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Ägypten: Urlauberparadies oder Unruheherd?
Revolution und Machtkämpfe am Nil
Eine Demokratie hat es allerdings noch lange nicht, denn nachdem die Demonstranten ihr gemeinsames Ziel, den Sturz des „Pharaos“, erreicht haben, teilen sich die politischen Lager wieder. Islamisten, liberale Kräfte, Militärs und die zivilen Profiteure des alten Regimes ringen mit allen Mitteln um die Macht am Nil. Immer wieder kommt es zu Protesten und gewaltsamen Ausschreitungen, zuletzt im Dezember 2012, als der neue, islamistisch orientierte Präsident Mursi im Eilverfahren eine Volksabstimmung über die höchst umstrittene neue Verfassung Ägyptens anberaumt.
Der Kampf um Freiheit verschreckt die Touristen
Brot, Freiheit und Würde – die drei Forderungen, die die Demonstranten in den Tagen der Revolution skandierten, sind bis heute nicht umgesetzt. Besonders am Brot, also am wirtschaftlichen Wohlstand, hapert es mehr denn je, denn die Unruhen haben der Wirtschaft stark zugesetzt. Vor allem die Tourismusbranche – einer der stärksten Wirtschaftsfaktoren im Land – verzeichnet seit der Revolution starke Einbußen.
Kamen 2010 noch 14,7 Millionen Touristen ins Land, reisten im Revolutionsjahr 2011 nur noch zehn Millionen Urlauber ein. Trotz eines leichten Zuwachses 2012 liegen die Einnahmen aus dem Tourismus noch immer weit unter den Zahlen, die man im Land der Pharaonen vor der Revolution gewohnt war. Für 2013 gibt sich die neue Regierung allerdings optimistisch. Man rechne mit 14 Millionen Besuchern, kündigte Magdy Selim, Unterstaatssekretär im ägyptischen Tourismus-Ministerium, im Januar an. 13 Milliarden Dollar sollen die Touristen ins Land bringen, 30 Prozent mehr als 2012.
Die deutsche Reisebranche sieht die touristische Zukunft Ägyptens weniger positiv. Das zeigt eine aktuelle Umfrage des Reiseindustrie-Netzwerks Travel Industry Club unter Managern der deutschen Tourismusbranche: 82 Prozent der Befragten waren der Meinung, dass Ägypten 2013 nicht zur Ruhe und als Reiseland zu seiner alten Stärke zurückkehren wird. 76 Prozent vermuteten gar, dass sich die Entwicklung noch mehrere Jahre auf den Tourismus auswirken wird.
Ungetrübte Urlaubsfreuden?
Die – ebenfalls islamistisch ausgerichtete – regierende Freiheits- und Gerechtigkeitspartei gibt sich pragmatischer. Es werde keine Alkohol- und Bikiniverbote für Touristen geben, versicherte Präsident Mursi im Wahlkampf 2012. Bis jetzt hält die Partei Wort – die Einnahmen aus dem Tourismus sind einfach zu wichtig für das wirtschaftlich gebeutelte Ägypten.
Sichere Reiseziele in Ägypten
Auch wenn die Touristenzahlen seit der Revolution gesunken sind, wagen doch nach wie vor jeden Monat mehrere hunderttausend Urlauber den Besuch in Ägypten. Eine offizielle Reisewarnung des Auswärtigen Amtes gibt es nicht, immerhin aber einen ausführlichen Reise- und Sicherheitshinweis. Wer dem folgt, hat gute Aussichten auf einen ungetrübten Urlaub in dem alten Land. Die beiden Großstädte Kairo und Alexandria, die oberägyptischen Sehenswürdigkeiten in Luxor und Assuan, Nilkreuzfahrten sowie Urlaube in der Region um Hurghada stuft das Auswärtige Amt als ungefährlich ein, sofern die Touristen einige grundlegende Regeln beachten, sich etwa von Demonstrationen fernhalten und die Medienberichterstattung verfolgen.
Auch Reisen in die Touristenregionen zwischen Sharm El-Sheikh und Nuweiba auf der Sinai-Halbinsel hält das Auswärtige Amt für unkritisch. Aus dem nördlichen Sinai und dem israelischen Grenzgebiet allerdings sollten sich Touristen ebenso fernhalten wie aus jeder anderen entlegenen Gegend. Kurz: Wer auf den ausgetretenen touristischen Pfaden in Ägypten wandelt, hat wenig zu befürchten.
Trotzdem ist nicht jeder Reisetermin ideal: Im Frühjahr 2013 finden in Ägypten Parlamentswahlen statt. Während Tauchurlauber am Roten Meer wenig davon mitbekommen dürften, ist nicht ausgeschlossen, dass Touristen in Kairo oder Alexandria unfreiwillig Zeugen von Demonstrationen werden.
Die ägyptische Geschichte geht weiter
Über 4.500 Jahre sind die berühmten Pyramiden von Gizeh alt, das einzige erhaltene der sieben Weltwunder der Antike. Selbst für den jungen Pharao Tutanchamun, der um um 1325 v. Chr. regierte, lag der Bau der Pyramiden weiter in der Vergangenheit als Karl der Große für uns. Vielleicht hat er ähnlich beindruckt die Bauwerke seiner Ahnen bestaunt wie die heutigen Touristen.
Die Griechen, die arabischen Eroberer, Napoleons Truppen und britische Kolonialherren haben ihre Spuren in Ägypten hinterlassen und die Geschicke des Landes für eine Weile beeinflusst. Wer den historischen Bogen von der Antike bis in die Gegenwart schlägt, mag auch die Revolution von 2011 in anderem Licht sehen: Nicht als Unruhequelle, die den Urlaub im antiken Paradies stört, sondern als Start in einen neuen, wichtigen Abschnitt in der langen Geschichte Ägyptens.