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Frankfurter Buchmesse - Literarisch-politischer Blick auf Europa
Die Frankfurter Buchmesse steht in diesem Jahr ganz im Zeichen von Europa – und gibt sich betont politisch. Trotz oder vielleicht gerade wegen der Krisen rund um Brexit, Flüchtlingspolitik und Co soll auf der Messe wieder auf Gemeinsamkeiten geblickt werden. "Die Europäische Union ist wichtig, nicht nur für das Verlagsgeschäft, sondern für uns als Bürger, für unsere Gesellschaften", sagte der Direktor der Frankfurter Buchmesse, Juergen Boos im Vorfeld.
"Da die rein ökonomische Herangehensweise an das Projekt Europa offensichtlich nicht genügend Integrationskraft besitzt, wollen wir eine neue inhaltliche Auseinandersetzung anstoßen", kündigte er an: "Diese soll nicht als Nabelschau der Mitgliedsländer daherkommen, sondern die derzeitigen Ereignisse rund um den Globus einbeziehen und insbesondere die Diskussion um Werte wie die Freiheit des Wortes und Publikationsfreiheit beinhalten." So zeigten etwa die Vorgänge in der Türkei sowie in Polen und Ungarn, wie bedroht die Meinungsfreiheit auch in Europa sei.
Politik trifft Bücherwelt
Als deutscher Vertreter und passend zum politischen Blick auf die Spannungen innerhalb der EU hielt Martin Schulz gestern Abend die Festrede zur Eröffnung der Buchmesse. Er ist nicht nur der Präsident des Europäischen Parlaments, sondern auch ausgebildeter Buchhändler und forderte in seiner Ansprache einen "Aufstand der Anständigen" gegen den wachsenden Populismus in Europa.
"Es gilt, unser europäisches Gesellschaftsmodell gegen die Feinde der Freiheit zu verteidigen", sagte er. Zugleich zeigte Schulz sich solidarisch mit einem Aufruf der deutschen Buchbranche zur Freilassung aller in der Türkei inhaftierten Autoren und Journalisten. "Lassen Sie diese Leute frei", appellierte er an die türkische Regierung und Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan.
Im Vorfeld der Frankfurter Buchmesse am Montagabend war bereits der Schriftsteller Bodo Kirchhoff für seinen Roman "Widerfahrnis" mit dem Deutschen Buchpreis geehrt worden. Verwoben in einer Liebesgeschichte gerät in der ausgezeichneten Novelle zunächst am Rande, dann ganz direkt, die Flüchtlingssituation in Europa in den Fokus. Mit dieser Wahl setzte die Jury gleichsam den thematischen Auftakt für das Motto der diesjährigen Messe.
Ehrengast aus dem Herzen Europas
Keine Nation, sondern ein Sprach- und Kulturraum ist in diesem Jahr der Ehrengast der Frankfurter Buchmesse – und er kommt mitten aus dem Herzen Europas. Flandern und die Niederlande präsentieren sich im Sinne des europäischen Gedankens als eine Einheit und zeigen beispielhaft, wie man Grenzen überwindet. Unter dem Motto "Dit is wat we delen" ("Das ist, was wir teilen") gibt der Gast vielschichtige Einblicke in seine Literatur- und Kulturlandschaft.
Zur Messe bringen rund 70 Autoren und Autorinnen 454 Neuerscheinungen aus und über Flandern und die Niederlande mit und stellen mit 306 neuen Übersetzungen in deutscher Sprache einen Rekord auf: Nie zuvor wurde so viel Literatur aus dem Niederländischen ins Deutsche übersetzt – kein Zufall. Deutschland ist für die niederländischsprachige Literatur mit Abstand das wichtigste Exportland. Zudem sind die deutschen Übersetzungen häufig ein Sprungbrett in andere Sprachräume.