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Ist Liebe nur eine chemische Reaktion?
Hormone sind die wichtigsten chemischen Botenstoffe im menschlichen Körper. Wir brauchen sie zum Wachsen, Schlafen, Warmhalten, … und zum Verlieben. Am bekanntesten sind in dieser Hinsicht wahrscheinlich die luststeigernden Sexualhormone Östrogen und Testosteron. Doch sie allein reichen noch lange nicht aus, um uns Hals über Kopf in jemanden zu verlieben.
Adrenalin versetzt uns in Alarmbereitschaft
Zwei weitere wichtige Hormone, die uns in der Phase des Verliebtseins beeinflussen, sind Adrenalin und Noradrenalin. Normalerweise setzt unser Körper sie nur in akuten Stresssituationen wie der Begegnung mit einem Bären frei und bereitet und so darauf vor, um unser Leben zu kämpfen beziehungsweise davonzurennen. Dafür erhöhen die Hormone unter anderem unsere Herzfrequenz und steigern den Blutfluss in der Muskulatur. Wir sind sofort hellwach.
Dass auch Verliebte eine gesteigerte Adrenalin-Produktion haben, erklärt einige ihrer „Symptome“, darunter das rasende Herz und die Schlaflosigkeit. Aber auch die sprichwörtlichen Schmetterlinge im Bauch. Denn indem unser Körper alle Energie auf jene Organe konzentriert, die wir zum Kämpfen oder Wegrennen brauchen, müssen weniger wichtige Körperfunktionen wie die Verdauung zurückstecken. Uns wird flau im Magen und auch der Appetit verabschiedet sich bei einigen Verliebten.
Serotoninmangel führt zu Zwangsgedanken
Wenn wir frisch verliebt sind, kreisen unsere Gedanken im Schnitt mindestens vier Stunden täglich um unseren neuen Partner. In jedem anderen Zusammenhang wäre das äußert besorgniserregend und man würde von einer Zwangsstörung sprechen, bei der Betroffene ständig sich wiederholende Gedanken haben. Und tatsächlich sind die frühen Phasen der Liebe einer Zwangsstörung gar nicht so unähnlich – auch biochemisch betrachtet. In beiden Fällen fällt die Konzentration des Hormons Serotonin. Würde man nur das Blutbild eines Verliebten sehen, ohne zu wissen, dass er verliebt ist, könnte man ihm also genauso gut eine psychologische Störung attestieren.
Dopamin befeuert Glücksrausch
Doch der Körper von Verliebten ähnelt nicht nur dem von Zwangsgestörten, sondern auch dem von Suchtkranken. Zeigt man ihnen Bilder ihres Partners und unterzieht sie dabei einem Live-Hirnscan, springen dieselben Hirnregionen an wie bei einem Kokainsüchtigen. Was dort auf dem Computerscan sichtbar aufleuchtet, sind die sogenannten Belohnungszentren des Gehirns. Sie schütten immer dann große Mengen des Glückshormons Dopamin aus, wenn wir etwas tun oder sehen, was uns guttut. Trennt man uns von unserem Suchtmittel, zeigen wir Entzugserscheinungen. Das erklärt auch den schlimmen Schmerz, den viele fühlen, wenn sie länger von ihrem Partner getrennt sind.
Das Verliebtsein kurbelt allerdings nicht nur die Belohnungszentren an, sondern fährt dafür gleichzeitig auch andere Hirnregionen runter. Davon betroffen sind etwa jene Bereiche, die für rationales Denken und die Einschätzung anderer zuständig sind. Auch neurobiologisch betrachtet tragen wir also eine rosarote Brille, durch die wir unseren Partner als makellos wahrnehmen, und uns auch sonst mitunter etwas kopfloser verhalten.
Oxytocin erhält die Treue
Sind wir erst einmal ein paar Monate mit einer Person zusammen, dann beruhigen sich die durcheinanderwirbelnden Hormone in der Regel ein wenig. Wildes Verliebtsein geht nun in reife Liebe über, und zwar mithilfe des „Kuschelhormons“ Oxytocin. Es wird zum Beispiel beim Sex ausgeschüttet oder bei zärtlichen Berührungen und Küssen. Das Hormon sorgt dann dafür, dass wir uns entspannt und geborgen fühlen und ein tiefes Vertrauen zu unserem Partner aufbauen.
Oxytocin ist ebenso bekannt als Treuehormon, denn ein hoher Oxytocin-Spiegel hält uns vom Fremdgehen ab. Besonders anschaulich zeigt dies ein Experiment mit Präriewühlmäusen, die normalerweise einen einzigen lebenslangen Partner haben. Blockiert man jedoch ihre Oxytocin-Produktion, wird aus treuer „Ehe“ ein Leben voller „One-Night-Stands“.
Sind wir Sklaven unserer Hormone?
Der große Einfluss von Hormonen auf Liebespaare ist nicht zu leugnen. Und vor dem Hintergrund dieser biochemischen Fremdsteuerung könnte man sich durchaus fragen, ob unsere Hormone uns nicht einfach zu willenlosen Sklaven machen. Ist Liebe vielleicht nur ein Trick von Mutter Natur, um uns erst zur Fortpflanzung zu bewegen und dann dazu, die entstandenen Kinder mit unserem Partner aufzuziehen? So sieht es zumindest die Fachrichtung der evolutionären Psychologie.
Doch nur weil es chemische Reaktionen sind, die uns das warme, schöne Gefühl der Liebe einverleiben, muss unsere Empfindung nicht automatisch weniger wert sein, argumentiert der deutsche Hirnforscher und Philosoph Andreas Bartels: „Die Empfindung wird nicht dadurch beeinträchtigt, dass man weiß, wie sie entsteht. Uns würde auch ein Picasso-Werk nicht weniger faszinieren, wenn wir sehen würden, wie er es gemalt hat.“
Hinzu kommt, dass wir die Liebe noch lange nicht komplett wissenschaftlich enträtselt haben. Manche Hirnforscher gehen sogar davon aus, dass wir nie an diesen Punkt gelangen werden. Unter anderem deshalb gilt es unter Neurowissenschaftlern immer noch als umstritten, ob Liebe wirklich nur Biochemie im Gehirn ist.