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Ägypten: Urlauberparadies oder Unruheherd?

Anfang 2011 hat das ägyptische Volk in nur 18 Tagen seinen Präsidenten abgesetzt und den Weg zur Demokratie beschritten. Aber der erweist sich als steinig: Die Vorstellungen von Volk und Politikern über das post-revolutionäre Ägypten klaffen weit auseinander. Kann man in diesen Zeiten des Umbruchs trotzdem noch Urlaub in Ägypten machen?
von wissen.de-Redakteurin Alexandra Mankarios, Januar 2013

Revolution und Machtkämpfe am Nil

Massenproteste in Ägypten
Picture-Alliance GmbH, Frankfurt/Amel Pain
Kairo am 28. Januar 2011: Seit drei Tagen finden sich die Ägypter zu Massenprotesten gegen Präsident Mubarak zusammen. An diesem Freitag rufen sie den „Tag des Zorns“ aus und versammeln sich zu Zehntausenden in allen Städten des Landes. Um die Organisation der Proteste zu verhindern, hat das Regime die Mobilfunknetze und das Internet lahmgelegt, aber die Menschen lassen sich davon nicht vom Demonstrieren abhalten. Spätestens jetzt wird der Regierung in Ägypten und der ganzen Welt klar: Der Funke des Arabischen Frühlings ist von Tunesien auf Ägypten übergesprungen und lässt sich nicht mehr löschen. Nach Jahrzehnten der Unterdrückung haben die Menschen plötzlich ihre Angst verloren. Am 11. Februar, nur 18 Tage nach Beginn der Proteste, tritt Präsident Mubarak zurück – das Volk hat gesiegt.

Eine Demokratie hat es allerdings noch lange nicht, denn nachdem die Demonstranten ihr gemeinsames Ziel, den Sturz des „Pharaos“, erreicht haben, teilen sich die politischen Lager wieder. Islamisten, liberale Kräfte, Militärs und die zivilen Profiteure des alten Regimes ringen mit allen Mitteln um die Macht am Nil. Immer wieder kommt es zu Protesten und gewaltsamen Ausschreitungen, zuletzt im Dezember 2012, als der neue, islamistisch orientierte Präsident Mursi im Eilverfahren eine Volksabstimmung über die höchst umstrittene neue Verfassung Ägyptens anberaumt.

 

Der Kampf um Freiheit verschreckt die Touristen

Brot, Freiheit und Würde – die drei Forderungen, die die Demonstranten in den Tagen der Revolution skandierten, sind bis heute nicht umgesetzt. Besonders am Brot, also am wirtschaftlichen Wohlstand, hapert es mehr denn je, denn die Unruhen haben der Wirtschaft stark zugesetzt. Vor allem die Tourismusbranche – einer der stärksten Wirtschaftsfaktoren im Land – verzeichnet seit der Revolution starke Einbußen.

Kamen 2010 noch 14,7 Millionen Touristen ins Land, reisten im Revolutionsjahr 2011 nur noch zehn Millionen Urlauber ein. Trotz eines leichten Zuwachses 2012 liegen die Einnahmen aus dem Tourismus noch immer weit unter den Zahlen, die man im Land der Pharaonen vor der Revolution gewohnt war. Für 2013 gibt sich die neue Regierung allerdings optimistisch. Man rechne mit 14 Millionen Besuchern, kündigte Magdy Selim, Unterstaatssekretär im ägyptischen Tourismus-Ministerium, im Januar an. 13 Milliarden Dollar sollen die Touristen ins Land bringen, 30 Prozent mehr als 2012.

Die deutsche Reisebranche sieht die touristische Zukunft Ägyptens weniger positiv. Das zeigt eine aktuelle Umfrage des Reiseindustrie-Netzwerks Travel Industry Club unter Managern der deutschen Tourismusbranche: 82 Prozent der Befragten waren der Meinung, dass Ägypten 2013 nicht zur Ruhe und als Reiseland zu seiner alten Stärke zurückkehren wird. 76 Prozent vermuteten gar, dass sich die Entwicklung noch mehrere Jahre auf den Tourismus auswirken wird.

 

Ungetrübte Urlaubsfreuden?

