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Wie funktioniert Streaming? Die Technik hinter Netflix, YouTube & Co.
Das Grundprinzip: Datenfluss statt Datenspeicher
Der entscheidende Unterschied zwischen einem klassischen Download und den Streaming-Technologien liegt in der Datenverarbeitung auf dem Endgerät. Beim Download überträgt der Server eine Datei als komplettes Paket. Dein Gerät speichert sie permanent auf der Festplatte (HDD oder SSD).
Erst wenn das letzte Byte angekommen ist, öffnet der Player die Datei. Das ist vergleichbar mit einem Eimer Wasser: Du musst ihn erst füllen, bevor du ihn wegtragen kannst. Beim Streaming fließen die Daten kontinuierlich. Der Browser oder die App lädt immer nur kleine Schnipsel der Datei in den flüchtigen Arbeitsspeicher (RAM).
Der Player verarbeitet diese Daten sofort, zeigt das Bild an und verwirft die Datenpakete direkt danach wieder. Du trinkst quasi direkt aus dem laufenden Wasserhahn. Speicherplatz auf der Festplatte bleibt unberührt.
Die Magie der Komprimierung: Codecs
Ein rohes, unkomprimiertes Video in 4K-Auflösung erzeugt gigantische Datenmengen. Ein einziger Spielfilm würde ohne Bearbeitung mehrere Terabyte belegen. Keine handelsübliche Internetleitung der Welt könnte diese Datenflut in Echtzeit bewältigen.
Hier kommt die Streaming Technik der Komprimierung ins Spiel. Sogenannte Codecs (Coder-Decoder) schrumpfen die Videodatei zusammen. Bekannte Standards sind H.264 (AVC), H.265 (HEVC), VP9 oder der neuere, lizenzfreie Codec AV1.
Wie funktioniert Komprimierung?
Codecs nutzen die Schwächen des menschlichen Auges und mathematische Redundanz. Sie arbeiten mit zwei Hauptmethoden:
- Räumliche Komprimierung (Intra-Frame): Das System analysiert ein einzelnes Bild. Ein blauer Himmel besteht aus tausenden Pixeln mit fast identischem Farbwert. Der Codec speichert nicht jeden Pixel einzeln, sondern die Information: „Die nächsten 500 Pixel sind Hellblau“. Das reduziert die Dateigröße massiv.
- Zeitliche Komprimierung (Inter-Frame): Das ist der eigentliche Hebel beim Video. Der Codec vergleicht Bild A mit Bild B. In einer Szene, in der zwei Menschen in einem Café sitzen und reden, ändert sich der Hintergrund nicht. Der Codec speichert nur die Bewegungen der Münder und Hände. Der Rest des Bildes wird vom vorherigen Frame einfach kopiert.
Diese Technik reduziert die Datenrate um bis zu 99 Prozent. Erst dadurch passt ein HD-Film durch eine 16-Mbit-Leitung.
Container vs. Codec
Oft verwechseln Nutzer das Dateiformat mit dem Codec. Ein Format wie MP4, MKV oder MOV ist nur der Container. Stell dir den Container wie einen Briefumschlag vor. Er definiert, wie Video, Audio und Untertitel verpackt sind. Der Codec ist die Sprache, in der der Brief geschrieben ist. Ein MP4-Container kann also Video-Streams enthalten, die mit unterschiedlichen Codecs (z.B. H.264 oder H.265) codiert wurden.
Der Transportweg: Protokolle und Pakete
Sobald das Video komprimiert ist, muss es zum Nutzer. Das Internet versendet keine Dateien am Stück, sondern zerhackt alles in kleine Datenpakete. Für den Transport nutzen Dienste verschiedene Protokolle.
TCP (Transmission Control Protocol)
Streaming-Dienste wie Netflix, Disney+ oder YouTube nutzen meist Protokolle, die auf TCP basieren (wie HTTP). TCP arbeitet extrem zuverlässig.
- Der Sender schickt Paket 1, 2 und 3.
