch dokumentieren. Drei Monate lang schrieb er auf, was er jeden Tag isst, trinkt, wie lange er duscht, was er besitzt – von der Zahnbürste, über Unterhosen, Manschettenknöpfe, Anzüge, Teller, Tassen und Elektrogeräte bis zum Jaguar SUV und dem denkmalgeschützten Haus.
27 Tonnen CO2 pro Jahr
Aus diesen Daten ermittelten die Forscher zunächst den jährlichen CO2-Fußabdruck Ihres Probanden. Das Ergebnis: Jedes Jahr emittierte Gratzel 27 Tonnen CO2 – das Doppelte von dem, was ein Deutscher durchschnittlich ausstößt.
Rückverfolgt über 50 Lebensjahre hatte Gratzel durch seine Lebensweise insgesamt 1.147 Tonnen CO2 zu verantworten. Die Hauptverursacher waren relativ viele dienstliche und private Autofahrten und Flüge, eine eher fleisch- und käselastige Ernährung, sein täglicher Energieverbrauch zu Hause und sogar sein Haustier, wie die Wissenschaftler feststellten. Denn auch der Hund erwies sich als durchaus „klimarelevant“. Überraschend war auch, dass chemische Produkte wie Wasch-, Reinigungsmittel und Kosmetika viel weniger im Umweltsündenkonto zu Buche schlagen als zum Beispiel der Konsum vieler – tierischer - Milchprodukte.
Aus Fehlern lernen
Damit Gratzel in Zukunft seine Ökobilanz verbessern kann, haben die Wissenschaftler aus den Hauptursachen rund 60 Maßnahmen abgeleitet. Gratzels Lebensstil änderte sich dadurch radikal: keine Flüge mehr, vermehrte Nutzung der öffentlichen Verkehrsmitteln, weniger Fleisch- und Milchprodukte, nur saisonales, regionales Gemüse, Sanierung seines Hauses, nur noch 45 Sekunden duschen – um einige wenige zu nennen. Auf seinen täglichen Morgenkaffee oder seinen Hund zu verzichten, schaffte er nicht.
Nach drei Monaten errechneten die Wissenschaftler erneut Gratzels jährliche CO2-Emissionen: Jetzt lag seine Ökobilanz statt bei 27 Tonnen pro Jahr nur noch bei 7,8 Tonnen. „Dieses Resultat hat uns überrascht. Mit einer solchen Reduzierung haben wir nicht gerechnet“, sagt Finkbeiner. Doch die gute Nachricht hat auch ihre Schattenseite: „Die schlechte Nachricht allerdings ist, dass 7,8 Tonnen CO2-Ausstoß pro Person im Jahr immer noch weit über dem Wert von jährlich 1,5 bis zwei Tonnen CO2-Ausstoß pro Person liegen, den der Weltklimarat für das Klima als verträglich erachtet.“ Obwohl sich das veränderte Konsumverhalten positiv auswirke, zeige das Ergebnis eben auch, wie schwer das 2-Tonnen-Ziel des Weltklimarates für Menschen aus westlichen Industrieländern zu erreichen sei.
In Zukunft also nur noch verzichten?
Wer seine Klimaschäden verringern möchte, müsse seinen alltäglichen Konsum unter die Lupe nehmen – und verändern. Aber heißt das, dass wir in Zukunft nur noch verzichten müssen? Ein Leben ohne ökologische Belastung zu führen, hält Finkbeiner für unrealistisch. „Wir werden Wege finden müssen, wie wir die verursachten Schäden wieder heilen. Sie lediglich virtuell zu kompensieren wird nicht reichen“, so Finkbeiner. Zusätzlich zu einem veränderten Lebensstil könnten beispielsweise Konzepte zum Schutz und zur Wiederherstellung von zerstörten Ökosystemen die Umweltbelastung verringern.