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Glosse zum Thema Jugendkultur

Vater und Sohn

Wer nervt denn nun mehr? Der Vater oder der Sohn? Also, mir hat vor allem der Vater zugesetzt: Erst klagte er zum Beispiel über den wachsenden Mofafriedhof in der Garage so lange, bis ich die Zahnräder und Antriebsketten gut geölt auf frisch gewaschenen Lappen nebeneinander gelegt hatte wie Neckermänner auf ihren Frotteelaken am “Ballermann. Doch dann warf mein Vater die Kreissäge an, um eine Zimmertür zu kürzen, und die umherfliegenden Späne machten meine ganze Arbeit zunichte.

Am Wochenende musste ich meist helfen, seinen Traum vom eigenen Haus zu verwirklichen: Dann habe ich wie ein Sträfling Steine geschleppt. Oder ich habe Beton gemischt und Fliesen gelegt, während meine Freunde in den Autos ihrer Väter durch abgelegene Felder bretterten, gemeinsam mit ihren großen Brüdern Bierbüchsen leerten oder staunenden Mädchen von ihren Abenteuern erzählten. Manchmal kamen sich Jungs und Mädchen dabei auch näher. Mein Vater und ich kamen uns nicht näher. Schon am nächsten Tag erklärte er mir nämlich am Frühstückstisch, dass Frauen und Männer sowieso nicht zusammen passen. Auch von Musik hatte er keine Ahnung. Mein Transistorradio konnte immerhin das Straflager eine Zeitlang aus meiner Phantasie verdrängen und dafür Horden ungestümer Mädchen hineinzaubern bis der Vater kam und mich zwang, das “Gejaule abzuschalten. I could get no satisfaction!

Die Bundeswehr würde aus mir schon einen Mann machen, glaubte mein Vater. Außerdem würden mir dann endlich die “Zotteln geschoren. Schon das war ein Grund, den Wehrdienst zu verweigern. Er selbst hatte natürlich auch nicht “gedient. Und für mich stand fest: Wenn überhaupt kämpfen, dann auf der Seite der Befreiungsbewegungen in Lateinamerika. Das aber brachte meinen Vater erst recht in Rage. Den Kommunismus unterstützen? Dann hätte er ja gleich in der DDR bleiben können! Ähnlich sorgten Themen wie Abrüstung, Menschenrechte, Umweltschutz und Atomausstieg immer wieder für Zündstoff zwischen uns. Dass sich mein Vater an den Demonstrationen für solche “bekloppten Ideen nicht beteiligte, versteht sich von selbst. Offenbar hätte ich noch zu viel Freizeit, sagte er. Und die würde ich besser hinter meinen Büchern und Heften verbringen. Doch mir fehlten einfach Fleiß und Disziplin. Deswegen konnten ihn auch die Noten nicht begeistern, mit denen sich die Lehrer regelmäßig an mir, dem “notorischen Nörgler, für die vielen Einwände und Widersprüche rächten.

Inzwischen habe ich selbst einen Sohn, der es zum Glück viel leichter hat als ich. Bei mir braucht er keine Steine zu schleppen, und wenn er auf der Schule mal eine Ehrenrunde dreht: Was solls? Schließlich kann er bei seinem Vater immer auf Verständnis zählen, wenn er für die Unterdrückten auf die Strasse geht. Nur weiß er das gar nicht zu schätzen. Denn er macht sich nicht stark für Unterdrückte. Seine Stärke beweist er auf der Hantelbank: Denn das Geld, das er nach der Schule im Solarium verdient, gibt er im Fitnessstudio gleich wieder aus. Dort zeigt er seinen knusprigen Freundinnen, wie man Gewichte stemmt, ohne sich die Frisur zu ruinieren. Und abends büffelt er für die nächste Klausur, selbst wenn bis dahin noch ein paar Monate ins Land gehen. Denn sitzen zu bleiben, meint er, kann sich ein junger Mensch in der heutigen Zeit nicht mehr leisten. Wer schnell einen gut bezahlten Job finden will, dürfe deshalb auch auf der Uni nicht mehr trödeln. Mir macht er bei dieser Gelegenheit meistens Vorwürfe, dass ich ihn nicht früher auf die Schule geschickt habe. Das verlorene Jahr könne er nie wieder aufholen, sagt mein Sohn.

Ein paar Mal habe ich ihm vorgeschlagen, mit meinem Auto in die abgelegenen Felder zu fahren und ein bisschen für seinen Führerschein zu üben. Doch er lehnte immer ab. Das sei doch verboten! Nicht einmal für guten, ehrlichen Rock konnte ich ihn begeistern. Wenn überhaupt, zieht mein Sohn lieber mit anderen Kurzgeschorenen durch die Clubs und lässt sein Herz von stampfendem Techno aus dem Rhythmus bringen. Und ich fahre allein zum Konzert der “Rolling Stones wo ich mich mit den anderen graumelierten Mittvierzigern gern an die wilden alten Zeiten erinnere. Wenn ich dann spät nach Hause komme und der Junge ist nicht da, brauche ich nur bei seinem Opa anzurufen. Da sitzen sie nämlich oft einträchtig zusammen, spielen Schach und lästern über mich.

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