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Schwitzen auf dem Platz

Universität Würzburg

 

Trinken, trinken, trinken
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Wenn Bundestrainer Joachim Löw seine Spieler am 16. Juni ins erste Spiel der Weltmeisterschaft in Brasilien schickt, müssen sie gegen zwei Gegner kämpfen. Zum einen gegen die portugiesische Elf um Cristiano Ronaldo, zum anderen gegen die Hitze. Doch Sportwissenschaftler kennen die Strategien, um die Hitze zu überlisten.

Auf der ganzen Welt, unabhängig von Klimazonen und Wetter, treten Menschen mit großer Begeisterung gegen den Ball. Ob in einem Wüstenstaat, am Polarkreis oder im gemäßigten Klima: Die Frage lautet, welchen Einfluss äußere Umstände auf das Spiel haben. Sportwissenschaftler Billy Sperlich von der Universität Würzburg hat dies zusammen mit mehreren Kollegen genauer untersucht.

"Die richtige Kleidung, eine angemessene Flüssigkeitsaufnahme, passende Ernährung und Akklimatisation sind wesentliche Voraussetzungen, um Höchstleistungen auch bei schwierigen Bedingungen zu erzielen", sagt Sperlich. Aber hat das Wetter im weitesten Sinne überhaupt einen Einfluss auf Taktik und Offensivdrang einer Mannschaft? Es hat, wie Studien zeigen. Die Analyse eines Fußballspiels bei über 30 Grad Celsius zeigte, dass in den letzten – bei einem Turnier oft entscheidenden – 15 Minuten die Laufaktivität um bis zu 50 Prozent geringer als im Rest des Spiels war. Die Zuschauer sahen weniger Sprints und kaum noch schnelle, kurze Antritte.

Clevere Spieler leiden weniger

Anders als bei Spielen bei einer vergleichsweise normalen Temperatur um die 20 Grad Celsius und normaler Luftfeuchtigkeit legten die untersuchten Profis weniger Meter im Sprint zurück und die gesamte Laufstrecke verringerte sich um annähernd zehn Prozent. Zugleich erhöhte sich jedoch die Passgenauigkeit um annähernd den gleichen Prozentsatz. "Solche Aktionsanalysen sind natürlich mit einer gewissen Vorsicht zu genießen. Man könnte aber schon sagen, dass der clevere Spieler besser mit der Hitze zurecht kommt, weil er sich durch gutes Auge beispielsweise Sprints ersparen kann", sagt Sperlich.

Diese Cleverness, gepaart mit großen technischen Fähigkeiten, wird seit jeher den Brasilianern zugesprochen, weswegen ihnen von Experten gute Chancen eingeräumt werden, im eigenen Land den insgesamt sechsten WM-Titel gewinnen zu können. "Für die deutsche Nationalmannschaft wird es sicher eine Herausforderung sein, das laufintensive Pressing und das schnelle Umschaltspiel, wie Löw es sehen möchte, über 90 Minuten durchhalten zu können", sagt Sperlich. Anpfiff des ersten Spiels ist um 13 Uhr und damit in der Mittagshitze. In Salvador bedeutet dies: Mehr als 30 Grad und sehr hohe Luftfeuchtigkeit.

Trinken, trinken, trinken

Der Körper reguliert seine Kerntemperatur, die in etwa bei 37 Grad liegt, durch das Schwitzen. "Besonders bei sportlicher Belastung entstehen hohe Wärmemengen, da nur 20 bis 25 Prozent der Anstrengung in mechanische Arbeit umgesetzt werden", sagt Sperlich. Der Rest ist Wärme, durch Schwitzen kühlt der Körper. Das funktioniert gut, so lange die Außentemperatur nicht der Körpertemperatur zu nahe kommt. Dann ist das Gefälle zu gering und der Körperkern erwärmt sich. Also: Trinken, Trinken, Trinken? "Am besten so genannte Ice-Slushs", sagt Sperlich. Diese halbgefrorenen Getränke kühlen den Körper am schnellsten.

Die Nationalspieler könnten bei einer Partie im tropischen Fortaleza, wo sie am 21. Juni auf Ghana treffen, mehr als drei Liter in 90 Minuten verlieren. Die sollten jedoch nicht komplett mit zu kalten Getränken ersetzt werden – dies würde der Magen nicht verkraften. "Hier ist zudem zu beachten, dass die ausgeschwitzten Elektrolyte dem Körper fehlen und es zu Muskelkrämpfen kommen kann", erklärt Sperlich.

Kühlwesten und Bäder gegen die Mittagshitze

Und wie sehen die konkreten Auswirkungen auf das Spiel von Mesut Özil und Co. aus? Überhitzung und Wasserverlust führten bei untersuchten Spielern zu einer verlangsamten Reaktionszeit und Veränderungen der Feinmotorik. Eine Gegenmaßnahme ¬– neben der Einnahme von elektrolytischen Getränken – könnte das Runterkühlen der Kerntemperatur bereits vor dem Spiel sein. "Dies verlängert die Zeit, bis die Körperkerntemperatur in einen leistungslimitierenden Bereich ansteigt", erklärt Sperlich.

Bereits durch das 20-minütige Tragen von Kühlwesten vor dem Anpfiff oder eine entsprechende Abkühlung in der Halbzeit reichen aus, um einen messbaren Effekt zu erzielen. Da solche Westen nicht beim Spielen getragen werden können, kommt auch der Kleidung eine besondere Rolle zu. Luftige Trikots und Hosen in hellen Farben unterstützen eine verbesserte Wärmeabfuhr. Also sind die weißen Trikots der Deutschen den dunkelblauen französischen gegenüber im Vorteil. Generell ist möglichst wenig Kleidung gut. "Sonnencreme hat keinen negativen Einfluss auf den Wärmetransport. Sie ist sogar sehr zu empfehlen, da ein Sonnenbrand die Durchblutung der Haut akut reduziert und damit die Wärmeabgabe noch mehr verringert wird", sagt Sperlich.

Kaum Vorteile für afrikanische Mannschaften

In Fortaleza, dem vom Klima her anspruchsvollsten Spielort der Deutschen, trifft Löws Elf auf Ghana. Einen großen Vorteil sollten die Afrikaner aufgrund der Hitze jedoch nicht haben. Zum einen spielen die meisten Afrikaner mittlerweile in europäischen Ligen und sind die große Hitze nicht mehr so sehr gewöhnt, zum anderen können sich die Spieler akklimatisieren. Die acht Tage im WM-Lager "Campo Bahia" in der Nähe von Salvador sollten genügen, um den wichtigsten Mechanismus zur Temperaturregulation, das Schwitzen, an die Bedingungen anzupassen.

"Man kann sagen: Der Körper lernt, effektiver zu schwitzen. Es wird mehr dünnflüssiger Schweiß ausgeschieden und somit weniger Elektrolyte", sagt Sperlich. Um diese Anpassung nachzuweisen, wurden für eine Studie finnische Fußballer im wahrsten Sinne des Wortes in die Wüste geschickt.

Für alle Anpassungen gibt es jedoch auch Grenzen. Nach aktuellem Stand richtet die Fifa die Weltmeisterschaft 2022 im Wüstenstaat Katar aus. Aufgrund der Nähe zum Persischen Golf herrscht dort ganzjährig ein subtropisches Klima, Temperaturen von 45 Grad Celsius sind keine Seltenheit. "Dort helfen dann weder Kleidung, Kühlung oder eine lange Akklimatisation – von Leistungssport ist bei solchen Bedingungen abzuraten – außer, die Ausrichter bauen überdachte, komplett klimatisierte Stadien", sagt Sperlich.

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