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Kunst des Mittelalters – in der Mitte der Zeit

Der Begriff »Mittelalter« bezeichnet die Zeit zwischen Spätantike und italienischer Renaissance, zwei Epochen, die ihre Leitbilder aus der antiken Philosophie, Kunst und Architektur bezogen. Dazwischen liegen rund 1000 Jahre! Doch dieses Jahrtausend ist mehr als ein »Dazwischen«, mehr als die »Mitte« zwischen zwei großen Kulturepochen, wie es der Name »Mittelalter« andeutet, es ist eine Epoche mit vielfältigen künstlerischen Entwicklungen. Weder war dieses Jahrtausend so barbarisch und »finster«, wie es die Renaissance in Abkehr vom Alten, Gewesenen darstellte, noch so romantisch verklärt, wie es das 19. Jahrhundert sah.

Der Bruch nach dem Untergang des Römischen Reichs in der Völkerwanderungszeit war scharf. Der Neubeginn war zum einen vom christlichen Glauben geprägt, zum anderen von der Verlagerung der politischen Macht vom Mittelmeerraum nach Norden. Italien zehrte noch lange vom kulturellen Vorsprung als Herz des untergegangenen Römerreichs. Doch Mittel- und Westeuropa emanzipierten sich, fanden in der Gotik zu völlig authentischer künstlerischer Ausdruckskraft.

Charakteristisch für das Mittelalter war die starke Position der Städte, besonders im deutschsprachigen und oberitalienischen Raum. Aber auch in Flandern, dem neuen europäischen Wirtschaftszentrum, bildete sich eine spezielle urbane Kultur. Getragen wurde sie vom durch Handel und Gewerbe wohlhabend gewordenen Bürgertum.

Die Kunst des Mittelalters ist zuvorderst religiöse Kunst. Das Spektrum reicht vom byzantinisch beeinflussten Mosaik bis zur klösterlichen Buchmalerei, von der romanischen Steinskulptur bis zum spätgotischen Holzschnitzwerk, vom sehr intimen Andachtsbild bis zum repräsentativen Tafelbild. Trotz der stark religiösen Orientierung zeichnet sich in der Entwicklung von der Frühromanik bis zur Spätgotik eine zunehmende Verweltlichung der Kunst ab. War sie zunächst ganz der Heilsgeschichte verpflichtet, so wurden allmählich Erzählfreude und Individualität kunstbestimmend.

Teotihuacán: Beherrscht von Göttern, erschaffen von Menschen

Was bedeutet Teotihuacán?

Die Azteken stießen 500 Jahre nach dem rätselhaften Untergang der Stadt um 750 n.Chr. auf deren Überreste und gaben dem Ort den Namen »Teotihuacán« – der Ort, an dem die Götter geschaffen wurden. Zu ihrer Blütezeit um 500 n.Chr. gehörte die Metropole im Hochtal von Mexiko mit ihren Pyramiden und Palästen, mit einer Kanalisation, kilometerlangen Straßen und schätzungsweise 200000 Einwohnern zu den größten Städten der Welt.

Die Azteken waren beeindruckt von der monumentalen, steinernen Architektur der Ruinen, die ihrer Meinung nach nur von Götterhand geschaffen worden sein konnten. Gemeint waren zweifellos die imposantesten Bauwerke der Stadt, die Sonnen- und Mondpyramide und die so genannte Zitadelle. Sie sind Teil des riesigen Zeremonialbezirks, dessen Gebäude sich von Norden nach Süden über zwei Kilometer hinziehen entlang der 45 Meter breiten Miccaotli, der »Straße der Toten«. Der gewaltige Ruinenkomplex vermittelt heute noch eine Vorstellung von der Macht und politischen Bedeutung der Stadt während der so genannten klassischen Epoche.

Nach welchem Plan wurde die Stadt erbaut?

