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Relativitätstheorie: Ganz schön abstrakt

Ist alles relativ?

Im Prinzip ja, doch es gibt eine Ausnahme: die Lichtgeschwindigkeit. Anders als in der klassischen Newton' schen Vorstellung sind nach Albert Einsteins Relativitätstheorie Zeit, Raum und Masse veränderlich, also »relativ«. Sogar die Frage, ob zwei Ereignisse gleichzeitig ablaufen oder nicht, ist nach Einstein vom Bewegungszustand des Beobachters abhängig. Die Lichtgeschwindigkeit hingegen, die für Newton davon abhängig war, ob man sich auf eine Lichtwelle zubewegt, sich von ihr entfernt oder mit ihr »Schritt hält«, ist nach Einstein absolut unveränderlich. Und dies ist nicht nur eine theoretische Vorstellung, sondern wurde schon vor über hundert Jahren durch Präzisionsmessungen bestätigt: Die Lichtgeschwindigkeit ist in allen Richtungen gleich groß und unabhängig vom Bewegungszustand eines Beobachters.

Was ist Bewegung?

Ebenfalls eine relative Größe. Manchmal sitzen wir in einem Zug, der in einem Bahnhof steht und blicken auf einen direkt benachbarten Waggon. Bewegt sich einer der beiden Züge nur langsam, dann können wir zunächst nicht entscheiden, welcher Zug fährt: der, in dem wir sitzen, oder derjenige, den wir betrachten. Erst wenn eine Beschleunigung spürbar wird, wissen wir, dass unser Zug angefahren ist. Fehlt diese Beschleunigung, muss es der andere Zug sein. Unsere Beobachtung ist somit nicht absolut, sondern sie bezieht sich auf etwas, nämlich auf den Bewegungszustand unseres Wagens. Ein System, auf das man seine Beobachtungen beziehen kann, wird Bezugssystem genannt. Ein am Bahndamm stehender Beobachter würde, bezogen auf seine Umgebung, etwas anderes beobachten. Er befindet sich in einem anderen Bezugssystem als wir.

Von ganz besonderer Bedeutung sind Bezugssysteme, die sich gleichförmig bewegen, die also nicht beschleunigt werden. Man spricht auch von Inertialsystemen. Auf den ersten Blick trivial, aber nicht selbstverständlich: Ein Abstand von einem Meter wird immer als ein Meter gemessen, egal, in welchem Inertialsystem man sich aufhält. Ebenso ist in einem solchen System eine Zeit von einer Sekunde überall genau eine Sekunde.

Ist schnell plus schnell gleich doppelt schnell?

Das gilt genau genommen nur in Inertialsystemen und hier auch nur, wenn die betrachteten Geschwindigkeiten klein im Vergleich zur Lichtgeschwindigkeit sind.

Eine in einem mit konstanter Geschwindigkeit x dahingleitenden Zug in Fahrtrichtung abgefeuerte Kugel besitzt bezüglich des Zuges zum Beispiel die Geschwindigkeit y. Ein Beobachter am Bahnsteig dagegen würde für die Kugel die Geschwindigkeit x + y messen (wenn er über das geeignete Messgerät verfügte). Zug und Bahnsteig sind beides Inertialsysteme: In ihnen sind daher die Maßstäbe für Länge (Raum) und Zeit identisch, und nur deswegen kann die Geschwindigkeit in dem einen System einfach zur Geschwindigkeit im anderen System addiert werden.

Kann man das Licht einholen?

Nein, und zwar weil die Lichtgeschwindigkeit konstant ist. Im Vakuum beträgt sie 299 792 km/s. Albert Einstein erkannte das revolutionäre Potenzial dieses Resultats: Wenn ich bei Licht, dem ich »entgegenfliege«, genau die gleiche Geschwindigkeit messe wie bei Licht, dem ich »hinterhereile«, dann können die bisherigen Vorstellungen von Zeit, Raum und Geschwindigkeit nicht stimmen. Einstein zog die radikale Konsequenz, dass diese Größen nicht absolut definiert werden können. Stattdessen hängen die Dauer eines Vorgangs, die Größe eines Körpers und die Frage, ob Prozesse gleichzeitig ablaufen oder nicht, vom Bewegungszustand des Beobachters (oder abstrakt: vom Bewegungszustand des Bezugssystems) ab. Ein absolutes Bezugssystem (wie etwa den »Äther«) gibt es nicht. Das ist die Relativität, die Einstein meinte.

Laufen Uhren langsamer, wenn sie sich bewegen?

