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Der Deutsche Herbst (Podcast 204)

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Kaum ein Ereignis der jüngeren Geschichte wirkt bis heute so nach wie der „Deutsche Herbst“ im September und Oktober 1977. Die Entführung und Ermordung von Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer, der Irrflug der gekaperten Lufthansa-Maschine „Landshut“ und schließlich die „Todesnacht von Stammheim“ gehören zu den prägenden Ereignissen der 1970er Jahre. Doch was ist damals wirklich passiert, und welche Rolle spielte die „Rote Armee Fraktion“? wissen.de unternimmt einen Ausflug in unruhige Zeiten.

 

Das Terrorjahr 1977

Es gibt viele Gründe, sich an das Jahr 1977 zu erinnern. Die Premiere von „Star Wars“ in den USA, die sechste „documenta“ in Kassel mit der berühmt gewordenen „Honigpumpe am Arbeitsplatz“ von Joseph Beuys und der vielbeachtete Start der interstellaren „Voyager“- Raumsonden, die erstmals Grüße der Menschheit ins All trugen. Doch 1977 markiert auch eine schwierige Zeit in einem noch immer geteilten Deutschland. Und: Es gilt als Terrorjahr, das zahlreiche Menschenleben kostete – auch das von Unbeteiligten.

Drei Namen sind mit den Ereignissen besonders verbunden: Siegfried Buback, Jürgen Ponto und Hanns Martin Schleyer. Alle wurden Opfer des Linksterrorismus. Siegfried Buback, der damalige Generalbundesanwalt, wurde am 7. April 1977 von Mitgliedern der „Rote Armee Fraktion“ erschossen. Das Attentat, so Bundeskanzler Helmut Schmidt, galt dabei nicht allein der Person Bubacks, sondern dem Rechtsstaat selbst. Es eröffnete jene Phase, die für die Bundesrepublik Deutschland eine ungekannte Herausforderung bedeutete und zu ihrer vielleicht größten Krise führte.

Am 30. Juli 1977 wurde bei einem fehlgeschlagenen Entführungsversuch Jürgen Ponto getötet, der Vorstandssprecher der Dresdner Bank AG. Die Tat war ein weiterer gezielter Schlag gegen den Staat. Und: Es ging um die Freipressung von Andreas Baader, Gudrun Ensslin und weiteren Mitgliedern aus der ersten Generation der „Rote Armee Fraktion“, die in Stuttgart-Stammheim einsaßen. Am Ende des „Deutschen Herbstes“ sollten sie sich das Leben nehmen.

 

Schleyer – der Auftakt

Am 5. September 1977 entführte ein RAF-Kommando Hanns Martin Schleyer, indem es sein Fahrzeug auf dem Nachhauseweg stoppte. Der promovierte Jurist war ein Manager und Wirtschaftsfunktionär und seit 1973 Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. Aufgrund seiner nationalsozialistischen Vergangenheit – er war SS-Untersturmführer gewesen und hatte sich hiervon niemals distanziert – geriet Schleyer ins Blickfeld der Terroristen. Die Entführung wurde mit äußerster Brutalität ausgeführt. Neben Schleyers Fahrer kamen auch drei Begleitpolizisten ums Leben.

Umgehend setzte eine massive Fahndung nach dem Entführten ein, zumal die Bundesregierung unter Helmut Schmidt nicht bereit war, auf die Forderung der Terroristen einzugehen. Diese bestand darin, Schleyer gegen elf inhaftierte RAF-Mitglieder der „ersten Generation“ auszutauschen – darunter auch Baader und Ensslin. Diese Bedingungen musste Schleyer auf ein Videoband sprechen, das damit zugleich als Beweis seiner Unversehrtheit diente. Er wurde zu diesem Zeitpunkt in einem Hochhaus in der Nähe von Köln gefangen gehalten, das sich bereits im Visier der Ermittler befand. Durch eine Verkettung von Pannen wurde entsprechenden Hinweisen aber nicht weiter nachgegangen – nicht das einzige tragische Detail in diesem Entführungsfall. Schließlich wurde Schleyer über Den Haag in ein Versteck nach Brüssel gebracht.    