Die Anlage der Stadt folgt offenbar einem schachbrettartigen Grundplan, der schon in den ersten Jahren der Siedlung festgelegt war. Damals entstanden die größten Bauwerke entlang der Straße der Toten. Im Lauf der Jahrhunderte hielten sich die Baumeister an das strikte Rastersystem. Die Hauptachse teilte die Stadt in vier Distrikte mit dem Marktplatz im Zentrum, den Tempelbezirk und die Stadtviertel mit ethnischen Gruppen oder bestimmten Handwerkszweigen.

Was hat die Architektur der Häuser mit dem Straßenmuster zu tun?

Das rechtwinklige Straßensystem wiederholt sich in einem immer wiederkehrenden Fassadenschema bei den einzelnen Gebäuden. Dieser Baustil gilt als typisch für die Architektur Teotihuacáns. Er kombiniert eine schräge Grundmauer (talud) mit einem rechteckigen Element (tablero), das sich darüber erhebt. Für die Vergrößerung eines Bauwerks genügte es, diese Kombination beliebig oft aufeinanderzusetzen. Bis heute nimmt man das Auftreten dieses Baustils an anderen Orten in Mesoamerika – wie man das Gebiet der vorkolumbischen Hochkulturen nennt – als Beleg für den Einfluss Teotihuacáns.

Wie wohnten die Menschen?

Das typische Wohngebäude war der »Palast.« Die quadratischen oder rechteckigen einstöckigen Wohnkomplexe mit Flachdächern messen zwischen 25x25 und 50x50 Metern und sind in der Regel von einer fensterlosen Mauer umgeben. In ihrem Inneren befinden sich zahlreiche Räume, Korridore und Höfe. Im Haupthof gibt es fast immer einen eigenen Zeremonialbereich, in dessen Mitte manchmal ein Tempel steht. Die Raumgröße variiert und reicht von engen Kammern für die einfachen Leute bis zu großzügigen Räumen der Privilegierten. Häufiges Motiv der Fassadengestaltung sind vollplastische Schlangenköpfe.

Welchen Gestirnen waren die Pyramiden gewidmet?

Es gab eine Sonnen- und eine Mondpyramide. Die Sonnenpyramide im mittleren Bereich der Miccaotli mit einer Grundfläche von 222x225 Metern und einer Gesamthöhe von 64 Metern ist eines der gewaltigsten Bauwerke des Alten Amerika. Grabungen im Inneren der Pyramide förderten alte Mauern und Keramikfiguren aus vorklassischer Zeit zu Tage und belegen, dass die Pyramide nicht auf einem natürlichen Hügel, sondern samt Unterbau komplett von Menschenhand errichtet wurde.

Die Mondpyramide am nördlichen Abschluss der Straße der Toten misst 45 Meter Höhe bei einer Grundfläche von 130x163 Metern. Untersuchungen ergaben, dass der Monumentalbau eigentlich aus fünf übereinander gebauten, zwischen der Zeitenwende und 450 n.Chr. errichteten Pyramiden besteht.

Welche unterschiedlichen Funktionen hatten die Stadtviertel?

Die Gebäude entlang der Miccaotli dienten wohl vorwiegend religiösen Zeremonien, hatten aber daneben auch weltliche Funktion. Sie verbanden also wirtschaftliche, sakrale und administrative Aufgaben. Der Nachweis von Obsidianwerkstätten in der zentralen Zone verdeutlicht die Bedeutung und sakrale Anbindung dieses Handwerks. Die Töpfereien für Gebrauchskeramik etwa lagen weit entfernt von der Miccaotli. Während die Architektur grundsätzlich dem vorgegebenen Schema folgte, geben Ausgrabungen künstlerischer Artefakte Auskunft über die ethnische Vielfalt und damit die individuelle Ausprägung der einzelnen Stadtviertel.

Wie war Teotihuacán geschmückt?

Als besonderes Kennzeichen der prunkvollen Stadt Teotihuacán gelten die einzigartigen Wandmalereien. Alle bisher aufgedeckten Mauern zeigen Farbspuren. Die Künstler schmückten nicht nur Sakralgebäude, sondern auch öffentliche und private Paläste und normale Häuser. Die Bemalung reicht von einfarbigen, roten Flächen bis zu vielfarbigen Kombinationen mit figürlichen Motiven und abstrakten Ornamenten.