Ja. Dies ist eine der Konsequenzen des Relativitätsprinzips. Fliegt ein Raumschiff an einem Beobachter auf der Erde mit einer Geschwindigkeit knapp unter Lichtgeschwindigkeit vorbei, so scheint von ihm aus gesehen die Zeit auf dem Raumschiff langsamer zu vergehen (Zeitdilatation). Gleichzeitig erscheint dessen Länge dem Beobachter in Flugrichtung gestaucht (Längenkontraktion)! Das mag für unsere Ohren seltsam klingen, aber es ist eine der inzwischen vielfach überprüften Aussagen der Speziellen Relativitätstheorie. Äußerst erstaunlich ist auch, dass die Masse (!) und nicht etwa die Geschwindigkeit eines knapp unterlichtschnell fliegenden Objekts zunimmt, wenn man versucht, es zu beschleunigen. Solche Objekte sind Elementarteilchen in einem Beschleuniger (z. B. Elektronen); bei ihnen wurde die Massenzunahme tatsächlich gemessen. Zusammengefasst: Messungen zu Raum und Zeit sind abhängig davon, ob sich das Bezugssystem, von dem aus gemessen wird, bewegt oder nicht.

Ist Masse gleich Masse?

Ja und nein. Mit dem Begriff »Masse« werden eigentlich zwei ganz verschiedene Dinge bezeichnet: einerseits die »schwere Masse«, die die Ursache der Schwerkraft (auch Massenanziehung oder Gravitation genannt) ist, andererseits die »träge Masse«, die jeder Beschleunigung einen Widerstand entgegensetzt.

Einsteins Spezielle Relativitätstheorie erklärt die Natur von Zeit und Raum bei gleichmäßiger, unbeschleunigter Bewegung auf verblüffende Weise. Was passiert aber bei einer beschleunigten Bewegung, etwa beim freien Fall aufgrund der Massenanziehung zwischen Erde und fallendem Körper? Hier kompensieren sich Massenanziehung und Trägheit mit der Konsequenz, dass der Körper fällt (würde die Trägheit nicht kompensiert, bliebe der Körper in der Luft stehen). Einstein nahm diese scheinbar triviale Erkenntnis zur Grundlage seiner Allgemeinen Relativitätstheorie: »Schwere und träge Masse« sind dasselbe.

Daraus leitete er abstrakt ab, dass sich lokal nicht mehr entscheiden lässt, ob man von einer äußeren Kraft beschleunigt wird oder sich ruhend in einem Gravitationsfeld aufhält. Noch einschneidender ist sein Schluss, dass jede Masse den umgebenden Raum auf komplizierte Weise verzerrt, gleichzeitig vergeht die Zeit in der Umgebung einer großen Masse langsamer als bei einer kleinen Masse. So fantastisch die Verbiegung des Raums klingt: Schon kurz nach Bekanntwerden dieser Theorie wurde sie zweifelsfrei bewiesen. Zwei Astronomen beobachteten bei einer Sonnenfinsternis einen Stern, der sich in Wirklichkeit hinter der Sonne befand. Der Grund dafür liegt einfach darin, dass die Masse der Sonne den Raum derart krümmte, dass das Licht des Sterns um die Sonnenkugel herumgelenkt wurde. Heute dient dieser Effekt sogar zum Nachweis von Planeten um andere Sterne. Es geht aber noch kurioser. Diese Raumverzerrungen müssen nicht stationär bleiben, sondern können sich unter besonderen Umständen in alle Richtungen ausbreiten. Sie heißen dann Gravitationswellen. Einer ihrer möglichen Auslöser sind Schwarze Löcher.

Sind Masse und Energie das Gleiche?

Ja und nein. Einstein zeigte, dass Masse und Energie zwar nicht gleich, aber einander äquivalent sind. Jeder kennt die Formel:

E = mc²

Links steht die Energie E, rechts die Masse m und das Quadrat der Lichtgeschwindigkeit c. Theoretisch kann eine Masse vollständig in Energie umgewandelt werden. Genutzt wird diese Erkenntnis in Kernkraftwerken und Atombomben, wobei es mit den heutigen Techniken aber nur gelingt, einen Teil der Masse umzuwandeln.

Kann man Schwarze Löcher sehen?

Ja. Lange Zeit galten Schwarze Löcher als unbeobachtbar, weil sie keine Strahlung aussenden. Ihre hohe Schwerkraft wirkt aber auf ihre Umgebung. Sie beschleunigen z. B. nahe vorbeiziehende Sterne oder saugen Gaswolken auf. Letztere heizen sich dabei auf, so dass sie im Röntgenlicht zu beobachten sind. So verraten sich Schwarze Löcher dann doch.

