wissen.de Artikel

Ampel-Aus: Was passiert nach dem Bruch der Regierung?

Aktuell überschlagen sich die Geschehnisse in der Politik. Donald Trump ist zum US-Präsidenten gewählt worden, die deutsche Ampelkoalition hingegen ist Geschichte. Denn Bundeskanzler Scholz hat den FDP-Finanzminister entlassen und damit die Koalition mit der FDP beendet. Demnächst werden uns daher Neuwahlen bevorstehen. Aber wie konnte es dazu kommen? Wie geht es jetzt weiter? Was ist eine Vertrauensfrage? Und wie oft ist diese in der Vergangenheit schon gestellt worden?
AMA, 11.11.2024
Aufziehendes Unwetter über den Reichstag in Berlin

© Reichtag: yuelan, ThinkstockPhotos; Unwetter: TheDigitalArtist, pixabay.com

Wer eine Nachrichten-App auf dem Smartphone hat, der ist in der vergangenen Woche wahrscheinlich regelrecht von Push-Benachrichtigungen überflutet worden: „Donald Trump ist US-Präsident“, „Scholz entlässt Lindner“, „Ampelkoalition zerbrochen“, „Scholz will Vertrauensfrage stellen“, … Bei all den Geschehnissen kann man schnell den Überblick verlieren. Wir fassen daher zusammen, was genau im Bundestag geschehen ist und wie es jetzt weitergeht.

Was ist passiert?

Dass es sich bei der Ampelkoalition bestehend aus SPD, FDP und den Grünen noch nie um eine „Happy Family“ gehandelt hat, ist kein Geheimnis. Während ihrer Regierungszeit ist es immer wieder zu Meinungsverschiedenheiten und teils harschen Diskussionen gekommen. Und wie bei einer Beziehung, in der nur noch gestritten wird, hat einer der Partner am Mittwochabend, 06. November 2024, schließlich den Schlussstrich gezogen. SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz hat den FDP-Parteivorsitzenden und Finanzminister Christian Lindner aus der Regierung entlassen.

Daraufhin beschlossen auch zwei der drei verbliebenen FDP-Bundesminister – Justizminister Marco Buschmann und Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger – ihren Rücktritt. Der dritte – Verkehrsminister Volker Wissing – ist stattdessen aus der FDP ausgetreten, um so seinen Ministerposten beizubehalten. So oder so ist die Ampel-Koalition damit Geschichte.

V.l.n.r. Annalena Baerbock, Saskia Esken, Robert Habeck, Olaf Scholz und Christian Lindner im Dezember 2021
Aus der Not geboren: Die damaligen Vorsitzenden der Grünen,SPD und FDP (Annalena Baerbock, Saskia Esken, Robert Habeck und Christian Lindner) im Dezember 2021 mit dem designierten Bundeskanzler Olaf Scholz bei der Unterzeichnung des Ampel-Koalitionsvertrages.

Wieso hat Scholz Lindner entlassen?

Was genau am Mittwochabend während einer Koalitionssitzung der Parteispitzen geschehen ist, hängt davon ab, wen der Betroffenen man fragt. Die Kurzfassung lautet aber: Christian Lindner hat wegen der nicht mehr zu kittenden Konflikte vorgeschlagen, den Bundeshaushalt für 2025 zu beschließen und dann vorzeitig den Weg für Neuwahlen freizumachen. Regulär hätten diese erst Ende September 2025 stattfinden sollen. Scholz lehnte Lindners „Fahrplan“ jedoch ab.

So weit, so gut. Gegensätzliche Meinungen gehören schließlich zu politischen Verhandlungen dazu. Doch als sich die Teilnehmer der Koalitionssitzung gerade zu getrennten innerparteilichen Besprechungen zurückgezogen hatten, platzte auf einmal die Bombe: Die Bild-Zeitung titelte, dass Lindner Scholz Neuwahlen angeboten habe. Für Scholz und die SPD war das eine Provokation, denn es bedeutete, dass einer der Sitzungsteilnehmer – die einzigen Personen, die von dem Vorschlag wissen konnten – vertrauliche Informationen an die Presse weitergegeben hatte. Scholz vermutete, dass es sich beim Verantwortlichen um Lindner selbst handelt.

Nach einem klärenden Gespräch, in dem auch der Streit um die Schuldenbremse ein Faktor gewesen sein soll, fiel schließlich die Entscheidung. „Dann werde ich den Bundespräsidenten bitten müssen, dich zu entlassen“, soll Scholz nach Angaben von Sitzungsteilnehmern gesagt haben, auch wenn sich der genaue Wortlaut nicht mehr nachvollziehen lässt. Daraufhin soll Lindner so etwas geantwortet haben wie: „Dann haben wir jetzt Klarheit, schade, aber ist so.“

Dass Bundeskanzler Scholz diesen Schritt ergriffen hat, lag aber längst nicht nur an diesem einzelnen Fehltritt, wie er später in einer öffentlichen Rede erklärte. Unter anderem beschuldige Scholz Lindner, die Regierungsarbeit immer wieder behindert zu haben: „Zu oft hat Bundesminister Lindner Gesetze sachfremd blockiert.“ Außerdem: „Zu oft hat er kleinkariert parteipolitisch taktiert. Zu oft hat er mein Vertrauen gebrochen.“ Das bedeute wiederum: „Es gibt keine Vertrauensbasis für die weitere Zusammenarbeit. So ist ernsthafte Regierungsarbeit nicht möglich.“

Kann der Bundeskanzler einfach so Minister entlassen?

