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Adipositas: Was bringt die "Abnehmspritze" Semaglutid?

Sie gilt als große Hoffnung für Menschen mit hartnäckiger Adipositas: Der ursprünglich für Diabetiker gedachte Wirkstoff Semaglutid kann stark übergewichtigen Menschen beim Abnehmen helfen. Er dämpft den Appetit und trägt zum Abbau des Fettes bei. Die Wirkung soll dabei langfristig sogar fast so gut sein wie bei einer Magenverkleinerung. Doch ist der Hype begründet? Und wie funktioniert die Abnehmspritze?
NPO, 21.04.2023
Symbolbild Boy-Mass-Index

© puhimec, GettyImages

Starkes Übergewicht und Adipositas sind keine Randerscheinung: In Deutschland gelten knapp ein Viertel der Menschen als fettleibig, ihr Body-Mass-Index liegt bei 30 und mehr. Gesund ist das eher nicht: Starkes Übergewicht erhöht das Risiko für Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und einige Krebsarten. Hinzu kommt, dass stark übergewichtige Menschen oft diskriminiert werden.

Das Problem jedoch: Für Menschen mit Adipositas ist das Abnehmen schwerer als für nur leicht übergewichtige oder schlanke. Die meisten Betroffenen versuchen zwar immer wieder, mit Diäten, Ernährungsumstellung und anderen Maßnahmen gegen ihre Pfunde anzukämpfen. Doch nach vorübergehendem Abnehmerfolg kehrt das Übergewicht oft wieder zurück – durch den Jojo-Effekt oft stärker als vorher.

Eine Spritze als Abnehmhelfer

An diesem Punkt kommt die "Abnehmspritze" ins Spiel: In sozialen Medien und im Internet macht die „Abnehmspritze“ Semaglutid schon seit Monaten Furore. Promis, aber auch ganz normale Nutzerinnen und Nutzer berichten von erstaunlichen Abnehmerfolgen durch dieses ursprünglich für Diabetiker gedachte Medikament. Studien untermauern dies: Testpersonen mit Adipositas hatten nach gut einem Jahr der Behandlung deutlich an Gewicht verloren, rund ein Drittel von ihnen sogar mehr als 20 Prozent. Der Abnehmeffekt durch diesen Wirkstoff ist meist ähnlich hoch wie bei einer Magenoperation.

Tatsächlich sehen auch Mediziner in Semaglutid und den mit ihm verwandten Wirkstoffen einen echten Meilenstein in der Adipositas-Therapie: „Gamechanger ist ein Schlagwort, das hier absolut zutrifft. Wir hatten noch nie Medikamente, die auch nur in der Nähe einer Effektivität waren, wie wir es jetzt erleben“, sagt der Adipositasforscher Jens Aberle vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.

Wie funktioniert Semaglutid?

Das Semaglutid gehört zu einer ganzen Gruppe von Wirkstoffen, die ursprünglich für die Behandlung des Diabetes Typ-2 entwickelt wurden. Diese sogenannten „Glucagon-like Peptide-1“-Mimetika (GLP-1) ahmen ein körpereigenes Hormon nach, das den Zuckerstoffwechsel und das Sättigungsgefühl beeinflusst. Dieses im Darm produzierte Hormon wirkt auf den Zuckerstoffwechsel und die Bauchspeicheldrüse, aber auch auf unser Gehirn und unseren Appetit.

Dafür lagert sich GLP-1 an Rezeptoren im oberen Teil des Hirnstamms und im Hypothalamus an. Dadurch werden Signalketten aktiviert, die das Hungerfühl dämpfen und das Sättigungsgefühl verstärken. Beim Essen setzt das Gefühl des Sattseins zudem früher ein, wodurch man automatisch kleinere Mahlzeiten zu sich nimmt. Weil das Medikament auch auf die Magen- und Darmtätigkeit wirkt, bleibt die Nahrung länger im Magen. Das verlängert die Phase der Sattheit und bremst das Wiedereinsetzen des Hungergefühls.

Der Nachteil jedoch: Bisher kann der Wirkstoff nicht per Tablette eingenommen werden – man muss ihn sich spritzen. Einmal in der Woche wird das Semaglutid unter die Haut gespritzt. Ähnlich wie bei Insulinspritzen für Diabetiker geschieht dies mithilfe einer speziellen Fertigspritze.

Effektiv, aber kein Lifestyle-Mittel

Nach Ansicht von Wissenschaftler könnte der Wirkstoff aber trotz dieser wenig angenehmen Anwendungsweise eine echte Chance für all diejenigen sein, die unter Adipositas leiden und es bisher nicht geschafft haben, mit anderen Mitteln abzunehmen. „Kein anderes Medikament hat bisher auch nur annähernd eine derartige Gewichtsabnahme erreicht – das ist wirklich ein entscheidender Fortschritt“, sagt Rachel Batterham vom University College London, eine der Studienautorinnen. „Zum ersten Mal können Menschen durch Medikamente erreichen, was bisher nur durch eine Operation zur Gewichtsreduktion möglich war.“

Allerdings: Ein Lifestyle-Mittel sind Semaglutid und Co deshalb nicht. Auch wenn prominente Nutzer wie Elon Musk oder Kim Kardashian suggerieren, man könnte damit problemlos mal eben einige Kilo abspecken. Denn sinnvoll ist die Abnehmspritze nur bei denjenigen, die wirklich unter starkem Übergewicht und Adipositas leiden. Wenn jemand normalgewichtig ist oder nur ein paar Pfund zu viel hat, wirkt Semaglutid schwächer bis gar nicht.

Aus diesem Grund ist die Abnehmspritze in Deutschland nur für Menschen mit starkem Übergewicht zugelassen: Verschrieben werden kann es ab einem Body-Mass-Index von 30, außerdem bei Übergewichtigen mit einem BMI von 27, wenn zusätzlich Begleiterkrankungen wie Diabetes, Bluthochdruck und ähnliches diagnostiziert wurden.

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