Audio

Erich Honecker (Podcast 202)

0:00

Als im April 2012 Margot Honecker aus ihrem chilenischen Exil im deutschen Fernsehen zur besten Sendezeit zynisch und ohne Reue Mauer und Stacheldraht verteidigte, war die Empörung in der deutschen Öffentlichkeit groß. Plötzlich stand sie wieder im Blickpunkt der Öffentlichkeit: die DDR, der „erste sozialistische Staat auf deutschem Boden“, der 1990 so sang- und klanglos vom Erdboden verschwunden war. Der Staat, den fast 20 Jahre lang der Mann von Margot Honecker idealtypisch verkörperte und fast allein beherrschte: Erich Honecker. Er wäre am 25. August 2012 100 Jahre alt geworden. Bis heute bleibt das Bild des Saarländers verschwommen, der wegen seiner linkischen Rhetorik und offensichtlichen Biederkeit öffentlich immer noch gerne zu einer reinen Witzfigur reduziert und dessen politisches Wirken damit sträflich unterschätzt wird. Das Bild eines ehrlichen Mannes, der kein Intellektueller war, zeit seines Lebens ein recht naives kommunistisches Weltbild vertrat, aber über ein gutes Gespür für politische Machtkonstellationen verfügte. Wissen.de-Autor Christoph Marx zeichnet die politische Karriere eines gläubigen Kommunisten aus kleinen Verhältnissen nach, der die Nazizeit im Zuchthaus überlebte, wesentlich die Entwicklung der DDR steuerte und 1989/1990 von den revolutionären Umbrüchen binnen Wochenfrist weggespült wurde.



Kommunistischer Musterschüler

Der Kommunismus war Erich Honecker im wahrsten Sinne des Wortes in die Wiege gelegt. Geboren am 25. August 1912 im saarländischen Städtchen Neunkirchen, wuchs er in einem Umfeld auf, das kulturell-politisch ganz von der Arbeiterbewegung geprägt war. Sein Vater war Bergmann, der sich nach dem Ersten Weltkrieg den Kommunisten anschloss und das Haus zu einem Ort der politischen Agitation machte. So war Klein-Honecker immer dabei, wenn über revolutionäre Ziele und konkrete Parteiarbeit diskutiert wurde, wodurch er (fast naturgemäß) von Kindesbeinen an in die kommunistischen Parteiorganisationen hineinwuchs: von der kommunistischen Kindergruppe über den Kommunistischen Jugendverband bis hin zum Rotfrontkampfbund. Eine Dachdeckerlehre begann er nur halbherzig. Er brach sie endgültig ab, als er 1930 die Chance bekam, in Moskau die Jugendparteischule zu besuchen – ein Ritterschlag, der ihn in der deutschen Parteiorganisation zu einem Führungskader machte. Die Partei wurde sein Leben, seine Existenzgrundlage und sein moralischer Fixstern. Seine Welt war klar in Gut und Böse eingeteilt: in Kommunisten und Nicht-Kommunisten. Die Erfahrungen im Dritten Reich festigten seinen festen Glauben an die gute Sache der Kommunisten. Nach 1933 organisierte er insbesondere vom Saarland aus die Untergrundaktivitäten der Partei, bis er am 5. Dezember 1935 in Berlin aufflog und in das berüchtigte Hauptquartier der Gestapo gebracht wurde. Am 8. Juni 1937 wurde er vom Volksgerichtshof zu zehn Jahren Gefängnis wegen „Anstiftung zum Hochverrat“ verurteilt und in die Haftanstalt Brandenburg gebracht. Für seine Überzeugungen unter Todesgefahr eingestanden und dafür auch jahrelangen Freiheitsentzug in Kauf genommen zu haben, haben später auch politische Gegner immer wieder öffentlich anerkannt und Honecker ehrlichen Respekt eingebracht. Als 1945 die Rote Armee Ostdeutschland befreite, stand Honecker die Welt offen. Die Russen begriff er als Freunde und seine antifaschistische Vergangenheit empfahl ihn für höhere Aufgaben.



Aufstieg im Windschatten von Ulbricht

In den Ruinen von Berlin lernte Honecker im Mai 1945 Walter Ulbricht kennen, der aus Moskau mit dem Auftrag gekommen war, eine deutsche Verwaltung im Sinne der Partei aufzubauen. Der erste Machthaber der DDR wurde zum Mentor seines schnellen Aufstiegs in dem 1949 neu geschaffenen Staat von sowjetischen Gnaden. Honecker war 1946 Chef der „Freien Deutschen Jugend“ geworden, der Jugendorganisation der „Sozialistischen Einheitspartei“, der neuen Staatspartei. Der Sieg Ulbrichts im internen Machtkampf nach Stalins Tod und dem DDR-Volksaufstand 1953 stärkte die Position Honeckers weiter. Er wurde nun von Ulbricht systematisch zum zweitwichtigsten Mann im Staat aufgebaut. In den dramatischen Tagen im August 1961 verantwortete er operativ an höchster Stelle den Bau der Berliner Mauer – eine organisatorische Meisterleistung, die sein innerparteiliches Renommee weiter erhöhte und sein machtpolitisches Selbstvertrauen stärkte. In den Jahren nach dem Mauerbau ging Honecker immer deutlicher auf Distanz zu Ulbricht. Mit taktischem Geschick stärkte er seine Hausmacht in der Partei und baute früh eine strategische Freundschaft zu Leonid Breschnew auf, ab 1964 Chef der Sowjetunion. Am 3. Mai 1971 war Honecker am Ziel: Ulbricht trat „aus gesundheitlichen Gründen“ von seinem Amt als Parteigeneralsekretär zurück und Honecker wurde das neue Machtzentrum der DDR.



