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Friedenspreisträger

Der Stiftungsrat des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels hat den deutschen Soziologen und früheren Rektor des Wissenschaftskollegs zu Berlin, Wolf Lepenies, zum diesjährigen Träger des Friedenspreises gewählt. Die Verleihung findet während der Frankfurter Buchmesse am Sonntag, 8. Oktober 2006, in der Paulskirche statt und wird live im Ersten Deutschen Fernsehen übertragen. Der Friedenspreis wird seit 1950 vergeben und ist mit 25.000 Euro dotiert.

In der Begründung des Stiftungsrats heißt es: „Den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verleiht der Börsenverein im Jahr 2006 Wolf Lepenies und ehrt damit den wissenschaftlichen Schriftsteller, den anschaulich schreibenden Biographen, den stilsicheren Essayisten, der durch Wort und Tat belegt, dass zwischen Verhalten und Wissen, zwischen Moral und Wissenschaft ein unauflöslicher Zusammenhang besteht. Zwischen den in Kunst und Wissenschaft verbreiteten Haltungen von Enthusiasmus und Skepsis hat sich Wolf Lepenies für eine dritte Haltung entschieden: für den intellektuellen Anstand, wie er ihn bei Diderot vorgebildet sieht. Er hat den ,handelnden Intellektuellen’ in der Geschichte gesucht und ihn als einen Typus beschrieben, der für das Gemeinwohl einsteht. In den 15 Jahren seines Rektorats wurde das ,Wissenschaftskolleg zu Berlin’ zu dem vielleicht anregendsten und freiesten Ort Europas, zu einer Begegnungsstätte von westlicher Rationalität und östlicher Weisheit, von Kunst und Wissenschaft, zu einer Heimstätte für moderne Musik und Literatur. Den Samen dieses freiheitlichen Denkens hat er nach dem Fall der Mauer mit großer Tatkraft auch in anderen Städten und Institutionen gepflanzt, in St. Petersburg und in Warschau, in Sofia, in Bukarest, in Budapest und in Mali, und dadurch Völker und Kulturen im friedlichen Gespräch zusammengeführt. An die Stelle des Drohbildes vom ,Zusammenprall der Kulturen’ hat er das Hoffnungsbild kultureller Lerngemeinschaften gesetzt und solche Gemeinschaften in seinem Umkreis beispielhaft begründet. Er hat dem Frieden unter den Völkern einen Wurzelgrund gegeben. Dafür danken wir ihm.“

 

Wolf Lepenies, geboren am 11. Januar 1941 im ostpreußischen Deuthen (Allenstein), schloss sein Studium der Soziologie 1967 in Münster mit der Dissertation „Melancholie und Gesellschaft“ ab, die zwei Jahre später als Buch erschien. 1971 habilitierte er an der Berliner Freien Universität, an der er bis 2006 als Professor lehrte. Nach Auslandsaufenthalten in Paris und als Mitglied der School of Science des renommierten Institute for Advanced Study in Princeton, New Jersey, wurde Lepenies 1986 Rektor des Wissenschaftskollegs zu Berlin. In seiner Amtszeit bis 2001 initiierte er schon 1994 ein breit angelegtes Forschungsprogramm zum Thema Islam und intensivierte den wissenschaftlichen und kulturellen Austausch vor allem mit den osteuropäischen Nachbarn durch die Einrichtung von Wissenschaftszentren. Lepenies ist weiterhin „Permanent Fellow“ des Wissenschaftskollegs; seit 2004 gehört er dem Aufsichtsrat der Axel-Springer AG an.

 

Geehrt wurde Wolf Lepenies unter anderem mit dem Alexander-von-Humboldt-Preis für seine Verdienste um die deutsch-französische wissenschaftliche Zusammenarbeit (1984), dem Karl-Vossler-Preis (1998), dem Leibniz-Ring (1998), dem Joseph-Breitbach-Preis der Mainzer Aka-demie der Wissenschaften für sein Lebenswerk (1998), dem Theodor-Heuss-Preis gemeinsam mit Andrei Plesu für ihr europa- und demokratiepolitisches Engagement (2000) sowie mit der Leibniz-Medaille der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (2003). 1994 hielt er in der Frankfurter Paulskirche die Laudatio auf den Friedenspreis-träger Jorge Semprún.

 

Mit seinen Werken „Melancholie und Gesellschaft“ (1969), „Das Ende der Naturgeschichte“ (1976) und zur Soziologie der Gesellschaft im 19. Jahrhundert lieferte Wolf Lepenies wichtige Beiträge zum modernen gesellschaftlichen Selbstverständnis. 1981 brachte er das vierbändige Werk „Geschichte der Soziologie“ mit Studien zur kognitiven, sozialen und historischen Identität dieser Disziplin heraus. Als sein Hauptwerk gilt die Studie „Die drei Kulturen. Soziologie zwischen Literatur und Wissenschaft“ (1985) über die Etablierung der Sozialwissenschaften und ihre nationaltypischen Besonderheiten in England, Frankreich und Deutschland. Einer breiteren Öffentlichkeit wurde Lepenies mit seiner Biographie über den französischen Literaturkritiker „Sainte-Beuve. Auf der Schwelle zur Moderne“ (1997) bekannt. Sein neuestes Buch „Kultur und Politik. Deutsche Geschichten“ über das prekäre Verhältnis von Politik und Kultur zwischen dem 18. und 20. Jahrhundert erscheint im Juli 2006.

 

Wolf Lepenies ist verheiratet, hat drei Kinder und lebt in Berlin.

 

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