Wussten Sie, dass …

es in Teotihuacán eine Art Verkehrszeichen gab? Das waren an Wänden angebrachte Logogramme, die von Menschen unterschiedlicher Sprachen verstanden wurden.

im Zentrum der Zitadelle in Teotihuacán auch die Maya Spuren hinterließen? Archäologen fanden Hinweise auf die Maya in der Keramik und einigen Details von Wandmalereien.

Hagia Sophia: Krone der Baukunst für die heilige Weisheit

Was heißt Hagia Sophia?

Die 532 bis 537 erbaute Haupt- und Krönungskirche des Oströmischen Reiches war der heiligen Weisheit geweiht, griechisch hagia sophia. Das Gebäude spiegelt die politische Geschichte der einstigen Hauptstadt Konstantinopel – heute Istanbul – wider.

War der Standort der Kirche schon früher bebaut?

Ja, an der Stelle entstand bereits unter Konstantin dem Großen (Reg. 306–337) eine erste Kirche. Sie fiel den Zerstörungen im Nika-Aufstand 532 zum Opfer. Kaiser Justinian I. (Reg. 527–565) ließ daraufhin von den Architekten Anthemios von Tralles und Isidor von Milet einen Neubau errichten. Schon kurz nach der Weihe im Jahr 537 erwies sich dessen flaches Kuppelgewölbe als nicht tragfähig und stürzte bei einem Erdbeben 538 ein. 563 wurde eine neue Kuppel mit höherer Wölbung eingezogen.

Welche Wandlungen erlebte die Hagia Sophia?

Einen großen Einschnitt bedeutete die Eroberung Konstantinopels 1453 durch die Türken: Nun wurde aus der christlichen Kirche eine Moschee. Später kamen zahlreiche Anbauten hinzu, die vor allem die äußere Erscheinung veränderten. Die wenigen Eingriffe im Innern dienten hauptsächlich kultischen Zwecken, etwa die nach Mekka ausgerichtete Gebetsnische (Mihrab) in der Hauptapsis, die Sultan Süleiman II. der Prächtige (Reg. 1520 bis 1566) stiftete. Ein weiteres Erdbeben im Jahr 1894 zerstörte etliche der alten Mosaiken. Im Jahre 1934 wandelte sich der Zweck des Baus noch einmal. Aus dem Sakralbau wurde nun ein profanes Museum.

Was kennzeichnet den Kirchenraum?

Die Hagia Sophia vereint das Prinzip des Richtungsbaus (Langhaus mit Hauptschiff und Seitenschiffen) mit dem eines überkuppelten Zentralbaus – ein Gedanke, der von der byzantinischen und frühchristlichen Architektur bis in die Renaissance und den Barock weiterentwickelt werden sollte. Die Genialität der Erfindung liegt in der Qualität des Raums und seiner Anmutung, die unwiederholt und ohne Nachfolge bleiben sollte.

Hat man die verschiedenen Vorräume der Kirche durchschritten – ein (heute zum größten Teil zerstörtes) säulenumstandenes Atrium, eine äußere und eine innere Vorhalle (Narthex) –, betritt man den Hauptraum. Er bildet faktisch einen überkuppelten Saal mit quer zu ihm gesetzten kleineren Räumen. Für den Eindruck bestimmend ist jedoch die mächtige Hauptkuppel mit einem Durchmesser von 33 Metern und einer Scheitelhöhe von 56 Metern. Ihre gewaltigen Schubkräfte werden in der Längsachse auf je zwei Halb- und drei (bzw. zwei) Nebenkuppeln abgeleitet. Doppelstöckige Arkaden bilden den Übergang vom Kuppelraum zu den angrenzenden Seitenräumen.

Die gewaltige Leistung der Baumeister bestand darin, die tragenden massiven Pfeiler der Kuppel so geschickt in die Wandmassen einzubinden, dass sie als solche kaum erkennbar sind. Stattdessen wirkt es, als ob der innere Kuppelraum von einem hinter den Arkaden liegenden, äußeren Raum umschlossen wäre. Die Kuppel schließlich scheint über spielerisch durchbrochenen und durchfensterten Wänden zu schweben – bedenkt man die Monumentalität der Anlage und ihre Entstehungszeit, das 6. Jahrhundert, ein nicht nur in technischer Hinsicht höchst beeindruckendes Raumerlebnis.

