wissen.de Artikel
Neue Debatte, alte Pflicht: Wehrpflichten im Laufe der Zeit und im Ländervergleich
Das Bundesverteidigungsministerium hat jüngst beschlossen, Vorbereitungen für eine mögliche Wiedereinführung der Wehrpflicht zu treffen. Dafür sollen im kommenden Jahr alle 18-Jährigen einen Fragebogen ausfüllen. Darin sollen sie Auskunft zu ihrem Gesundheitszustand, ihren Bildungsabschlüssen und ihrem Interesse am Dienst in der Bundeswehr geben. Männer müssen den Fragebogen ausfüllen, Frauen können es freiwillig tun. Sollte die Wehrpflicht zurückkehren, könnten künftig alle so erfassten Männer und interessierte Frauen in den Wehr- oder Zivildienst einberufen werden. Ab dem 1. Juli 2027 ist dann die Musterung für alle wehrpflichtigen Männer vorgeschrieben. Dennoch soll der Dienst zunächst auf Freiwilligkeit beruhen, so die derzeitigen Pläne in Deutschland.
Erste Wehrpflichten
Eines der ersten Länder mit allgemeiner Wehrpflicht war Frankreich: Mit der sogenannten „Levée en masse“ (Massenaushebung) von 1792 wurden alle unverheirateten Männer zwischen 18 und 25 Jahren zum Kriegsdienst einberufen. Innerhalb kurzer Zeit wuchs das Heer so auf rund eine Million Soldaten an und half Frankreich zum Sieg im Ersten Koalitionskrieg.
In Deutschland wurde eine solche allgemeine Wehrpflicht erst nach der Reichsgründung 1871eingeführt. Jeder Mann musste von da an ab seinem 20. Lebensjahr sieben Jahre Militärdienst leisten – zunächst als aktiver Soldat, später als Reservist und in der Landwehr. Eine Alternative zum Dienst an der Waffe gab es damals noch nicht.
Wehrpflicht nach dem Ersten Weltkrieg
Nach dem Ersten Weltkrieg sah der Friedensvertrag von Versailles eine Abschaffung der Wehrpflicht in Deutschland vor. Der Vertrag sah zudem vor, dass das Deutsche Reich nur noch eine Reichswehr mit 100.000 Mann unterhalten durfte – ohne Luftwaffe und mit einer stark eingeschränkten Marine.
Entgegen diesen Bestimmungen des Versailler Vertrages rüstete Hitler jedoch im Dritten Reich auf und führte 1935 wieder die allgemeine Wehrpflicht für alle männlichen Bürger in Deutschland ein. Jeder Mann zwischen 18 und 45 Jahren musste zunächst für ein Jahr, bald darauf für zwei Jahre einen Militärdienst ableisten. Wer sich dem Dienst entzog oder den Kriegsdienst verweigerte, riskierte harte Strafen: Schätzungen zufolge verurteilte die NS-Regierung 30.000 Männer deswegen zu Tode und richtete etwa 20.000 bis 23.000 von ihnen hin.
Wehrpflicht in der BRD und DDR
Nach dem Zweiten Weltkrieg stand die junge Bundesrepublik (BRD) vor einem Dilemma: Die NATO forderte von ihr eine Truppenstärke von 500.000 Mann. Bundeskanzler Konrad Adenauer war klar, dass dies allein mit Berufssoldaten unmöglich zu realisieren war. Er setzte daher durch, die Wehrpflicht ins Grundgesetz aufzunehmen – noch vor Gründung der Bundeswehr. Am 21. Januar 1957 traten die ersten 10.000 Wehrpflichtigen ihren Dienst an.
Anders als im Kaiserreich und im Nationalsozialismus gab es ab 1960 jedoch auch die Möglichkeit, den Dienst an der Waffe zu verweigern und stattdessen einen Ersatzdienst zu leisten. „Kriegsdienstverweigerer“ mussten stattdessen Zivildienst leisten – vor allem in sozialen Einrichtungen wie Krankenhäusern oder Altenheimen. Zwischen 1961 und 2011 entschieden sich mehr als 2,7 Millionen Männer für diesen Weg.
Auch in der DDR gab es ab 1962 eine Wehrpflicht: Männer zwischen 18 und 26 Jahren mussten 18 Monate Grundwehrdienst in der Nationalen Volksarmee ableisten. Einen zivilen Ersatzdienst wie in der Bundesrepublik gab es nicht. Wer den Dienst verweigerte, musste als „Bausoldat“ beim Bau militärischer Anlagen helfen. Der Alltag der Bausoldaten war geprägt von hartem Drill, schlechter Versorgung und permanenter Überwachung durch die Staatssicherheit. Wer sich auch diesem Zwang entzog, musste mit Gefängnisstrafen rechnen: Jährlich wurden rund 150 sogenannte „Totalverweigerer“ zu bis zu 22 Monaten Haft verurteilt. Erst 1985 schaffte die DDR diese Praxis ab.
Pflicht für alle oder Glücksspiel – Wehrpflichten weltweit
Die Geschichte der Wehrpflicht in Deutschland ist also durch mehrfache Wechsel geprägt. Im Jahr 2011 wurde sie schließlich ausgesetzt, weil sie laut dem damaligen Verteidigungsminister Thomas de Maizière „sicherheitspolitisch nicht mehr zu begründen“ war. Diese Entscheidung steht nun angesichts der sicherheitspolitischen Lage insbesondere durch Russland infrage. Aber wie gehen andere europäische Länder damit um und wie ist die Wehrpflicht seither bei ihnen geregelt?
In Frankreich gibt es seit 1997 keine Wehrpflicht mehr. Seit 2019 zunächst freiwillig und ab 2026 verpflichtend müssen 16- bis 25-Jährige jedoch einen einmonatigen Pflichtdienst in einer zivilen oder militärischen Einrichtung absolvieren. Die skandinavischen Länder gehen einen Schritt weiter: In Schweden und Norwegen gibt es nicht nur für Männer, sondern auch für Frauen einen verpflichtenden Wehrdienst. In Schweden erhalten alle 18-Jährigen einen Fragebogen. Von ihnen werden etwa ein Drittel zur Musterung eingeladen – am Ende werden dann etwa 8.000 Personen eines Jahrgangs von anfänglich 100.000 Kontaktierten in die einjährige Ausbildung berufen.
Einen vergleichsweise außergewöhnlichen Weg im internationalen Vergleich geht Thailand: In dem südostasiatischen Staat besteht für alle Männer ab 21 Jahren Wehrpflicht – doch nicht alle werden eingezogen. Wehrpflichtige müssen in einer Art Glücksspiel einen Streifen ziehen. Ziehen sie einen roten Streifen, müssen sie zwei Jahre Militärdienst leisten, ein schwarzer Streifen befreit sie von ihrer Pflicht. Solch einen Weg wird die Bundesregierung für junge Menschen in Deutschland vermutlich eher nicht einschlagen.