Lexikon

Sozialstengesetz

am 21. 10. 1878 im Deutschen Reich erlassenes, 1890 abgelaufenes Gesetz; ein Versuch der Reichsregierung unter Bismarck, die deutsche Sozialdemokratie auszuschalten.
Leiden unter dem Sozialistengesetz
Leiden unter dem Sozialistengesetz
August Bebel, Mitbegründer und Führer der deutschen Sozialdemokratie, erinnert sich in seiner Autobiografie "Aus meinem Leben" (1910-1914) an die Auswirkungen des Sozialistengesetzes auf das tägliche Leben. Ein besonders gefürchtetes polizeiliches Instrument war die Ausweisung, die den Betroffenen ihre Lebensgrundlage raubte:

"Während wir so in voller Tätigkeit waren, aus den Trümmern, die das Sozialistengesetz uns bis dahin geschaffen hatte, zu retten, was zu retten möglich war, wurden wir am 29. November [1881] mit der Nachricht überrascht, dass am Abend zuvor der Reichsanzeiger eine Proklamation des Ministeriums veröffentlichte, wonach der kleine Belagerungszustand über Berlin verhängt wurde. Dieser Hiobspost folgte am nächsten Tage die Mitteilung, dass 67 unserer bekanntesten Parteigenossen ... ausgewiesen worden seien. Einige mussten binnen 24 Stunden die Stadt verlassen, die meisten anderen binnen 48 Stunden, einigen wenigen räumte man eine Frist von drei Tagen ein ... Für uns in Leipzig war durch die Berliner Massenausweisung die Situation sehr verbösert worden. Jetzt galt es aufs Neue, für die brot- und existenzlos gewordenen Genossen Stellung und für sie und ihre Familien während ihrer Existenzlosigkeit Mittel zum Unterhalt zu beschaffen
... Eine kleine Zahl der Ausgewiesenen schwamm über den großen Teich nach den Vereinigten Staaten, die Mehrzahl kam nach Leipzig ... und ... Hamburg ... Die Unterbringung der Ausgewiesenen in eine Arbeitsstelle wurde uns ... sehr schwer gemacht. Die wirtschaftliche Krise befand sich noch auf voller Höhe. Ein Überangebot von Arbeitskräften war in fast allen Branchen vorhanden. Und war es einem Ausgewiesenen geglückt, eine Stelle zu erhalten, flugs erschien die Polizei und denunzierte den armen Teufel seinem Arbeitgeber, der oft widerwillig den eben erst angenommenen Arbeiter entließ. Der musste jetzt sein Ränzel aufs Neue schnüren und zum Wanderstab greifen. Für Männer in fortgeschrittenem Alter ein hartes Los. Die fortgesetzten Ausweisungen und die Schikanierung der Ausgewiesenen durch die Polizei hatte aber einen Erfolg, den unsere Staatsretter nicht vorausgesehen. Durch die Verfolgungen aufs Äußerste verbittert, zogen sie von Stadt zu Stadt, suchten überall die Parteigenossen auf, die sie mit offenen Armen aufnahmen, und übertrugen jetzt ihren Zorn und ihre Verbitterung auf ihre Gastgeber, die sie zum Zusammenschluss und zum Handeln anfeuerten. Dadurch wurde eine Menge örtlicher geheimer Verbindungen geschaffen, die ohne die Agitation der Ausgewiesenen kaum entstanden wären ..."
Sozialistische Vereine, Versammlungen und Druckschriften konnten polizeilich verboten werden, wenn „die sittlichen, religiösen und politischen Grundlagen von Staat und Gesellschaft untergraben“ würden.
Entscheidungen treffen.jpg
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