Schwarze Löcher entstehen, wenn besonders massereiche Sterne am Ende ihrer Lebensdauer durch ihre eigene Schwerkraft zu einem Himmelskörper extremer Dichte zusammenfallen. In ihnen ist so viel Materie auf so kleinem Volumen konzentriert, dass die von ihnen ausgehende Schwerkraft sogar das Licht aufhält, das von ihnen entweicht. Deshalb der Name »Schwarzes Loch«. In Inneren eines Schwarzen Lochs hören Raum und Zeit in der uns bekannten Form auf zu existieren. Der Grund dafür ist ein sich selbst verstärkender Effekt: Durch die hohe Massenkonzentration wird der Raum um den Sternüberrest extrem gekrümmt. Dadurch sammelt sich noch mehr Materie an, wodurch aber auch die Gravitation anwächst. Das wiederum führt zu einer noch stärkeren Massenkonzentration in einem immer kleiner werdenden Volumen – vergleichbar mit den Verhältnissen zu Beginn des Universums, also beim »Urknall«.

Wie wird die Zeit »gemacht«?

Relativitätstheorie hin und Zeitdehnung her – im Alltag braucht man eine »genormte« Zeit. In Deutschland ist dafür die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig zuständig. Die Atomuhren der PTB sind die genauesten Uhren der Welt. Sie nutzen aus, dass Atome des Elements Cäsium unter bestimmten Bedingungen eine Radiowelle einer ganz bestimmten Frequenz ausstrahlen. Diese Frequenz wird elektronisch mit höchster Präzision gemessen. Und weil die Zeit der Kehrwert der Frequenz ist, bedeutet die exakte Frequenzmessung gleichzeitig die Ermittlung der amtlichen Zeit. Das Zeitsignal wird mit dem Langwellensender DCF77 in ganz Europa verbreitet. Und auch über das Internet kann das Braunschweiger Zeitsignal zur Synchronisation des PC-Prozessortakts herangezogen werden.

Wussten Sie, dass …

eine Konsequenz der Relativitätstheorie ist, dass schwingende Körper großer Masse sog. Gravitationswellen abstrahlen? Bislang sind sie allerdings noch nie direkt nachgewiesen worden.

man schon im Gravitationsfeld der Erde eine minimale Zeitdehnung nachweisen kann? Eine Uhr in 100 m Höhe über dem Erdboden geht pro Tag etwa eine milliardstel Sekunde schneller als eine Uhr direkt am Boden.

die Zeitdehnung merkliche Auswirkungen beispielsweise bei Satelliten hat? Bei der Auswertung von GPS-Signalen ist daher immer eine »relativistische Korrekturrechnung« nötig.

durch die Raumkrümmung das Licht sehr weit entfernter Sterne gesammelt werden kann? Die Astronomen sprechen von sog. Gravitationslinsen.

Wussten Sie, dass …

die Effekte, die die Relativitätstheorie voraussagt, ganz alltäglich wären, wenn die Lichtgeschwindigkeit nur 100 km/h betrüge? Wir würden dann bereits bei zügigem Radfahren einem Beobachter um einige Kilogramm schwerer und dazu in Fahrtrichtung deutlich gestaucht erscheinen.

Hatte Einstein Vorgänger?

Ja, den niederländischen Physiker Hendrik Antoon Lorentz (1853 – 1928), der schon mit 25 Jahren auf einen der ersten europäischen Lehrstühle für Theoretische Physik berufen wurde. 1875 erklärte Lorentz Lichtbeugung und Lichtbrechung mithilfe der Maxwell'schen Gesetze und zeigte 1895, dass eine elektrische Ladung, die sich in einem elektrischen oder magnetischen Feld bewegt, eine zusätzliche Kraft (»Lorentz-Kraft«) erfährt. Seine theoretischen Vorstellungen zur Struktur der Materie brachten ihm 1902 den Nobelpreis ein.

Zum Wegbereiter der Relativitätstheorie wurde Hendrik Lorentz mit einer mathematischen Beschreibung der Längenverkürzung und Zeitdehnung. Einstein griff diese auf, interpretierte sie aber anders. Lorentz war nicht nur Wissenschaftler, sondern bemühte sich auch um die Völkerverständigung in der schweren Zeit des Ersten Weltkriegs.

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