Aus welcher Zeit stammen die Mosaiken und was zeigen sie?

Von der ursprünglichen Ausstattung fiel das meiste dem Bildersturm im 8. Jahrhundert zum Opfer, ein Großteil der Mosaiken stammt aus späterer Zeit. Viele zeigen Darstellungen der jeweiligen Kaiser, in deren Regierungszeit die Erneuerungen fielen (so etwa Kaiser Leon VI., vor Christus kniend, im inneren Narthex, um 900).

Thema des Widmungsmosaiks aus dem 10. Jahrhundert über der südlichen Narthextür ist die Stiftung der Kirche: Der thronenden Muttergottes werden von Kaiser Konstantin und Justinian Modelle von Stadt und Kirche dargebracht. Auch auf den Emporen sind noch Reste alter Mosaiken zu erkennen.

Wer ist auf den Mosaiken der Apsis abgebildet?

Das Halbrund der Kuppel zeigt die thronende Muttergottes mit kaiserlich gewandetem Kind, flankiert von den Erzengeln Gabriel (rechts) und Michael (links) schräg darunter an den Wänden des Altarraums. Der ursprüngliche Mosaikschmuck in der Apsis wurde zerstört, jedoch unmittelbar nach dem Bildersturm wiederhergestellt (um 867).

Was war der Ikonoklasmus?

Dem Ikonoklasmus (der Begriff leitet sich ab von griechisch eikon für Bild sowie kloein für zerstören) oder Bildersturm fiel in der Hagia Sophia ein Großteil der frühbyzantinischen Tafelbilder, Mosaiken und Fresken zum Opfer. Dazu zählen Darstellungen von Christus als Weltenherrscher in der Kuppel und von zwei der Seraphim in den Hängezwickeln darunter. Der Bilderstreit basiert auf dem 726 von Kaiser Leon III. ausgesprochenen und von seinen Anhängern vehement durchgesetzten Verbot der Bilderverehrung. Es wurde erst 787 nach der Thronbesteigung Kaiserin Irenes wieder außer Kraft gesetzt und lebte kurzfristig im 9. Jahrhundert noch einmal auf.

Wussten Sie, dass …

die acht grünen Marmorsäulen der Arkadenreihe im Erdgeschoss vom Tempel der Artemis in Ephesos stammen sollen?

die vier Porphyrsäulen in den seitlichen Apsiden wohl aus dem Jupitertempel in Heliopolis (heute Baalbek im Libanon) als Symbol der Überlegenheit des Christentums über die heidnischen Kulte herbeigeschafft wurden?

die Mosaiken wegen des islamischen Bilderverbots nach der Umgestaltung zur Moschee unter Putz lagen?

Höhlentempel von Ajanta: Ein Denkmal für die Ewigkeit

Wie kam es zur Entdeckung der Höhlen?

Offiziere der britischen Kolonialarmee stießen bei einer Tigerjagd 1819 zufällig auf den Höhlenkomplex von Ajanta. Damals waren die Höhlen, die einst buddhistischen Mönchen als Kloster und Tempel gedient hatten, bereits seit einem Jahrtausend verlassen. Überwältigt standen nun die Offiziere vor der Pracht und der Fülle der monumentalen Wandmalereien, Reliefs und Skulpturen. Seit 1983 gehören die Höhlen im indischen Bundesstaat Maharashtra zum UNESCO-Weltkulturerbe.

Wann entstanden Höhlen und Kunstwerke?