Am ersten Jahrestag der Revolution in Ägypten
Picture-Alliance GmbH, Frankfurt/virginie Nguyen Hoang/wostok
Die Skepsis der Urlauber hat zwei Ursachen: Einerseits schreckt die unübersichtliche politische Lage im Land viele Touristen ab – insbesondere in Kairo, wo der Tahrir-Platz, Ausgangspunkt und Herzstück der Revolution, direkt ans berühmte Ägyptische Museum grenzt. Zum anderen mögen die hohen Wahlerfolge islamistischer Parteien in Ägypten manchen Touristen daran zweifeln lassen, ob er an Nil und Rotem Meer noch willkommen ist. In der Tat hatten die Islamisten Ägyptens auf einer eigenen Tourismuskonferenz im Dezember 2011 über religionskonforme Reisekonzepte nachgedacht – und damit schwerlich den Geschmack westlicher Touristen getroffen. So zum Beispiel mit dem Vorschlag, den der salafistische Geistliche Yasser Bourhami gegenüber dem Fernsehsender DreamTV vorstellte: „Ein Fünf-Sterne-Hotel ohne Alkoholausschank, getrennte Strände für Männer und Frauen, an denen beide Seiten eine Woche sündenfreie Ferien verbringen können.“

Die – ebenfalls islamistisch ausgerichtete – regierende Freiheits- und Gerechtigkeitspartei gibt sich pragmatischer. Es werde keine Alkohol- und Bikiniverbote für Touristen geben, versicherte Präsident Mursi im Wahlkampf 2012. Bis jetzt hält die Partei Wort – die Einnahmen aus dem Tourismus sind einfach zu wichtig für das wirtschaftlich gebeutelte Ägypten.

 

Sichere Reiseziele in Ägypten

Auch wenn die Touristenzahlen seit der Revolution gesunken sind, wagen doch nach wie vor jeden Monat mehrere hunderttausend Urlauber den Besuch in Ägypten. Eine offizielle Reisewarnung des Auswärtigen Amtes gibt es nicht, immerhin aber einen ausführlichen Reise- und Sicherheitshinweis. Wer dem folgt, hat gute Aussichten auf einen ungetrübten Urlaub in dem alten Land. Die beiden Großstädte Kairo und Alexandria, die oberägyptischen Sehenswürdigkeiten in Luxor und Assuan, Nilkreuzfahrten sowie Urlaube in der Region um Hurghada stuft das Auswärtige Amt als ungefährlich ein, sofern die Touristen einige grundlegende Regeln beachten, sich etwa von Demonstrationen fernhalten und die Medienberichterstattung verfolgen.

Auch Reisen in die Touristenregionen zwischen Sharm El-Sheikh und Nuweiba auf der Sinai-Halbinsel hält das Auswärtige Amt für unkritisch. Aus dem nördlichen Sinai und dem israelischen Grenzgebiet allerdings sollten sich Touristen ebenso fernhalten wie aus jeder anderen entlegenen Gegend. Kurz: Wer auf den ausgetretenen touristischen Pfaden in Ägypten wandelt, hat wenig zu befürchten.

Trotzdem ist nicht jeder Reisetermin ideal: Im Frühjahr 2013 finden in Ägypten Parlamentswahlen statt. Während Tauchurlauber am Roten Meer wenig davon mitbekommen dürften, ist nicht ausgeschlossen, dass Touristen in Kairo oder Alexandria unfreiwillig Zeugen von Demonstrationen werden.

 

Die ägyptische Geschichte geht weiter

Über 4.500 Jahre sind die berühmten Pyramiden von Gizeh alt, das einzige erhaltene der sieben Weltwunder der Antike. Selbst für den jungen Pharao Tutanchamun, der um um 1325 v. Chr. regierte, lag der Bau der Pyramiden weiter in der Vergangenheit als Karl der Große für uns. Vielleicht hat er ähnlich beindruckt die Bauwerke seiner Ahnen bestaunt wie die heutigen Touristen.

Theben und seine Totenstadt
shutterstock.com/Jose Ignacio Soto
Was Tutanchamun allerdings noch nicht voraussehen konnte und was auch manchem Ägyptenbesucher in heutiger Zeit entgehen mag: Die Geschichte Ägyptens ist nicht nur eine pharaonische. Wer sich die Mühe macht, vor Reiseantritt etwas tiefer in die Geschichte des Landes einzusteigen, erschließt sich eine reiche Chronologie vieler Kulturen und Religionen – und bekommt vielleicht Lust, nicht nur die antiken Stätten, sondern auch zum Beispiel die hängende Kirche aus dem 4. Jahrhundert im Kern der historischen christlichen Altstadt Kairos oder die beiden riesigen spätmittelalterlichen Moscheen Ar-Rifa’i und Sultan Hassan zu besuchen.

Die Griechen, die arabischen Eroberer, Napoleons Truppen und britische Kolonialherren haben ihre Spuren in Ägypten hinterlassen und die Geschicke des Landes für eine Weile beeinflusst. Wer den historischen Bogen von der Antike bis in die Gegenwart schlägt, mag auch die Revolution von 2011 in anderem Licht sehen: Nicht als Unruhequelle, die den Urlaub im antiken Paradies stört, sondern als Start in einen neuen, wichtigen Abschnitt in der langen Geschichte Ägyptens.

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