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Warum macht TikTok uns „süchtig“?

Lustige Katzen, synchrone Tänze, angeberische Reisevideos und das alles im Schnelldurchlauf: Willkommen bei TikTok. Wäre die knallbunte App eine Person, wäre sie vermutlich ein Showmaster, der so einnehmend erzählen und unterhalten kann, dass die Zuschauer die Zeit aus den Augen verlieren. Aber wie stellt TikTok das an? Warum macht es uns so süchtig?
AMA, 12.10.2022
Symbolbild TikTok

unsplash.com / Franck (Free-Hotspot.com)

Bei TikTok können Nutzer kurze, unterhaltsame Videos hochladen. Diese werden anderen Nutzern dann vorgeschlagen. Scrollen sie weiter, gelangen sie zum nächsten Vorschlag und zum nächsten und zum nächsten. 2019 wurden Nutzerdaten von TikTok geleakt, laut denen der durchschnittliche deutsche Nutzer achtmal täglich die App öffnete und jeden Tag 39 Minuten im Reich der kurzen Entertainment-Knaller verbrachte.

Aktuelle Erhebungen nennen mittlerweile über 50 Minuten oder sogar anderthalb Stunden, die wir täglich TikToks anschauen. Damit hat sich TikTok unangefochten an die Spitze jener sozialen Medien katapultiert, die es verstehen, die Aufmerksamkeit ihrer Nutzer so lange wie möglich in der App zu halten. Das gelingt den Entwicklern auf verschiedene Arten.

Videos wie für mich gedreht

Ein Feature von TikTok, dank dem wir die App oft nur schwer schließen können, ist der stark personalisierte Feed. Mithilfe von künstlicher Intelligenz findet TikTok schnell und präzise heraus, für welche Art von Inhalten sich ein Nutzer begeistert. Das beginnt bei den Kategorien, die man beim Einrichten der App als Favoriten auswählen muss, etwa Tiere oder Reisen. Und endet damit, dass die App genau erfasst, welche Art von Content ich like, teile, bis zum Ende schaue oder überspringe.

Je mehr Zeit Nutzer auf TikTok verbringen, desto besser lernt die App sie kennen und desto perfekter passen die Videovorschläge zu ihren Bedürfnissen. Der Vorteil für die Plattform: Wenn ich fast ausschließlich Videos genau nach meinem Geschmack vorgeschlagen bekomme und sehe, bleibe ich länger auf TikTok, schaue weitere Videos und verliere dabei vielleicht mein Zeitgefühl.

Ein virtueller Glücksspielautomat

In dieser Hinsicht haben TikTok und Social Media-Apps im Allgemeinen einige Ähnlichkeiten mit Spielautomaten. Statt am Hebel zu ziehen und auf den Jackpot zu hoffen, wischt der Nutzer zum nächsten Video und hofft auf einen unterhaltsamen Fund. Da ich nie weiß, ob das nächste Video mir einen Lachanfall beschert oder mich uninteressiert weiterwischen lässt, bleibt die Spannung erhalten. Das hält die Nutzer in der App und lässt sie weiterscrollen, auf der Suche nach dem nächsten großen Volltreffer.

Das lässt uns manchmal endlos scrollen und versetzt uns in einen trance-ähnlichen Zustand. In diesem „Flow” sind wir voll und ganz auf die TikTok-Videos fokussiert und vergessen die Zeit. Dazu trägt ebenfalls bei, dass die Videos den gesamten Bildschirm einnehmen und dadurch alles ausblenden, was vom Scrollen ablenken könnte. Außerdem ist die Navigation in der App sehr einfach und übersichtlich, was Ablenkung noch weiter ausschließt.

Die Macht der Likes

Ein Suchtfaktor, der auf soziale Medien generell zutrifft, sind Likes. Wenn wir Likes erhalten, fühlen wir uns anerkannt und dazugehörig. Das lässt sich sogar in Live-Hirnscans beobachten. In einem Experiment sahen Studienteilnehmende, wie ihre eigenen Instagram-Beiträge gelikt wurden, und das aktivierte eine Region in ihrem Gehirn, in der Glückgefühle entstehen, der sogenannte Nucleus accumbens.

Wer selbst TikTok-Videos produziert und sich durch die Likes anderer bestätigt fühlt, wird vermutlich immer mehr solcher Videos drehen, um dieses Gefühl öfter zu erleben. Aber auch wenn wir Likes an andere verteilen, kann das dazu führen, dass wir die App häufiger nutzen. Wie fühlen uns dadurch nämlich mit der Plattform persönlich verbunden und verbringen deshalb mehr Zeit darauf.

Bin ich süchtig?

Nur weil man viel Zeit auf TikTok verbringt, ist man aber nicht automatisch süchtig nach der App. In einer Studie mit 173 Studierenden, die die App nutzten, kamen die Wissenschaftler zu dem Ergebnis, dass sieben von zehn Nutzern kein Risiko haben, süchtig nach TikTok zu werden. Nur bei weniger als jedem zehnten User haben die Forschenden ein hohes Risiko für eine Abhängigkeit ermittelt.

Hellhörig sollte man also erst werden, wenn die TikTok-Nutzung irgendwann solche Ausmaße annimmt, dass das echte Leben zu kurz kommt und die App den Alltag bestimmt. Warnzeichen sind etwa, dass man TikTok ständig automatisch öffnet, dass Schule, Beruf, Hobbies und soziale Kontakte zu kurz kommen oder dass die Stimmung schwankt oder in den Keller sinkt, wenn man TikTok gerade nicht benutzen kann.

Tipps für achtsamen Umgang mit TikTok

Wenn User das Gefühl haben, die Kontrolle über ihren TikTok-Konsum zu verlieren, können schon kleine Verhaltensänderungen helfen, um eine psychische Abhängigkeit abzuwenden. Dazu zählt, die Nutzung zeitlich zu begrenzen, Push-Benachrichtigungen zu deaktivieren oder die App in einen Unterordner zu legen, sodass sie beim Blick aufs Smartphone nicht direkt präsent ist. Es kann auch helfen, sich nach der Nutzung aus der App auszuloggen, sodass ein erneutes Öffnen mit dem Aufwand verbunden ist, sich wieder einloggen zu müssen.

Radikalere Maßnahmen wären ein kompletter Verzicht oder ein Löschen der App. Sollten diese Maßnahmen nicht helfen, um vom ständigen Gedanken an die App loszukommen, kann eine psychologische Verhaltenstherapie sinnvoll sein, in der man lernt, die Kontrolle zurückzugewinnen.

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