Der Staatsmann

Tatsächlich galt Honecker in den ersten Amtsjahren als Hoffnungsträger auf eine Modernisierung des Landes. Der in der breiten Öffentlichkeit noch weitgehend unbekannte neue starke Mann nutzte den kurzen ökonomischen Aufschwung in den frühen 1970er-Jahren dazu, sich die Gunst der Bevölkerung zu erwerben: Aufwändige Wohnungsbauprogramme wurden in Gang gesetzt, die Konsumindustrie angekurbelt – so gab es plötzlich auch Jeans in den Kaufhallen –, westliche Rockmusik erlaubt und auch die Zensur im kulturellen Bereich gelockert, wobei die Ausweisung des kritischen Liedermachers Wolf Biermann 1976 auch die engen Grenzen des Erlaubten deutlich markierte. So sehr sich Honecker zunächst auch vordergründig modern und aufgeschlossen gab und international die DDR zunehmend anerkannt wurde, so sehr blieb er innenpolitisch faktisch Diktator über Partei und Volk. Politische Gesinnungsgegner wurden weiter verfolgt und drangsaliert, an der Mauer durfte weiter geschossen werden und über die Partei herrschte Honecker zunehmend absolutistisch und selbstherrlich. Er blieb ein orthodoxer Kommunist, der in seinem geschlossenen Weltbild nur Freunde und Feinde kannte und deswegen jede Änderung als Verrat interpretieren musste.



Der tiefe Sturz

[[{"type":"media","view_mode":"media_small","fid":"22248","attributes":{"alt":"","class":"media-image","typeof":"foaf:Image"}}]]Nach dem Machtantritt Gorbatschows in der Sowjetunion 1985 ging seine Welt langsam unter, ohne dass er es zunächst merkte. Der geistig eher unflexible Honecker konnte mit den neuen Ideen von Offenheit und Umgestaltung nichts anfangen. Hilflos stand er den dynamischen Umbruchsprozessen gegenüber, die 1981 von Polen aus den gesamten Ostblock erfassten. Dazu kamen die wirtschaftlichen Probleme der DDR. Auch wegen Honeckers Verschuldungspolitik stand die DDR Anfang der 1980er-Jahre faktisch vor der Zahlungsunfähigkeit. Ein 1983 von der Bundesrepublik verbürgter Millionenkredit und auch der offizielle Staatsbesuch Honeckers in der Bundesrepublik mit allen protokollarischen Ehren im September 1987 änderten nichts an der desolaten Gesamtlage. Im Herbst 1989 war die DDR ökonomisch, politisch und moralisch am Ende. Die Ereignisse überschlugen sich und Honecker stürzte ab -  tief, sehr tief - vom Staatsmann zum Verbrecher quasi binnen Wochenfrist.

Am 18. Oktober 1989 wurde Honecker zum Rücktritt gedrängt, kurz danach aus der Partei ausgeschlossen und wegen Amtsmissbrauch und Hochverrat angeklagt, kurz nach der Inhaftierung aber wieder freigelassen. Er fühlte sich verraten und verkauft und glaubte sich wie in den 1930er-Jahren wieder im Kampf mit übermächtigen Kräften des Bösen. Immer auf der Flucht vor der Rache des Volkes, erlebte er die deutsche Wiedervereinigung 1990 gedemütigt im Schutz der sowjetischen Armee. 1991 gewährte ihm die chilenische Botschaft in Moskau Asyl, wohin der Todkranke endgültig 1993 ausreiste. Die deutsche Staatsanwaltschaft hatte das Strafverfahren gegen ihn aus gesundheitlichen Gründen fallen gelassen. Verbittert und ohne Einsicht starb er am 29. Mai 1994 in Santiago de Chile.

 

Von wissen.de-Autor Christoph Marx, August 2012

Weitere Lexikon Artikel

Weitere Artikel aus dem Kalender

Weitere Artikel aus dem Wahrig Fremdwörterlexikon

Weitere Artikel aus der Wissensbibliothek

Weitere Artikel aus dem Bereich Gesundheit A-Z

Mehr Artikel zu diesem Thema

Weitere Artikel aus dem Wahrig Herkunftswörterbuch