In den vergangenen 2.500 Jahren hat die Medizin erstaunliche Fortschritte gemacht. Mittlerweile ist es nicht nur möglich, viele Infektionskrankheiten zu behandeln. Ärzte haben inzwischen auch andere Leiden, die selbst vor 100 Jahren als nicht therapierbar galten, im Griff. Allerdings kennt die moderne Medizin nach wie vor Erkrankungen, an denen selbst sie scheitert. Krebserkrankungen oder Autoimmunerkrankungen bedeuten für viele Betroffene immer noch einen langen Leidensweg.
Mit Entdeckung der Stammzellen hat die medizinische Forschung das Tor in einen Bereich aufgestoßen, der für viele Erkrankungen Heilung verspricht. Das Besondere an diesem Zelltyp ist das hohe Regenerations- und Differenzierungspotenzial. Eine Stammzelle, die als totipotent bezeichnet wird, ist zur Bildung eines neuen Organismus in der Lage. Pluripotenten Stammzellen fehlt diese Fähigkeit. Allerdings kann sich dieser Typ in Zelle aller drei Keimblätter verwandeln – und damit unterschiedliches Organgewebe heranwachsen lassen
Das Problem: Pluripotente Stammzellen entstehen nur im Zuge der Embryonalentwicklung. Obwohl die Medizin das Potenzial pluripotenter Stammzellen erkannt hat, ist deren Verwendung höchst umstritten. Der Grund für die Debatte liegt darin, dass zur Gewinnung der embryonalen Stammzellen eine Zerstörung des Embryos notwendig ist. Eine Stammzelle, die sich nur in Zelltypen einer Linie entwickeln kann, gilt immer noch als multipotent. Letztere findet die Medizin auch beim Erwachsenen – etwa im Knochenmark. Relativ neu ist die Erkenntnis, dass verwertbare multipotente Stammzellen auch nach der Geburt aus dem Nabelschnurblut gewonnen werden können.
Welche Arten von Stammzellen gibt es?
Grundsätzlich kann die Unterscheidung der Stammzelltypen anhand verschiedener Merkmale erfolgen. Auf der einen Seite wird heute häufig das Differenziationsvermögen zur Trennung der verschiedenen Zelltypen herangezogen. Daraus lässt sich folgendes Schema ableiten:
- otipotente Stammzelle differenzierbar in alle Zelltypen
- pluripotente Stammzelle differenzierbar in alle drei Keimblätter
- multipotente Stammzelle differenzierbar in Zelltypen einer Linie
- oligopotent Stammzelle differenzierbar in einige Zelltypen eines Gewebetyps
- unipotente Stammzelle bildet nur einen Zelltyp, regenerationsfähig.
Eine weitere Unterteilung der Stammzellen findet auf Basis ihres Antreffens im Organismus statt. Dabei dient der Abschluss der Embryonalentwicklung laut Deutscher Forschungsgemeinschaft als Trennlinie – zwischen den embryonalen (endet beim Menschen etwa mit acht bis neun Wochen) und post-embryonalen Stammzellen. Letztere lassen sich noch weiter unterteilen, es treten:
- fötale Stammzellen
- neonatale Stammzellen sowie
- adulte Stammzellen
auf. Aufgrund der ethischen Debatte rund um die embryonale Stammzellforschung und Verwendung kommen im medizinischen Alltag heute nur adulte Stammzellen zum Einsatz. Diese sind auch nach der Geburt im Organismus vorhanden und erneuern Zellen der verschiedenen Organe. Da es sich hier aber nur um multipotente Stammzellen handelt, kann ein Stammzelltyp immer nur Zellen eines Gewebetyps herstellen. Neuronale Stammzellen bilden Nervenzellen – und können kein Gewebe des Herzmuskels entstehen lassen. Details zu einzelnen Stammzellarten werden auf Seracell.de weiter ausgeführt.
Welche Einsatzmöglichkeiten bieten sich künftig eventuell in der Medizin?
Aktuell sind die Einsatzgebiete der Stammzellen in der Medizin überschaubar. Vorrangig kommen die Zellen als Transplantate dort zum Einsatz, wo durch eine Tumorbehandlung die Stammzellen des Empfängers geschwächt sind. Dies kann aufgrund einer Chemotherapie der Fall sein, da die medizinisch wirksamen Substanzen nicht zwischen den entarteten Zellen und den regenerativen Stammzellen unterscheiden. Ein weiteres Anwendungsfeld sind Leukämie oder Lymphome.
