Boykott überschattet die Spiele
Die ersten Olympischen Spiele in einem sozialistischen Land wurden bestimmt vom Boykott vieler westlicher Staaten aus Protest gegen den Einmarsch sowjetischer Truppen in Afghanistan (1979). Nur 80 Staaten - weniger als in Rom 1960 - waren in Moskau vertreten. Obwohl die Boykottandrohung der Amerikaner zu Beginn des Jahres bei den europäischen NATO-Verbündeten nur wenig Resonanz gefunden hatte, blieben die meisten von ihnen den Spielen fern.
In der Bundesrepublik Deutschland gab es wegen der Teilnahme heftige politische Debatten. Die Bundesregierung sowie die Opposition unterstützten den Aufruf von US-Präsident Carter und forderten die deutschen Sportorganisationen auf, den Spielen fernzubleiben. Dabei wurde unverhohlen mit Kürzungen der Zuschüsse gedroht. Während DSB-Präsident Willy Weyer sich für den Boykott aussprach, argumentierte NOK-Präsident Willy Daume für eine Teilnahme. Trotz des Protests vieler Sportler entschied sich das NOK für eine Nicht-Teilnahme. Insgesamt verzichteten 30 Nationen ausdrücklich auf eine Teilnahme, weitere 33 beantworteten die Einladung nach Moskau nicht.
Infolge der politischen Auseinandersetzungen stand die Zukunft der olympischen Idee auf dem Spiel. Niemand konnte voraussagen, ob die Völker der Welt noch einmal gemeinsam zum sportlichen Wettstreit zusammenkommen würden. IOC-Präsident Juan Antonio Samaranch, der erst drei Tage vor Eröffnung der Spiele zum Nachfolger von Lord Michael Killanin gewählt worden war und sich vergeblich gegen einen Boykott ausgesprochen hatte, stand vor einem schwierigen Erbe.
Die Sowjetunion präsentierte eine perfekt inszenierte Eröffnungsfeier mit Trachtengruppen aus allen Teilrepubliken und farbenfrohen Vorführungen. Protestkundgebungen wie der Einmarsch einiger Delegationen hinter der Olympiafahne anstatt ihrer Nationalflagge ignorierten die Kameras bei der Live-Übertragung weitgehend. Die westliche Welt bezeichnete die Spiele häufig als zweitklassig und zweifelte den sportlichen Wert der Ergebnisse sowie der Medaillenverteilung immer wieder an. Allerdings belegten die 36 Welt-, 39 Europa- und 73 olympischen Rekorde die unbestreitbare Qualität der Wettbewerbe: Wladimir Salnikow (URS) durchbrach über 1500m Freistil in 14:58,27min als erster Mensch die 15min-"Schallmauer". Im Fünfkampf der Frauen, bei dem der 200m-Lauf durch die 800m-Strecke ersetzt worden war, überbot Nadeschda Tkatschenko aus der Sowjetunion mit 5083 Punkten erstmals die 5000er-Grenze. Der Äthiopier Miruts Yifter begeisterte das Publikum bei seinen Siegen über 5000m und 10.000m. Beim mit Spannung erwarteten Duell der britischen Mittelstreckenstars war Steve Ovett über 800m vorn; Sebastian Coe revanchierte sich auf der 1500m-Distanz.