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Wie Rechtsextreme auf TikTok agieren

Die Kurzvideoplattform ist eines der beliebtesten sozialen Netzwerke unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Und die AfD ist die Partei mit der größten Reichweite auf TikTok. Eine Nachwahlbefragung nach der Bundestagswahl Ende Februar 2025 ergab: 20 Prozent aller Erstwähler stimmten für die AfD. Könnte es hier einen Zusammenhang geben? Wie nutzen die AfD und andere rechtsextreme Gruppen TikTok, um ihre Ideologie zu verbreiten? Und wie reagiert der Plattformbetreiber?
SSC, 18.07.2025
Smartphone mit TikTok-Icon

© Solen Feyissa, unsplash.com

Heute vor 100 Jahren, am 18. Juli 1925, veröffentlichte Adolf Hitler den ersten Band seines Buches „Mein Kampf“. Bis zum Ende des Dritten Reichs verkaufen sich der erste und zweite Band über zwölf Millionen Mal. In dieser „Abrechnung“ – so betitelt vom Verfasser selbst – finden sich viele Lügen und menschenverachtende Aussagen sowie das spätere Programm der NSDAP. Gleichzeitig klingen in Hitlers frühem Buch schon der angestrebte Eroberungskrieg und die gezielte Vergiftung von Menschen durch Gas an. Der Diktator nutzte „Mein Kampf“ jedoch auch, um sich und seine Ansichten bekannter zu machen.

100 Jahre später „kämpfen“ nun auch die AfD, Rechtsgesinnte und Rechtsextreme um mehr Reichweite. Dazu nutzen sie vor allem Social-Media-Plattformen, insbesondere TikTok, und das sehr erfolgreich. Der TikTok-Account der AfD hat knapp 620.000 Follower und etwas über elf Millionen Likes. Zum Vergleich: Die Konten von CDU, Kanzler Friedrich Merz und der Linken haben zusammengerechnet etwa 679.000 Follower und 13 Millionen Likes. Der reichweitenstärkste Politiker auf der Kurzvideoplattform ist Ulrich Siegmund, Abgeordneter der AfD im Landtag Sachsen-Anhalts. Seinem Account folgen etwa 560.000 Nutzer und fast elf Millionen drückten den Like-Button. Das zeigt: Rechtsextreme erhalten dort mehr Aufmerksamkeit als andere politische Accounts. Aber was macht rechte Inhalte auf TikTok so erfolgreich?

TikTok als Echokammer

Die Social-Media-Plattform TikTok ist bekannt für ihren ausgeklügelten Algorithmus. Wie genau er funktioniert, ist unklar, doch fest steht: Er sammelt Informationen über unsere Präferenzen. Dafür wertet er aus, was wir liken, welche Kommentare wir schreiben, welche Inhalte wir teilen und wie lange wir uns einzelne Inhalte ansehen. Anhand dieser Kriterien wird uns dann Content vorgeschlagen, dem wir sehr wahrscheinlich viel Aufmerksamkeit schenken werden – und das kann TikToks Algorithmus besonders schnell erlernen.

Der Algorithmus bevorzugt zudem möglichst prägnanten und plakativen Content oder Content mit polarisierenden Positionen, die extreme Emotionen wie Wut und Empörung auslösen können. Der Grund: Solche Inhalte führen zu vielen Reaktionen und die Nutzer bleiben länger  bei der Stange. Wie die Reaktionen ausfallen – ob die Nutzer höfliche Diskussionen führen oder sich gegenseitig oder den Verfasser des Contents beschimpfen – ist dabei für den Algorithmus unwichtig, Hauptsache, es gibt möglichst viele Interaktionen.

All das kann besonders bei politischen Inhalten problematisch werden. „Die algorithmischen Parameter führen bei politischen Inhalten dazu, dass man in kürzester Zeit in eine politisch eindimensionale Blase geraten kann, in der alle Differenzierungen ausgeblendet und kaum alternative Deutungen angeboten werden“, erklärt die Bildungsstätte Anne Frank in einer Analyse zum Thema Rechte auf TikTok. Nutzer geraten so schnell in eine Echokammer, in der ihnen ihre bestehenden Überzeugungen immer wieder bestätigt werden. „Der Algorithmus erzeugt im schlimmsten Fall einen Radikalisierungstunnel“, so die Bildungsstätte weiter.