Das Ende der Ampel-Koalition ist die eine schockierende Nachricht. Ebenso schockierend ist für viele jedoch auch die Tatsache, dass der Bundeskanzler einfach so Minister entlassen kann. Diese Befugnis ist aber tatsächlich gesetzlich verankert. Im Grundgesetz-Artikel 64 heißt es dazu: „Die Bundesminister werden auf Vorschlag des Bundeskanzlers vom Bundespräsidenten ernannt und entlassen.“ Und genau das hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) am Donnerstagnachmittag, 07. November 2024, getan.

Wie geht es jetzt weiter?

Dass die FDP nicht mehr in der Regierung ist, bedeutet, dass die beiden verbleibenden Regierungsparteien – SPD und Grüne – keine Mehrheit im Bundestag mehr erreichen. Es handelt sich bei ihnen um eine sogenannte Minderheitsregierung, die zwar rechtens ist, aber in der Regel nicht mehr viel bewegen kann, weil sie für jedes Projekt zunächst eine Mehrheit im Bundestag organisieren muss. Die Beteiligten sind sich daher einig, dass eine rot-grüne Minderheitsregierung nur eine Übergangslösung sein kann, bevor es zu vorgezogenen Neuwahlen kommt.

Diese Neuwahlen möchte Scholz nun mit der sogenannten Vertrauensfrage in Gang setzen – einem mächtigen politischen Instrument. Stellt ein Bundeskanzler im Bundestag die Vertrauensfrage, müssen die Abgeordneten darüber abstimmen, ob sie ihm noch ihr Vertrauen aussprechen oder nicht. Ist das bei der Mehrheit nicht der Fall, worauf Scholz setzt, dann kann er Bundespräsident Steinmeier darum bitten, innerhalb von 21 Tagen den bisherigen Bundestag aufzulösen. Spätestens 60 Tage nach einer solchen Parlamentsauflösung müssten dann Neuwahlen erfolgen. Bis aus diesen eine neue Regierung hervorgeht, würden Scholz und seine verbliebene Koalition die Amtsgeschäfte weiterführen.

Wann genau Scholz die Vertrauensfrage stellt, ist allein seine Entscheidung. Scholz will nach derzeitigem Stand (08.11.2024) damit jedoch noch bis Mitte Januar warten, was von vielen kritisiert wird. Denn es kostet wertvolle Zeit, in der die Regierung kaum handlungsfähig ist. Der CDU-Parteivorsitzende Friedrich Merz fordert daher, die Vertrauensfrage sofort zu stellen.

 (v.l.n.r.) Willy Brandt, 4. Bundeskanzler (1969–1974), Helmut Schmidt, 5. Bundeskanzler (1974–1982), Helmut Kohl, 6. Bundeskanzler (1982–1998), und Gerhard Schröder, 7. Bundeskanzler (1998–2005)
Vier Bundeskanzler stellten die Vertrauensfrage bereits: (v.l.n.r.) Willy Brandt, 4. Bundeskanzler (1969–1974), Helmut Schmidt, 5. Bundeskanzler (1974–1982), Helmut Kohl, 6. Bundeskanzler (1982–1998), und Gerhard Schröder, 7. Bundeskanzler (1998–2005), der sie sogar zweimal stellte.

© Brandt: Bundesarchiv, B 145 Bild-F057884-0009 / Engelbert Reineke / CC BY-SA 3.0 de; Schmidt: Jack Kightlinger / gemeinfrei; Kohl: Bundesarchiv, B 145 Bild-F074398-0021 / Engelbert Reineke / CC BY-SA 3.0 de; Schröder: Hinrich / CC BY-SA 3.0

Wurde die Vertrauensfrage schon einmal gestellt?

In der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ist die Vertrauensfrage bereits fünfmal gestellt worden. Olaf Scholz würde sie zum sechsten Mal stellen. Das letzte Mal fand 2005 statt und ist damit bereits rund 20 Jahre her. Damals hatte Gerhard Schröder (SPD) die Vertrauensfrage gestellt, nachdem bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im Mai 2005 SPD und Grüne ihre letzte rot-grüne Landesregierung verloren hatten. Schröders Vertrauensfrage führte zu Neuwahlen, aus denen schließlich Angela Merkel (CDU) als Kanzlerin einer Großen Koalition aus Union und SPD hervorging.

Weitere Artikel aus dem Wahrig Herkunftswörterbuch

Weitere Artikel aus dem Vornamenlexikon