Nach der Veröffentlichung der PISA-Studie sind Deutschlands Lehrer ins Kreuzfeuer der Kritik geraten. Thüringens Kultusminister Michael Krapp (CDU) sprach manchem seiner Amtskollegen aus der Seele, als er meinte, man solle über die Qualität des Unterrichts an deutschen Schulen nachdenken und keine Strukturdebatte beginnen. Alles nur ein politisches Ablenkungsmanöver? Oder sind die Lehrer in Deutschland wirklich so schlecht? Wie steht es eigentlich um ihre Ausbildung? Gibt es versteckte Defizite und wirken sich diese auf die Unterrichtsqualität aus? Einen Grund muss es jedenfalls geben, wenn jeder zehnte deutsche Schüler nicht einmal die Aufgabenstellung eines weltweit genormten Tests begreift. Wie sieht die Realität in den Klassenzimmern aus?
Ist die Lehrerausbildung noch auf der Höhe der Zeit?
Derzeit beziehen sich weniger als zehn Prozent des Lehramt-Studiums auf Pädagogik. Viel zu wenig, meinen nahezu alle Bildungsexperten. Neben der Fachdidaktik werden auch Grundwissenschaften wie die Erziehungswissenschaft, Psychologie und Soziologie vernachlässigt. Dieter Lenzen, Erziehungswissenschaftler an der FU Berlin, verweist auf alternative Konzepte. Im holländischen Maastricht müssen Lehramtsstudenten Schülerdiktate voller Fehler diagnostizieren. Gibt es Anhaltspunkte für eine Lese-Rechtschreib-Schwäche oder ein Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom? Könnten persönliche oder familiäre Probleme dahinter stecken? Und wenn, wie geht man damit um? Wäre Förder- oder Einzelunterricht von Nutzen?
Es sind diese praktischen und alltäglichen Fragen und Probleme, auf die die deutschen Lehramtskandidaten wenn überhaupt, dann nur völlig unzureichend vorbereitet sind. Wer von ihnen weiß schon, wie man eine spannende Projektwoche organisiert. Skepsis daher auch gegen die jüngst von manchen Kultusministern geübte Praxis, Akademiker mit Diplom- oder Magisterabschlüssen als Lehrkräfte zu rekrutieren. Experten befürchten, dass diese Seiteneinsteiger ohne pädagogische Ausbildung den Anforderungen an den Lehrerberuf noch weniger gerecht werden könnten.
Vor allem der unerfahrene Lehrernachwuchs gerät leicht in eine heikle Situation. Nur die wenigsten Referendare dürften der niedersächsischen Kultusministerin Renate Jürgens-Pieper (SPD) zustimmen, wenn sie meint, junge Lehrer seien “eigentlich gut” auf ihre Aufgaben vorbereitet. Viele Schulpraktiker und Bildungsexperten stellen der ersten wie der zweiten Phase der Lehrerausbildung vernichtende Zeugnisse aus: Das Fachstudium konzentriere sich zu stark auf die wissenschaftlichen Aspekte der Fächer, sei weit von der schulischen Praxis entfernt, das pädagogische Begleitstudium zu dürftig und theoretisch. Im Referendariat hingegen würden immer mehr Referendare nach viel zu kurzer Eingwöhnungszeit ins kalte Wasser geworfen und müssten – häufig ohne Anleitung und Unterstützung – eigenverantwortlich Klassen und Kurse übernehmen. “Bedarfsdeckender Unterricht“ heißt diese Maßnahme, mit der man versucht, den allerorts deutlich spürbaren Lehrermangel in den Griff zu bekommen.
Von den eingefahrenen Wegen abzuweichen kostet Kraft und Nerven. Jede einzelne Stunde “offenen” Unterrichts bedarf der doppelten Vorbereitungszeit. Das ist aber durchaus nicht das einzige Problem. Im Fach Deutsch etwa sind die Lehrpläne derart überfüllt, dass, wie der Germanist Kaspar Spinner urteilt, ein “sinnvoller Unterricht gar nicht mehr möglich” sei. So das Ergebnis einer Studie, die vor einem guten Jahr von den deutschen Kultusministern in Auftrag gegeben wurde.