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Faktencheck: Drei Mythen rund um Autismus
Menschen mit Autismus haben häufig Probleme mit der sozialen Interaktion, der nonverbalen Kommunikation und reagieren meist überempfindlich auf Reize. Autismus wird diagnostisch in drei Formen unterteilt: frühkindlicher Autismus, Asperger-Syndrom und atypischer Autismus. Die Formen überschneiden sich und haben unterschiedliche Ausprägungsgrade: Während Autisten mit dem Asperger-Syndrom meist normal oder sogar überdurchschnittlich intelligent sind, kann eine autistische Entwicklungsstörung auch zu geistiger Behinderung führen.
Die Störung tritt gehäuft familiär auf. Doch bislang ist unklar, was genau Autismus auslöst. Unter anderem haben Wissenschaftler genetische Faktoren und das Alter der Eltern, aber auch Virusinfektionen und Schadstoffeinflüsse beim ungeborenen Kind im Verdacht, Autismus zu begünstigen.
US-Präsident Donald Trump hat jüngst drei Behauptungen zu Autismus und seiner Ursache aufgestellt: Autismus bei Kindern stünde mit der Einnahme des Schmerzmittels Paracetamol – in den USA unter dem Namen „Tylenol“ erhältlich – während der Schwangerschaft in Zusammenhang. Außerdem gäbe es einen Zusammenhang zwischen Autismus bei Kindern und der kombinierten Impfung gegen Masern, Mumps und Röteln. Und gäbe es immer mehr Autismus-Diagnosen. Was davon stimmt?
Aussage eins: Immer mehr Menschen werden mit Autismus diagnostiziert
Im Jahr 2022 wurden in den USA im Schnitt etwas über drei Prozent der achtjährigen Kinder mit Autismus diagnostiziert, wie die US Centers for Disease Control (CDC) berichten. Das sind tatsächlich mehr Diagnosen als jemals zuvor in den USA. Im Jahr 2000 lag dieser Anteil beispielsweise noch bei rund 0,7 Prozent. Zusätzlich zeigten sich in der US-Statistik Unterschiede je nach Geschlecht und Hautfarbe: Jungen bekamen die Diagnose etwa dreimal häufiger als Mädchen. Kinder mit nichtweißer Hautfarbe, wie Afroamerikaner oder amerikanische Ureinwohner, haben ebenfalls eine größere Wahrscheinlichkeit, eine Autismus-Diagnose zu erhalten. Einen starken Anstieg der Diagnosen gab es speziell in Kalifornien.
Ein Großteil des Anstiegs kann allerdings auf bessere Diagnosemethoden und stärkere Aufmerksamkeit für die Störung zurückgehen. In Kalifornien führen Forschende die Diagnose-Zunahme etwa auf die besonders intensiven Screening-Programme in dem Bundesstaat zurück.
„Dieses Phänomen hängt nicht nur damit zusammen, dass wir auch subtile Störungen bei Kindern heute besser erkennen“, sagt US-Autismusforscher Walter Zahorodny von der Rutgers University. „Heute werden auch sehr viele Erwachsene mit Autismus diagnostiziert“, erklärt Sven Bölte vom Karolinska-Institut in Stockholm. „Der Autismus hat also die Erwachsenenpsychiatrie erschlossen, was früher nicht so war. Man diagnostiziert heute auch früher als damals.“ Aber das alles reicht nicht aus, um die Gesamtzunahme und die Gruppenunterschiede bei den Autismus-Diagnosen zu erklären. Trumps Aussage stimmt demnach in gewissem Maße: Es gibt tatsächlich mehr Autisten als früher.
Aussage zwei: Kombiimpfung verursacht Autismus
Die Kombinationsimpfung gegen Masern, Mumps und Röteln (MMR) hat bis heute zu Unrecht einen schlechten Ruf. Dieser geht auf einen Bericht eines Forschungsteams um Andrew Wakefield vom Royal Free Hospital in London aus dem Jahr 1998 zurück. Die Forschenden beschrieben damals zwölf Fälle von Kindern, die als Kleinkinder eine solche Impfung erhalten hatten und bald darauf die ersten Symptome eines regressiven – sich verschlimmernden – Autismus zeigten. Später stellte sich allerdings heraus, dass Wakefield seine Daten bewusst gefälscht hatte, um den zeitlichen Zusammenhang von Impfung und Autismus-Ausbruch „schönzufärben“.
Aufgedeckt wurde der Schwindel, als mehrere Forschungsteams den Befund in seriösen Folgestudien überprüften. Auch Jahre später noch: Unter anderem hat ein Team um Anjali Jain von der Lewin Group den angeblichen Zusammenhang zwischen der MMR-Impfung und Autismus bei 95.000 Kindern untersucht. Die Forschenden fanden dabei keine Unterschiede zwischen geimpften und ungeimpften Kindern, wie sie 2015 berichteten. Beide Gruppen hatten dasselbe Risiko, an Autismus zu erkranken – auch, wenn die Kinder ältere Geschwister mit Autismus hatten.
„Nimmt man alles zusammen, dann haben inzwischen mehrere Dutzend Studien gezeigt, dass sich bei geimpften und ungeimpften Kindern weder der Zeitpunkt der Autismussymptome, noch die Schwere oder der Verlauf der Krankheit, noch das Risiko für Autismus in genetisch vorbelasteten Familien unterscheidet“, kommentiert Bryan King von der University of Washington. Es gibt demnach keinen Zusammenhang zwischen Autismus und der MMR-Impfung, obwohl sich diese Falschbehauptung bei Trump und anderen Impfgegnern hartnäckig hält.
Aussage drei: Paracetamol begünstigt Autismus
Auch zur dritten Aussage Trumps gibt es eine differenzierte Studie, die Klarheit schafft: Ein Team um Viktor Ahlqvist und Hugo Sjöqvist vom Karolinska-Institut in Stockholm hat fast 2,5 Millionen Kinder erfasst, die zwischen 1995 und 2019 in Schweden geboren wurden. Etwa 7,5 Prozent ihrer Mütter hatten während der Schwangerschaft Paracetamol eingenommen. Das Team fand jedoch keinen Hinweis darauf, dass diese Medikamenten-Einnahme bei den Kindern unmittelbar das Risiko für Autismus erhöhte.
„Wir haben auch darauf geachtet, alle Variablen zu berücksichtigen, die die Ergebnisse unserer statistischen Analyse beeinflusst haben könnten – einschließlich der Kontrolle von Gesundheitsfaktoren wie Fieber oder Schmerzen, die Einfluss darauf gehabt hätten, ob eine Mutter während ihrer Schwangerschaft Paracetamol eingenommen hat oder nicht“, berichten die Forschenden gegenüber „The Conversation“. Zusätzlich verglich das Forschungsteam Geschwisterkinder, bei denen die Mutter in einer Schwangerschaft Paracetamol einnahm und in einer anderen nicht.
„Beispielsweise leiden Mütter, die Paracetamol einnehmen, häufiger auch unter Migräne, chronischen Schmerzen, Fieber oder schweren Infektionen“, erklären die Forschenden. „Dies sind Erkrankungen, die selbst genetisch mit Autismus oder ADHS in Verbindung stehen und auch die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass bei einem Kind später eine dieser Erkrankungen diagnostiziert wird.“ Solche Begleitfaktoren können daher den Eindruck erwecken, dass Paracetamol Autismus begünstigt, obwohl es in Wirklichkeit keinen direkten Zusammenhang gibt.