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Sigmund Freud: Pionier mit Hang zur Abstrusität
Auch 85 Jahre nach seinem Tod ist Sigmund Freud immer noch einer der großen Stars der Wissenschaftsgeschichte. Bekannt geworden ist der österreichische Arzt und Psychoanalytiker vor allem durch sein revolutionäres Verständnis des menschlichen Geistes und dessen Heilung. Auf Freud geht unter anderem die Idee zurück, dass unterbewusste Vorgänge unser Denken und Handeln beeinflussen. Oder dass es die Psyche enorm entlasten kann, mit anderen über seine Probleme zu sprechen und Ursachenforschung zu betreiben.
Ikonisch macht Freud auch, wie ausgiebig er sich in seiner prüden Zeit mit der Rolle der menschlichen Sexualität beschäftigt hat. Doch einige andere Lehren des 1939 verstorbenen Nervenarztes sorgen heute eher für Kopfschütteln und Schmunzeln.
Der Penisneid
Freud ging zum Beispiel davon aus, dass sich Frauen Männern gegenüber schon von Kindesbeinen an minderwertig fühlen – und zwar, weil sie diese um deren Penis beneiden. Die unterbewusste Sehnsucht nach einem eigenen Penis sorgt Freud zufolge zum Beispiel dafür, dass Frauen generell eifersüchtiger sind. Und auch beim Geschlechtsverkehr geht es für sie angeblich vor allem darum, zumindest kurzzeitig die Illusion eines eigenen Penis zu verspüren. Selbst der Kinderwunsch einer Frau ist in Wirklichkeit nur ihr Wunsch nach einem Penisersatz, wenn man Freud Glauben schenkt.
Wissenschaftlich belegt ist diese Theorie natürlich nicht. Sie spiegelt vielmehr die Geschlechterverhältnisse von Freuds Zeit wider: mit Männlichkeit als dem Normalzustand und Weiblichkeit als leidverursachender Abweichung davon. „Natürlich war auch Freud ein Kind seiner Zeit. Er hat die Psychoanalyse und die davon abgeleiteten Verfahren unter den Prämissen seiner Kultur und Gegenwart entwickelt“, ordnet Psychologe Martin Dornberg von der Universität Freiburg ein.
Der Ödipuskomplex
In anderen Fällen hat Freud sich weniger an den Begebenheiten seiner Zeit orientiert, sondern seine Theorien einfach auf seinen eigenen Lebenserfahrungen aufgebaut. Das bekannteste Beispiel dafür ist wahrscheinlich der sogenannte Ödipuskomplex, benannt nach der griechischen Sagengestalt des Ödipus. Dieser soll – ohne es zu wissen – den eigenen Vater getötet und später obendrein noch die eigene Mutter geheiratet haben.
Freud ging davon aus, dass es allen Jungen im Laufe ihres Lebens ähnlich geht – zumindest psychologisch betrachtet. Zwischen drei und fünf Jahren begehren sie demnach unbewusst ihre eigene Mutter sexuell und buhlen mit dem Vater um ihre Gunst. Am liebsten würden sie ihn sogar töten, um den Wettkampf zu gewinnen. Klingt abstrus, kommt aber offenbar vereinzelt vor.
Zumindest Freud soll beim Durchforsten seiner Träume und Erinnerungen aufgefallen sein, dass er als Junge in seine Mutter verliebt und auf seinen Vater eifersüchtig war. Er nahm daraufhin an, dass es allen Männern so gehen muss. Und dass diejenigen, die diese frühkindliche „ödipale“ Phase nicht überwinden, im Erwachsenenalter unter anderem Neurosen und Migräne entwickeln können. Wissenschaftlich sind diese Ideen aber natürlich nicht ansatzweise haltbar.
Schwein statt Schein: Freudsche Versprecher
Eine deutlich harmlosere Theorie des Nervenarztes ist da die sogenannte „Freudsche Fehlleistung“ – auch bekannt als „Freudscher Versprecher“. Freud ging davon aus, dass manche Versprecher wie „ökumenisch“ statt „ökonomisch“ nicht einfach aus Versehen passieren, sondern dass sie verborgene Einstellungen offenbaren. Sage ich zum Beispiel, dass die Machenschaften eines Konzerns zum „Vorschwein“ statt zum Vorschein gekommen sind, demonstriere ich damit, dass ich eben jene Machenschaften für eine Schweinerei halte.
Klingt zwar logisch, kommt in der Praxis aber wahrscheinlich so gut wie nie vor. Heute nimmt man stattdessen an, dass die meisten solchen Versprecher keinen tieferen Sinn haben und einfach entstehen, wenn die Sprachplanung in unserem Gehirn vorübergehend durcheinanderkommt.
Freud und das Kokain
All diese Theorien veranschaulichen Sigmund Freuds Eifer bei der Ergründung des menschlichen Geistes, aber eben auch sein fragwürdiges wissenschaftliches Vorgehen. Anders als moderne Psychoanalytiker, die repräsentativ ausgewählte Menschengruppen für Studien rekrutieren, stützte Freud seine Theorien einfach auf seine eigenen Erfahrungen und auf die seiner Patienten. Ein solches Vorgehen würde in der heutigen wissenschaftlichen Welt keinerlei Beachtung mehr finden.
Manche Historiker nennen mit einem Augenzwinkern jedoch noch eine weitere Inspirationsquelle des Nervenarztes: Kokain. Es ist kein Geheimnis, dass Freud begeistert war von der Droge und sie auch in Familie und Freundeskreis eifrig verteilte. Freud glorifizierte Kokain dabei zu einem wahren Wundermittel und schrieb sogar mehrere lobende Aufsätze darüber. Ihm zufolge konnte Kokain nicht einfach nur die Stimmung heben, sondern auch gegen allerhand Krankheiten helfen, darunter Depressionen, Appetitlosigkeit und Magenbeschwerden. Später im Leben revidierte Freud zwar seine Meinung, tat dies aber nur äußerst widerwillig.
Für seinen Tod am 23. September 1939 war allerdings wahrscheinlich nicht das Kokain, sondern sein hoher Nikotinkonsum verantwortlich. Er soll mehr als 20 Zigarren pro Tag geraucht und in der Folge Gaumenkrebs entwickelt haben. Gestorben ist der 83-Jährige allerdings dann an einer Überdosis Morphium, um die Freud seinen Arzt nach Jahren des Krebsleidens gebeten hatte.