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Der Axolotl: Heilwunder und Rätsel der Biologie

Wenn wir uns verletzen, ist es selbstverständlich, dass Schnitte oder Ratscher heilen – zum Glück. Verlieren Menschen bei schlimmen Unfälle dagegen ganze Gliedmaßen, würde niemand auf die die Idee kommen, dass diese einfach nachwachsen könnten. In der Natur gibt es aber durchaus Lebewesen wie den Axolotl, die genau das können. Welche Tiere gehören noch dazu, wie weit reichen ihre Heilungskräfte und was ist überhaupt ein Axolotl? Und warum haben wir Menschen nicht solche außergewöhnlichen Fähigkeiten?
KMI, 18.07.2022
Weiblicher Wildtyp-Axolotl (Ambystoma mexicanum)

aureapterus, GettyImages

In der Tierwelt kann es durchaus zum Alltag gehören, Körperteile zu verlieren und sogar nachwachsen zu lassen. Diese Fähigkeit zeigen vor allem einfach strukturierte, wirbellose Tiere, wie Schnecken, Regenwürmer oder Seesterne. So gibt es eine Schneckenart, die sogar einen abgetrennten Kopf überlebt, weil dieser dann einen neuen Körper entwickeln kann. Auch Regenwürmer können eine Trennung in zwei Teile überleben, sofern diese nicht zu kurz sind, und auch Seesterne habe keine Probleme, sich aus einer Körperhälfte neu zu bilden.

Allerdings gilt: Je höher entwickelt ein Lebewesen ist, desto mehr lassen diese Regenerationsfähigkeiten nach. Unter den Wirbeltieren besitzen daher nur noch manche Amphibien und Fische wie der Zebrafisch, solche außergewöhnliche Regenerationsfähigkeiten.

Besonders in vielerlei Hinsicht

Eine Amphibiengruppe mit besonders guten Regenerationsfähigkeiten sind die Salamander. Unter diesen sticht besonders ein faszinierendes Geschöpf hervor: der Axolotl. Diese Schwanzlurche sind wegen ihrer besonderen Fähigkeiten schon sehr lange Objekt der Forschung – schon seit der Naturforscher und Entdecker Alexander von Humboldt vor über 150 Jahren auf diese mexikanische Amphibienart stieß. Die Axolotl muten dabei mit ihrer oft bräunlich-grünlichen Farbe und von Kopf abstehende Kiemen reichlich skurril an und leben seit über 350 Millionen Jahren ausschließlich in wenigen, ganz bestimmten Seen Zentralmexikos.

Anders als andere Amphibien bleiben die Axolotl aber lebenslang wasserlebend und können an Land nicht überleben. Das liegt daran, dass diese Schwanzlurche „ewig jung“ bleiben. Durch bestimmte genetische und hormonelle Veränderungen werden sie nie erwachsen, sondern verbringen ihr ganzes Leben im Larvenstadium. Deshalb verlieren sie auch nie die Kiemen ihrer Larvenzeit und entwickeln nie die Fähigkeit, außerhalb des Wassers Luft zu atmen.

Wegen ihren einzigartigen Eigenheiten finden sich heute einige Exemplare der Axolotl fernab ihrer Heimat, in Forschungslabors auf der ganzen Welt. Hier erhalten ihre beeindruckenden Regenerationsfähigkeiten sehr viel Aufmerksamkeit, da man sich dadurch Heilungsmöglichkeiten für verschiedene Krankheiten erhofft.

Axololtl
Weil sie nie die Kiemen ihrer Larvenzeit verlieren, verbringen Axolotl im Gegensatz zu anderen Schwanzlurchen ihr gesamtes Leben im Wasser.

Iva Dimova, GettyImages

Alles auf Anfang

Axolotl können nicht nur ganze Gliedmaßen wie ihre Beine oder den Schwanz voll funktionstüchtig nachwachsen lassen, sondern sogar komplizierte Gewebe wie Teile ihres Herzens, der Augen oder sogar des Gehirns. Wie das funktionieren kann, ist bis heute noch nicht vollständig verstanden, sondern wird stetig erforscht. So weiß man heute: Verletzt sich ein Axolotl, beginnen die Zellen in der Umgebung, sich besonders schnell zu teilen. Gleichzeitig entwickeln sich die ausgereiften Zellen des umliegenden Gewebes wieder zurück in ihre Ursprungsform, in unspezialisierte Vorläuferzellen.