- Der Empfänger bestätigt: „Pakete 1 bis 3 sind da.“
- Fehlt Paket 2, fordert der Empfänger es erneut an. Der Stream wartet, bis alle Teile da sind. Das garantiert höchste Bildqualität ohne Artefakte, führt aber bei schlechter Verbindung zu Pausen (Buffering).
UDP (User Datagram Protocol)
Für Echtzeit-Anwendungen wie Zoom, Skype oder Live-Sport-Streams kommt oft UDP zum Einsatz.
- Der Server feuert Datenpakete ab, ohne auf Bestätigung zu warten.
- Kommt ein Paket nicht an, wird es ignoriert. Das Resultat: Du siehst kurz einen Bildfehler oder hast einen Tonaussetzer, aber der Stream bricht nicht ab. Hier geht Geschwindigkeit und geringe Verzögerung (Latenz) vor Perfektion.
Adaptive Bitrate Streaming (ABR)
Hast du bemerkt, dass Videos manchmal unscharf starten und nach wenigen Sekunden gestochen scharf werden? Das ist Adaptive Bitrate Streaming.
Server speichern Videos nicht in einer einzigen Version. Ein Film liegt in vielen verschiedenen Qualitätsstufen vor – von 240p (geringe Datenrate) bis 4K HDR (hohe Datenrate). Diese Varianten sind in kleine zeitliche Segmente unterteilt, oft nur wenige Sekunden lang.
Der Player auf deinem Gerät misst mehrmals pro Sekunde die verfügbare Bandbreite.
- Szenario A: Deine Verbindung ist stark. Der Player fordert das nächste Segment in 4K an.
- Szenario B: Dein Mitbewohner startet einen Download. Die Bandbreite sinkt. Der Player bemerkt das sofort und fordert das nächste Segment in 720p an.
Dieser Wechsel geschieht nahtlos. Ziel ist es, den „Ladekreis“ unter allen Umständen zu vermeiden. Lieber ein schlechteres Bild als gar kein Bild.
Content Delivery Networks (CDNs)
Selbst mit bester Komprimierung und ABR gibt es ein physikalisches Problem: Die Lichtgeschwindigkeit. Ein Signal von einem Server in den USA nach Deutschland braucht Zeit. Diese Latenz sorgt für Verzögerungen. Zudem würde ein einzelner Server unter der Last von Millionen gleichzeitigen Zugriffen zusammenbrechen.
Streaming-Anbieter nutzen daher Content Delivery Networks (CDNs). Das sind Netzwerke aus tausenden Servern, die über den ganzen Globus verteilt sind. Ein neuer Film wird einmal auf den Hauptserver geladen und dann sofort auf Server in Frankfurt, London, Paris und Tokio kopiert (Caching).
Wenn du in Berlin einen Film startest, antwortet nicht der Hauptserver in Los Angeles, sondern ein CDN-Knotenpunkt in Frankfurt oder Berlin. Das verkürzt den Weg der Daten von 9.000 Kilometern auf wenige hundert Kilometer. Das Ergebnis: Der Film startet schneller und läuft stabiler.
Der Buffer: Das Sicherheitsnetz
Trotz CDNs und ABR schwankt das Internet. WLAN-Signale werden gestört, Knotenpunkte sind überlastet. Damit der Stream nicht bei jeder Millisekunde Verzögerung stoppt, nutzen Player einen Buffer.
Der Buffer ist ein Zwischenspeicher. Während du Sekunde 10 des Films siehst, lädt der Player im Hintergrund bereits die Sekunden 11 bis 40 herunter. Reißt die Verbindung kurz ab, spielt der Player die Daten aus dem Buffer ab. Du merkst von dem Aussetzer nichts, solange die Verbindung wiederhergestellt ist, bevor der Vorrat leer ist.
Fazit: Mathematik statt Magie
Streaming wirkt simpel, ist aber technisch anspruchsvoll. Es ist ein ständiger Wettlauf gegen Datenmengen und Latenzen. Durch intelligente Codecs, die nur Veränderungen speichern, adaptive Anpassung der Qualität und weltweite Server-Netzwerke wird aus Terabytes an Rohdaten ein flüssiger Filmabend auf dem Smartphone.