Die Gewinnung der adulten Stammzellen erfolgt hier unter anderem:
- über die Knochenmarkspende (Punktion des Beckenknochens)
- durch die Stammzellapherese (Gewinnung von Stammzellen aus dem Blut) oder
- das Nabelschnurblut
erfolgen. Die genannten Behandlungen sind allerdings längst nicht alle Einsatzgebiete, an denen die Medizin in der Stammzellforschung arbeitet. Speziell im Zusammenhang mit den embryonalen Stammzellen hat man die Bildung von neuen Organen im Blick. Aufgrund der Herausforderungen und Probleme ist dieses Forschungsfeld von einer praktischen Anwendung allerdings noch weit entfernt.
Allerdings deuten Studien (meist im Tierversuch) darauf hin, dass bereits die Verwendung der multipotenten Stammzellen Potenzial für eine breite Anwendung hat. Priorität hierbei genießen derzeit:
- die Krebstherapie (z. B. von Hirntumoren),
- die Behandlung von Lähmungen,
- eine Therapie von infarktgeschädigten Organen,
- die Knochen- und Knorpelregeneration,
- und die Behandlung von Erkrankungen wie Parkinson.
Wann ist realistisch mit einem großflächigen Einsatz entsprechender Techniken zu rechnen?
Mithilfe von Stammzellen neue Organe wachsen lassen – diese Vision wird auch in den nächsten fünf bis zehn Jahren Zukunftsmusik bleiben. Auch wenn entsprechende Forschungen betrieben werden – in der Regel stammen die Erkenntnisse aus Tierversuchen. Auf lange Sicht ist mit diesem Aspekt der Stammzellmedizin eher nicht zu rechnen. Wesentlich mehr Potenzial wird der Einsatz von adulten Stammzellen im Zusammenhang mit der Regenerationsfähigkeit haben.
Bereits heute steigt die Zahl der Transplantationen jedes Jahr deutlich an. Wann die Stammzelltherapie ein Standard wie die Entfernung des Blinddarms oder eine Darmspiegelung sein wird, steht allerdings in den Sternen. Hierzu müssen schließlich nicht nur die entsprechenden wissenschaftlichen Grundlagen und Erkenntnisse vorhanden sein. Jedes neue Behandlungsverfahren setzt die Entwicklung entsprechender Standards – auch im Hinblick auf die Hardware – voraus.
Ein weiteres Problem besteht in der Bereitstellung ausreichender Stammzellen. Für jede Behandlung ist eine „kritische“ Masse notwendig, die schon heute bei mehreren Millionen Stück je Transplantat liegt. Nur wenn diese Menge für unterschiedliche Empfängertypen vorhanden ist, kann eine Vielzahl von Behandlungen erfolgen. Hierfür muss entweder durch Spenden eine hohe Zahl an Präparaten zur Verfügung stellen – oder die Medizin entwickelt Vermehrungstechniken, um die Stammzellzahl zu erreichen. In Teilen ist dies bereits gelungen, wie ein Artikel auf scinexx.de zeigt.
Mit Stammzellen in ein neues Leben
Kinder und Erwachsene können in Zukunft von der Stammzelltherapie profitieren. Gerade bei schweren Erkrankungen, welche die Blutbildung und Zellregeneration beeinflussen, macht diese Therapie Hoffnung. Und sie hat in der Vergangenheit mehrfach gezeigt, wozu Stammzellen in der Lage sind. Nicht ohne Grund werden bereits heute Leukämie- und Krebspatienten mit deren Hilfe behandelt. Allerdings darf man sich davon kein Allheilmittel erwarten.
Die Stammzellforschung berührt in einigen Punkten ethische Grundvorstellungen und moralische Tabus – wie die „Zucht“ von Embryos durch Klonen. In Zukunft wird man nicht nur viele neue Einsatzmöglichkeiten der Stammzellen entdecken. Die Gesellschaft wird sich fragen müssen, wie weit man für den Heilungserfolg schwerer Krankheiten gehen will. Ein Ausweg aus diesem Dilemma wäre die Herstellung künstlicher Stammzellen.