Diese Zellen sind wie ein unbeschriebenes Blatt und können sich zu allen möglichen Zellarten des Axolotls entwickeln. Aus dieser durch die Teilungen stetig anwachsenden Zellansammlung unspezialisierter Zellen, die Blastem genannt wird, entwickelt sich dann je nach Bedarf ein neues Bein, ein neuer Schwanz oder ein Stück Herz.

Doch woher wissen die Zellen, welche Entwicklung sie durchlaufen sollen? Auch an diesem Aspekt wird stetig geforscht. Wissenschaftler gehen zurzeit davon aus, dass in den neugebildeten Zellen durch Einflüsse aus ihrer Umgebung und gesteuert von ihrer relativen Position im Zellverbund Gene angeschaltet werden, die ihnen sagen, wo sie sich befinden und welcher Körperteil gebildet werden muss. Die spätere Identität dieser Zellen entscheidet sich also abhängig von ihrer Position und ermöglicht so eine schrittweise Regeneration des fehlenden Teils.

Fehlt also ein ganzer Arm, entstehen von oben nach unten Oberarm, Unterarm und Hand. Fehlt dagegen nur die Hand, wird auch nur diese vom Handgelenk bis zu den Fingerspitzen neugebildet. Im Detail sieht man jetzt also, es steckt zwar sehr ausgeklügelte Biologie dahinter, aber keine Zauberei. Warum sind wir Menschen also nicht dazu fähig?

Fähigkeit ging bei uns Menschen verloren

Dass wir als Menschen nicht in der Lage sind, ganze, funktionsfähige Gliedmaßen und Organe zu bilden, stimmt allerdings nur zum Teil. Denn der menschliche  Embryo entsteht auch bei uns aus unspezialisierten Zellen neu. Aber dies geschieht eben nur ein einziges Mal ganz zu Beginn unserer Entwicklung. Einmal ausgewachsen, können sich unsere fertigen Zellen nicht mehr so ohne weiteres zu unspezialisierten Stammzellen zurückentwickeln und ein neues Bein oder Herz bilden. Diese besondere Fähigkeit ging im Laufe der Evolution zum Menschen verloren.

Aus den Zellen, die beim Axolotl zu funktionsfähigen neuen Körperteilen heranwachsen, entsteht bei uns nach Verletzungen nur Narbengewebe. Zwar können auch wir Menschen zu einem geringen Grad Organe wie die Leber und unsere Haut regenerieren. Das ist aber nur möglich, weil die Zellen dieser Körperteile sich häufig teilen und nicht neu differenzieren müssen. Ganz neue Gewebe und Organe aus verschiedenen Zelltypen entstehen bei uns nicht.

Steckt ein Rest Axolotl auch noch in uns?

Aber könnte das nicht wieder werden? Theoretisch wäre es durchaus möglich, dass die Anlagen zur Regeneration auch bei uns Menschen noch im Erbgut vorhanden sind, aber stillgelegt. Könnte man sie identifizieren und reaktivieren, wären auf einen Schlag viele medizinische Probleme gelöst und Menschen könnten zum Beispiel trotz Querschnittslähmung wieder laufen. Daher interessiert genau diese Frage viele Forscher brennend. Sie versuchen, den Axolotl-Fähigkeiten noch weiter auf den Grund zu gehen, um so vielleicht herauszufinden wie viele dieser Fähigkeiten noch in unseren Zellen stecken könnten.

So entschlüsselten Forscher kürzlich das gesamte Axolotl-Genom und identifizierten mögliche Regenerations-Gene. Auch fanden sie einzelne Proteine, die wahrscheinlich mit den Regenerationsfähigkeiten zusammenhängen und auch menschliche Zellen dazu bringen könnten, schneller zu heilen. Insgesamt ist aber noch lange nicht geklärt, ob menschliche Zellen jemals zu den Leistungen der eines Axolotls fähig sein könnten und so bleiben noch viele Fragen für zukünftige Forschung offen, die es eines Tages vielleicht ermöglicht, Verletzungen wie Querschnittlähmungen zu heilen.

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