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Harter Brexit – was wären die Folgen?

Die Zeit läuft: Im März 2019 läuft die Frist für den Brexit ab. Doch noch ist keine Einigung in den Verhandlungen zwischen der EU und Großbritannien in Sicht – statt allmählicher Annäherung herrscht eher Chaos. Doch was wäre, wenn Großbritannien ohne Nachfolgevertrag aus der EU ausscheidet? Wen würden die Folgen am härtesten treffen und was würde das für die deutsche Wirtschaft bedeuten?
NPO / Institut der deutschen Wirtschaft, 10.10.2018

Mit der Volksabstimmung am 23. Juni 2016 wurden die Weichen gestellt: Damals entschieden sich gut die Hälfte der Briten für den Brexit und damit für einen Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union. Am 29. März 2017 beantragte die britische Regierung formell bei der EU den Austritt und damit begann die zweijährige Frist bis zum Wirksamwerden der Trennung zu laufen.

Die hiesige Automobilindustrie könnte zu den größten Verlierern des Brexit zählen.

Nur noch ein halbes Jahr

Bis zum 29. März 2019 müssen sich die EU und Großbritannien nun darüber einig werden, wie es nach dem EU-Austritt weitergehen soll. Möglich wäre unter anderem ein weicher Brexit, bei dem das Land ähnlich wie Norwegen und Island im Europäischen Wirtschaftsraum bleibt und damit in einer Freihandelszone mit der EU. Eine andere, ursprünglich von Großbritanniens Premierministerin Theresa May angestrebte Variante wäre der komplette Austritt aus dem europäischen Binnenmarkt und der Zollunion. Stattdessen müssen dann neue bilaterale Verträge die Handelsbeziehungen Großbritanniens mit den EU-Ländern regeln.

Doch die bisherigen Verhandlungen sind kaum vorangekommen – auch wie sich die Briten untereinander nicht einig sind, welche Brexit-Variante und welche Bedingungen sie wollen. "Die jüngsten zähen Verhandlungen haben wenig konkrete Strategien der Briten erkennen lassen", erklärt Michael Hüther vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. "Die Instabilität und Desorientierung der britischen Verhandlungsposition erhöht das Risiko, dass es zu einem harten Brexit kommt."

Brexit ohne Einigung – was kommt dann?

Das aber würde bedeuten: Gibt es bis März 2019 keine Einigung zwischen Großbritannien und der EU, dann scheidet das Land ohne gültige Nachfolgeverträge aus. "Das würde die meisten Beziehungen zur EU auf chaotische und abrupte Weise abreißen lassen", so Hüther. Denn dann würde Großbritannien von einem Tag auf den anderen alle Handelsvergünstigen des EU-Binnenmarkts verlieren. Güter unterlägen ab dann den Zöllen und Bestimmungen, die für Drittländer gelten.

Unter Berücksichtigung der bilateralen Handelsstrukturen und der Regeln der Welthandelsorganisation könnte die EU Zölle in Höhe von durchschnittlich 2,8 Prozent auf britische Exporte erheben, das Vereinigte Königreich sogar von 3,6 Prozent auf Waren aus der Rest-EU. Deutsche Exporte ins Vereinigte Königreich würden mit durchschnittlich 4,3 Prozent belastet. Und auch Dienstleistungen beispielsweise im Finanzbereich würden ihren bisher ungehinderten Marktzugang verlieren.

Bei einem harten Brexit ist mit einem Zollchaos an den Grenzübergängen zu rechnen. Allein in Dover passieren derzeit beispielsweise täglich etwa 10.000 Fahrzeuge die Grenze. Aber auch die deutschen Zollbehörden planen bereits die Einstellung von neuem Personal.

Was sind die Kosten?

Doch wer wird am meisten unter einem harten Brexit leiden? "Aus wirtschaftlicher Sicht war es immer offensichtlich, dass bei einer Trennung zweier so stark verflochtener Regionen beide zu den Verlierern gehören werden", erklärt der Wirtschaftsexperte. Was ein harter, ungeregelter Brexit kosten würde und welche Folgen er für Deutschland und die restliche EU sowie Großbritannien hätte, haben nun Hüther und seine Kollegen in einer Studie durchgerechnet.

Das Ergebnis: Allein durch Zölle entstünden für EU-Firmen bei gleichbleibendem Handelsvolumen Kosten von mehr als zehn Milliarden Euro pro Jahr. Britische Unternehmen müssten dagegen gut fünf Milliarden Euro an Zöllen an die EU zahlen. "Das würde immerhin die Hälfte der verlorenen EU-Beiträge Großbritanniens ausgleichen", so die Forscher. "Dennoch wäre der harte Brexit eine höhere Last für die EU als für die britischen Unternehmen – zumindest in Bezug auf die Zölle." Anders sieht dies beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) aus: In Großbritannien hängen bis zu 16 Prozent des BIP vom Handel mit der EU ab.

Deutschland wäre am stärksten betroffen

Auf Seiten der EU wäre Deutschland der Hauptleidtragende eines ungeregelten Brexit: "Die deutsche Industrie wird signifikant unter einem harten Brexit leiden", sagt Hüther. Denn rund fünf Prozent unseres Bruttoinlandsprodukts sind direkt oder indirekt vom Handel mit Großbritannien abhängig. Der deutsche Exportsektor muss allein durch die Zölle mit Mehrkosten von 3,3 Milliarden Euro rechnen. Besonders betroffen wäre die hiesige Automobilindustrie: Auf sie würden rund 60 Prozent der zusätzlichen deutschen Abgaben entfallen, wie die Forscher ermittelten.

Als Folge der neuen Zollschranken und Handelshemmnisse könnten sich im Laufe der Zeit die Exporte aus der EU nach Großbritannien um die Hälfte verringern. "Ein harter Brexit würde die europäischen Wertschöpfungsketten fundamental umformen und den Prozess der wirtschaftlichen Integration in der EU unterminieren", warnen die Wissenschaftler. In Deutschland könnte das Exportvolumen nach Großbritannien sogar bis zu 57 Prozent zurückgehen.

Nach Ansicht der Forscher läuft der Politik die Zeit davon, Lösungen zu finden. "Dieses Horrorszenario sollte die Politik zum konstruktiven Handeln antreiben“, sagt Hüthers Kollege Markos Jung. Sie halten es für die beste Lösung, zunächst die Zollunion mit Großbritannien beizubehalten oder eine neue auszuhandeln, damit zumindest unnötige Einbußen durch Handelshemmnisse vermieden werden. "

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