Die ersten Höhlen wurden im 2. und 1. Jahrhundert v. Chr. in die steilen Felswände über dem Fluss Wagora geschlagen. Eine mühsame Arbeit, aber die schwindelnde Höhe bot den Mönchen während des Monsuns Schutz vor Überschwemmungen. In einer zweiten Periode, zwischen dem 5. und dem 7. Jahrhundert n.Chr., kam es zu einer wesentlichen Erweiterung. Diese hauptsächlich in der Gupta-Zeit, 320 n.Chr. bis um 500 n.Chr., entstandenen Kulthöhlen bilden den größten und imposantesten Teil der Anlage.

In die Zeit der Gupta-Dynastie fällt die klassische Epoche der altindischen Malerei. Der hohe Entwicklungsstand der Freskotechnik zeigt sich deutlich in der unvollendeten Höhle 2 von Ajanta: Zwei Schichten aus gemagertem Ton wurden auf den Fels aufgetragen und dann mit einer feinen, glatten Lehmschicht bedeckt. Auf den feuchten Putz wurden zunächst die Umrisse der Figuren mit rotem Hämatitpulver skizziert, mit fünf verschiedenen Farben ausgemalt und abschließend die trockenen Wände glänzend poliert.

Was zeigen die Bilder?

Das reiche Bildprogramm der Höhlen von Ajanta erzählt von Buddha und seinen früheren Existenzen. Breiten Raum nehmen Szenen aus dem luxuriösen, sehr weltlichen Leben des Prinzen Siddharta Gautama ein. Ein anderes zentrales Motiv ist Siddharta als Bodhisattva, der, unter dem Bodhi-Baum sitzend, den richtigen Weg zur Erlösung erfährt und zum Buddha, dem Erleuchteten, wird. Die Malereien sind ein gutes Beispiel für das breite Motivrepertoire der klassischen Epoche.

Welche Stilelemente zeigt die klassische Malerei?

Im Stil zeichnet sich die klassische Malerei durch feine Wiedergabe der Details aus, eine stärkere Betonung der Umrisslinie und geschickte Überschneidungen der Motive, mit denen räumliche Tiefenwirkung erzielt wird. Die Männer sind kraftvoll, die Frauen üppig dargestellt, ihre Gesten wirken sehr gefühlsbetont. Hervorstechendes Merkmal der klassischen Malerei sind die Augenpartien der Personen. Deutlich zeigen sich diese Stilmerkmale am großen Bodhisattva aus der Höhle 1.

Welche Art von Heiligtum finden wir in Ajanta?

Die Höhlenanlage von Ajanta ist ein Heiligtum des Mahayana-Buddhismus, der im 1. Jahrhundert v.Chr. aufkam und den Bodhisattva nicht, wie im frühen Buddhismus, als Menschen sieht, der nach Erleuchtung strebt, sondern als einen bereits Erleuchteten. Aufgrund seines Mitleids verzichtet er jedoch auf den sofortigen Eintritt ins Nirvana, um alle anderen Wesen zu erlösen.

Was ist die bedeutendste Figur in den Höhlenmalereien von Ajanta?

Das ist ohne Zweifel der barmherzig-erlösende Bodhisattva Padmapani in Höhle 1, einem Vihara (Mönchszellentrakt) aus dem 6. Jahrhundert n.Chr. Er ist dargestellt in höfischer Tracht, mit Halsschmuck, langen Locken, feinem Gewand und einer prächtigen Krone. Der Körper ist in hellen Tönen leicht modelliert, wirkt jedoch nicht feminin. Die helle Hautfarbe zeigt die vornehme Herkunft des Prinzen, auch die graziöse Körperhaltung der Figur verrät Eleganz. Zwischen den manieristisch gespreizten Fingern der rechten Hand hält er eine Blüte. Doch der meditative Gesichtsausdruck lässt daran zweifeln, dass der Bodhisattva die diesseitige Existenz der Blume überhaupt wahrnimmt. Der Eindruck der Entrücktheit wird gefördert durch die – in typischer Art der Epoche gezeichneten – Augen, deren Lider tief über den Augapfel gezogen und durch einen Lidstrich verlängert sind. Die Schminke lässt die Augen noch schmaler und länger erscheinen. Die natürlichen Brauen sind rasiert und oberhalb der Brauenpartie in kühnem Schwung aufgemalt.

Wo befinden sich ähnliche Höhlen?

