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Warum sind immer mehr Menschen kurzsichtig?
Menschen mit Brille sind längst kein seltener Anblick mehr. Hierzulande sind rund 41,1 Millionen Menschen ab 16 Jahren auf eine Sehhilfe angewiesen – das entspricht zwei von drei Erwachsenen. In einigen asiatischen Ländern wie China oder Südkorea sind die Zahlen sogar noch extremer. Dort sind über 90 Prozent der unter 20-Jährigen kurzsichtig. Und die Zahlen könnten weiter steigen: Ist aktuell rund ein Drittel der Weltbevölkerung kurzsichtig, könnte es Schätzungen zufolge bis 2025 bereits die Hälfte sein. Aber was verursacht diesen Trend?

Der Lebensstil entscheidet
Bis zum Alter von Anfang bis Mitte 20 wachsen unsere Augen noch und versuchen, die für unsere Sehgewohnheiten optimale Form zu entwickeln. Besonders prägend ist dabei unsere Kindheit und Jugend. Fokussieren wir unseren Blick in dieser Zeit häufig auf Objekte in unmittelbarer Nähe – wie Bücher oder Smartphones – passt sich die Augenform dem an und wird länger, um nahe Bilder bequemer scharf auf der Netzhaut abbilden zu können. Darunter leidet dann allerdings die Fernsicht, was uns wiederum kurzsichtig macht.
Das erklärt auch, warum das Risiko für Kurzsichtigkeit mit dem Bildungsgrad steigt. Schließlich müssen wir viel lesen, schreiben und Zeit am Computer verbringen, um einen höheren Bildungsabschluss zu erzielen. Unter Abiturienten sind daher rund ein Drittel von Kurzsichtigkeit betroffen, unter Personen mit Hochschulabschluss sogar die Hälfte.
Neben Naharbeit ist aber auch entscheidend, wie viel Zeit wir im Freien verbringen. Das liegt unter anderem an der enormen Helligkeit des Sonnenlichts. Während in Innenräumen maximal 500 Lux herrschen, sind es draußen selbst an trüben Tagen über 10.000 Lux. Das helle Licht hemmt das Längenwachstum des Augapfels und schützt dadurch vor Kurzsichtigkeit. Außerdem schauen wir draußen automatisch mehr in die Ferne als drinnen.
Mehr toben, weniger daddeln
Dass immer mehr Menschen kurzsichtig sind, hängt also offenbar damit zusammen, dass sich unsere Lebensgewohnheiten in den vergangenen Jahrzehnen drastisch verändert haben. Kinder und Jugendliche verbringen heute weniger Zeit im Freien und dafür mehr Zeit an Tablets und Smartphones. Besonders extrem ist dieses Verhältnis in den Ländern mit den höchsten Kurzsichtigkeitsquoten, also zum Beispiel in China oder Südkorea.
Indem wir verstehen, was uns in jungen Jahren in die Kurzsichtigkeit drängt, können wir dem allerdings auch effektiver entgegenwirken. Die einfache Formel: Mehr draußen und dafür weniger am Handy sein. Schon 40 Minuten täglich draußen spielen können das Risiko verringern, dass ein Kind kurzsichtig wird, wie eine Studie an chinesischen Grundschülern ergeben hat. Tablet und Bücher müssen dabei jedoch nicht komplett aus dem Leben Heranwachsender weichen. Ein simpler Trick besteht darin, den Leseabstand auf mindestens 30 Zentimetern zu erhöhen und alle 20 Minuten eine kurze Pause einzulegen, bei der man den Blick in die Ferne schweifen lässt.
Kurzsichtigkeit ist nicht zu unterschätzen
Mithilfe dieser Empfehlungen eine Kurzsichtigkeit zu verhindern, spart uns nicht nur viel Geld und Nerven, sondern schützt auch unsere Augengesundheit. Da mittlerweile viele Menschen eine Brille tragen, erscheint die Diagnose Kurzsichtigkeit auf den ersten Blick vielleicht nicht so schlimm, doch im späteren Leben kann sie große Probleme bereiten.
„Schon bei einer Kurzsichtigkeit zwischen -1 und -3 Dioptrien ist das Risiko einer Netzhautablösung viermal höher als bei normalsichtigen Augen, bei einer Kurzsichtigkeit zwischen -3 und -6 Dioptrien ist das Risiko sogar zehnmal so hoch“, erklärt Augenarzt Joachim Wachtlin. Bei etwa fünf bis zehn Prozent der stark kurzsichtigen Augen bilden sich im Bereich des schärfsten Sehens außerdem krankhafte Blutgefäße, die unbehandelt zu Sehschäden führen können.
Ein weiterer Nebeneffekt von Kurzsichtigkeit: Das Bindegewebe, das die Augenmuskeln an Ort und Stelle hält, kann bei einem verlängerten Augapfel mit der Zeit überdehnt werden. Das wiederum kann im mittleren bis hohen Erwachsenenalter Schielen verursachen. Wenn eine Kurzsichtigkeit vorliegt, sollte man daher nicht nur den Optiker, sondern auch den Augenarzt für regelmäßige Check-ups aufsuchen.