 

„Landshut“ – der Irrflug

Die Situation verschärfte sich, als am 13. Oktober 1977 ein palästinensisches Kommando die Lufthansamaschine „Landshut“ entführte. Die kleine Boeing 737 war mit knapp achtzig Passagieren besetzt und auf dem Weg von Palma de Mallorca nach Frankfurt am Main. Die Terroristen hatten Schusswaffen, Handgranaten und Plastiksprengstoff an Bord gebracht und lenkten das Flugzeug zunächst nach Rom. Ihre Forderungen: Geld, Freilassung von zwei Gesinnungsgenossen und der elf RAF-Gefangenen. Die Parallelen zum Entführungsfall Schleyer waren offensichtlich. Ein beispielloser Irrflug begann, der für die Passagiere mit großen Belastungen verbunden war – physisch wie psychisch.

In Aden im damaligen Südjemen wurde Flugkapitän Jürgen Schumann erschossen, als er von einer Außeninspektion der Maschine nicht schnell genug zurückkehrte. In Bonn spielte man auf Zeit – und beugte sich angeblich sogar den Forderungen der Terroristen. Zum einen, weil die Suche nach Hanns Martin Schleyer unvermindert weiterging, zum andern, weil man einen Trumpf in der Hinterhand hatte: Die auf Geiselbefreiungen spezialisierte Grenzschutzgruppe GSG 9. Das Team folgte der „Landshut“ in einer eigenen Maschine. Am 18. Oktober kam es schließlich in Mogadischu zur „Operation Feuerzauber“. Nach geheimen Verhandlungen mit den somalischen Behörden durfte die GSG 9 die „Landshut“ stürmen. Die Aktion war ein voller Erfolg – drei der Terroristen starben, alle Geiseln wurden befreit. Tatsächlich hatten die Geiselnehmer bereits alle Vorbereitungen zur Sprengung der Maschine getroffen und brennbare Flüssigkeiten über die Passagiere versprüht. Die Rettung kam also zur rechten Zeit. 

 

Stammheim – das Ende

Die „Operation Feuerzauber“ begann kurz nach Mitternacht mitteleuropäischer Zeit und dauerte drei Minuten. Um 0 Uhr 40 wurde ihr erfolgreicher Abschluss im Radio verkündet. Diese Nachricht leitete die sogenannte „Todesnacht in Stammheim“ ein, in deren Verlauf sich Andreas Baader und Jan-Carl Raspe erschossen, während sich Gudrun Ensslin erhängte. Nur Irmgard Möller, die sich Stichverletzungen beigebracht hatte, überlebte. Was war passiert?

Obwohl besondere Sicherheitsvorkehrungen herrschten, war es den Terroristen gelungen, Waffen einschleusen zu lassen. Andreas Baader etwa bewahrte seine Pistole zeitweise in seinem Plattenspieler auf. Auch war es dem technisch versierten Jan-Carl Raspe gelungen, die von Zelle zu Zelle verlaufenden Leitungen des ehemaligen Anstaltsrundfunks in eine Gegensprechanlage umzufunktionieren. Auf diese Weise konnte er die anderen Gefangenen über den Ausgang der Landshut-Entführung informieren. Was dann passierte, dürfte von langer Hand geplant gewesen sein. Um es so aussehen zu lassen, als wären die RAF-Mitglieder von fremder Hand getötet worden, schoss sich Baader eine Kugel ins Genick; ein Manöver, das prompt zu Irritationen führte, die aber rasch ausgeräumt werden konnten. Fraglich ist hingegen noch immer, inwiefern die Zellen abgehört wurden – und was die Behörden im Vorfeld von der Aktion wussten. Ebenso ungeklärt ist, wer wenige Stunden später Hanns Martin Schleyer erschoss, dessen Leiche am Folgetag im französischen Mülhausen gefunden wurde. Seine Familie hatte bis zum Schluss dafür gekämpft, den vierfachen Vater lebend zurückzuerhalten.

Im Folgejahr kam „Deutschland im Herbst“ in die Kinos, eine Sammlung von teils dokumentarischen, teils szenisch erzählten Kurzfilmen. Von ihm hat der „Deutsche Herbst“ seinen Namen.

 

von wissen.de-Autor Kai Jürgens

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