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Vb-Wetterlage: Warum sie immer wieder Hochwasser verursacht
Seit einigen Tagen kämpft das östliche Mitteleuropa mit extremen Niederschlägen und Überschwemmungen. In Tschechien fiel mancherorts innerhalb von 24 Stunden so viel Regen wie sonst in drei Monaten. In Österreich sind ganze Gemeinden durch Hochwasser abgeschnitten. Und in Polen sind bereits mehrere Staudämme gebrochen. Insgesamt haben die Fluten bislang mindestens 18 Todesopfer gefordert.
Doch selbst, wenn die akute Gefahr irgendwann vorüber ist, könnte die nächste schon in den Startlöchern stehen, denn in den kommenden Jahren werden Hochwasser-Katastrophen immer wahrscheinlicher – auch in Deutschland. Aber warum?
Woher kommt das aktuelle Hochwasser?
Der extreme Starkregen und das daraus resultierende Hochwasser, das gerade im östlichen Mitteleuropa wütet, gehen auf das Tiefdruckgebiet Boris zurück. Dabei handelt es sich um ein sogenanntes Vb-Tief (gesprochen Fünf-B-Tief). Solche Tiefs entstehen üblicherweise, wenn Luftmassen vom Atlantik bis über das Mittelmeer ziehen und sich dort wie ein Schwamm mit verdunstetem Meerwasser vollsaugen. Derart „vollgetankt“ ziehen Vb-Tiefs dann in einer charakteristischen Bahn nach Norden – meist über Österreich, Ungarn, Tschechien und Polen, aber in manchen Fällen auch über Teile Deutschlands.
„Tiefdruckgebiete mit solch einer Vb- oder Vb-ähnlichen Zugbahn im Frühherbst lassen unter Meteorologen rasch die Alarmglocken läuten“, erklärt Sebastian Altnau vom Deutschen Wetterdienst. Denn auf ihrem Weg können die Tiefs ähnlich wie aktuell in Tschechien, Polen, Österreich und Rumänien extreme Wetterlagen mit Starkregen beziehungsweise im Winter auch intensive Schneefälle hervorrufen.
An welchen Überschwemmungen waren Vb-Tiefs Schuld?
Vb-Wetterlagen waren bereits für einige historische Hochwasser-Ereignisse in Mitteleuropa verantwortlich. Dazu gehört zum Beispiel das Oderhochwasser von 1997 – die größte bekannte Flut der Oder. Innerhalb von nur drei Tagen standen in Polen und Tschechien riesige Gebiete unter Wasser. Über 100 Menschen starben. Als die Flutwelle wenig später auch bis nach Deutschland vorgedrungen war, hielt sie zehntausende Einsatzkräfte wochenlang in Atem. Für die Bundeswehr war es der größte Einsatz ihrer damaligen Geschichte.
Auch die deutschen Jahrhundert-Hochwasser in den Jahren 2002, 2010 und 2013 gehen auf das Konto von Vb-Tiefs. Letzteres brachte allein in Thüringen durchschnittlich 180 Liter Regenwasser pro Quadratmeter und ließ zahlreiche Flüsse über die Ufer treten, darunter die Weser, die Donau, die Elbe und den Rhein. Mancherorts wurden historische Pegelhöchststände erreicht.
Warum ist Tief Boris so verheerend?
Doch nicht jedes Vb-Tief verursacht automatisch auch ein Jahrhundert-Hochwasser. Dass das aktuelle Tiefdruckgebiet so verheerend ist, liegt vor allem daran, dass es über dem Mittelmeer enorme Wasserdampfmassen als „Nahrung“ aufnehmen konnte. Denn das Mittelmeer ist mit bis zu 30 Grad Oberflächentemperatur gerade überdurchschnittlich warm. Dadurch verdunstet viel mehr Mittelmeer-Wasser, als es in kühleren Jahren der Fall wäre, und das Tiefdruckgebiet Boris konnte sich mit enormen Wasserdampfmengen vollsaugen, bevor es weiter nach Europa zog.
Warum könnten extreme Vb-Tiefs in Zukunft häufiger vorkommen?
Dass warme Temperaturen im Mittelmeer Vb-Tiefs intensiver machen, malt ein unheilvolles Bild für die Zukunft. Schließlich wird das Mittelmeer durch den voranschreitenden Klimawandel immer häufiger überdurchschnittlich hohe Temperaturen erreichen. Die Auswirkungen davon sind in Europa schon heute spürbar. Wie Wissenschaftler herausgefunden haben, hat sich die Intensität der Vb-Tiefs gegenüber der Zeit von 1970 bis 1999 heute bereits um über 17 Prozent erhöht. Besonders stark betroffen davon sind der Südosten Mitteleuropas und die Länder entlang der Donau.
Aber auch Deutschland wird die Folgen der immer extremeren Vb-Tiefs zu spüren bekommen – allerdings eher indirekt. Denn das Hochwasser unserer Nachbarländer fließt über die Flüsse in das Bundesgebiet und löst dann auch hier Überschwemmungen aus. Auch aktuell rüstet sich Deutschland vor Fluten, die aus den Nachbarländern herüberschwappen könnten. Der sorgenvolle Blick der Einsatzkräfte richtet sich vor allem auf die Elbe in Sachsen, deren Pegel bereits seit Tagen ansteigt und kurz davor ist, die Sechs-Meter-Marke zu knacken.