Die „TikTok-Guerilla“ der AfD

TikTok ist demnach eine prädestinierte Umgebung für verstärkende Effekte. Hinzu kommen Bestrebungen der AfD selbst. Während die Linke seit August 2023 und die CDU erst seit Februar 2024 auf TikTok vertreten sind, stammt das erste Video auf dem Account der AfD-Fraktion von Januar 2022. Die Partei scheint die Möglichkeiten der Social-Media-Plattform schon vergleichsweise früh für sich entdeckt zu haben. Ihren Aufstieg zum reichweitenstärksten deutschen Partei-Account auf TikTok hat sie jedoch nicht nur sich selbst und ihren eigenen Uploads zu verdanken, wie 2024 eine Untersuchung des Recherchenetzwerks Correctiv enthüllt hat.

Maßgeblich daran beteiligt ist demnach ein Telegramkanal namens „TikTok-Guerilla“, der von Erik Ahrens, einem rechtsextremen Influencer und ehemaligem Berater des AfD-Politikers Maximilian Krah, gegründet wurde. Die TikTok-Guerilla leitet Kanalmitglieder dazu an, AfD-Content für die Kurzvideoplattform zu erstellen. Dazu stellen die Kanalbetreiber per Link Videomaterial aus Interviews oder Wahlkampfauftritten von AfD-Politikern zur Verfügung. Mitglieder sollen dieses Material mithilfe eines Tutorials bearbeiten – also mit Untertiteln oder plakativen Überschriften versehen – und auf einem selbst erstellten TikTok-Account hochladen.

Zur Belohnung gibt’s Geschenke. Einen Monat vor der Europawahl im Juni 2024 verloste die TikTok-Guerilla beispielsweise mehrere High-End-Smartphones an diejenigen, deren erstellte Videos über Maximilian Krah besonders viral gingen. „Knapp 500 Krah-Videos, die von der selbst ernannten Guerilla unter dem Hashtag #Krahtok ins Netz gestellt wurden, verbuchen bislang mehr als zehn Millionen Aufrufe“, berichtet die Süddeutsche Zeitung nach einer eigenen Datenanalyse. Die Strategie der Guerilla hat Erfolg.

Rechte Influencer und Jugendliche

Doch nicht nur die AfD, dazugehörige Politiker und die „TikTok-Guerilla“, sondern auch Influencer und Jugendliche verbreiten auf TikTok ihre rechten und rechtsextremen Ansichten. Zu den bekanntesten rechten Influencern, die auch auf TikTok erfolgreich sind, zählen Michelle Gollan („eingollan“) und Leonard Jäger („Ketzer der Neuzeit“). Sie posten vor allem Videos von politischen Protesten oder Straßenumfragen, die sie oft mit provokanten Überschriften („Woke Studenten fordern mich heraus!“, „Feministen drehen durch: Plötzlich war ich das Ziel der Demo!“) versehen.

Jugendliche hingegen präsentieren vor allem sich selbst, um ihre Ansichten zu verbreiten: Sie bewegen ihre Lippen zu Liedern rechter Bands oder gar Reden von Reichspropagandaleiter Joseph Goebbels, posieren vor einer Reichsflagge in ihrem Kinderzimmer oder sympathisieren in Form von Fotocollagen mit dem Dritten Reich und mit ihm verbundenen Ideologien. Oft finden sich in den Profilbeschreibungen oder Accountnamen dieser Jugendlichen mit der rechten Szene in Zusammenhang stehende Symbole wie die Zahl 88 (steht für H, den achten Buchstaben des Alphabets, und somit für den verbotenen Hitlergruß) oder zwei Blitz-Emojis (in Anlehnung an das Symbol der Schutzstaffel).

Was macht TikTok dagegen?

TikTok löscht nach eigenen Angaben Inhalte, die gegen ihre Community-Richtlinien verstoßen. Auch Videos von Maximilian Krah oder ganze Accounts der TikTok-Guerilla wurden bereits gelöscht. Laut dem „Digital Service Act“ der EU-Kommission müssen Online-Plattformen Hassrede und Falschinformationen, wie sie auf rechten TikTok-Accounts gängig sind, zwar unverzüglich löschen. Allerdings müssen sie nur Inhalte prüfen und gegebenenfalls an deutsche Strafverfolgungsbehörden weiterleiten, wenn Nutzer solche Inhalte auch melden.

Oft sind die Videos der AfD, von rechten Influencern und anderen „Sympathisanten“ zudem an der Grenze zum juristisch Verfolgbaren und müssen deshalb nicht gelöscht werden. So bleiben die meisten rechten Inhalte und Accounts im Netz – oder werden nach dem Löschen einfach durch neue ersetzt.

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