Die Weiterentwicklung der religiösen Kunst Indiens lässt sich im Höhlenkomplex von Ellora studieren, das wie Ajanta im Bundesstaat Maharashtra liegt und ebenfalls zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört. Die in den Fels gehauenen Klöster und Tempel von Ellora stammen aus der Zeit vom 5. bis 13. Jahrhundert, sind also jünger als die von Ajanta und zeigen einige der bedeutendsten Kunstwerke der Chalukya-Epoche (6./7. Jh.). Neben buddhistischen und hinduistischen Anlagen – herausragend der Dumnar-Lena-Tempel – finden sich hier auch Heiligtümer des Jinismus, einer extrem asketischen Religion, die im 5. Jahrhundert v.Chr. in Indien begründet wurde.

Wussten Sie, dass …

sich die Gestalt des barmherzigen Bodhisattva in Höhle 1 harmonisch in eine paradiesische Felsenlandschaft einfügt? Affen, Pfauen und verschiedene Fabelwesen bevölkern die Szene.

ein ganzer Hofstaat mit üppigen, reich geschmückten Schönheiten inmitten traumhafter Szenerien den faszinierenden Gesamteindruck vervollständigt?

Der Felsendom: Frühislamische Kunst in Jerusalem

Warum ist der Felsendom ein heiliger Ort für Juden und Muslime?

Einst stand der Tempel des Königs Salomo an diesem Ort – einem heiligen Ort. Denn der Fels, über dem sich heute der achteckige Kuppelbau erhebt, gilt den Juden als die Stätte, an der Abraham sich anschickte, seinen Sohn Isaak zu opfern. Nach islamischem Glauben ist von diesem Felsen der Prophet Mohammed in den Himmel aufgefahren. So gehört der Felsendom, nach Mekka und Medina, traditionell zu den bedeutendsten Pilgerstätten der Muslime. Erst 1855 wurde auch Andersgläubigen der Zutritt erlaubt.

Wer ließ den Felsendom erbauen?

Bauherr des im Jahr 691 fertig gestellten Felsendoms war der Kalif Abd Al Malik (Reg. 685–705). Er gehörte dem Geschlecht der Omajjaden an, der ersten Kalifendynastie, die in Damaskus residierte. Die Omajjaden dehnten das Islamische Reich nach Nordafrika, Turkistan, Pandschab und Spanien aus und wussten ihre Macht gegen andere muslimische Herrscher zu verteidigen. So beseitigte Abd Al Malik den Gegenkalifen in Mekka, um die Einheit des Reiches wiederherzustellen.

Mit dem Bau des Felsendoms auf dem Tempelberg schuf er ein Symbol für den Triumph des Islams. Indem er den »Heiligen Felsen« der älteren biblischen Überlieferung für den Islam in Anspruch nahm, behauptete er die Überlegenheit der neuen Religion.

Wie ist der Innenraum des Heiligtums gestaltet?

Der Felsendom ist der älteste weitgehend im Originalzustand erhaltene Sakralbau des Islams. Zwar erfolgten vor allem in osmanischer Zeit einige Umbauten und Restaurationen, bei denen die Fassadenmosaiken zerstört wurden. Der Ausgestaltung des Inneren jedoch, und ihr gebührt höchste Aufmerksamkeit, blieb der spätantik-byzantinische Charakter erhalten. So sind die Wandfläche im mittleren Kuppelraum bis zum Ansatz der Kuppel sowie die Bögen des Umgangsbereichs mit prächtigen Mosaiken aus der Erbauungszeit geschmückt: Auf dem vergoldeten Grund erhebt sich ein üppiges Dekor aus Ranken, Akanthusblättern und Palmetten. Die Ranken, die aus kostbaren, mit Edelsteinen verzierten Gefäßen herauswachsen, bedecken mit ihren schwungvollen Einrollungen die Flächen. Diese Bildwerke werden von aneinandergereihten, mit Edelsteinen geschmückten Medaillons umrahmt. Zwischen den einzelnen Pflanzenmotiven finden sich alte Herrschaftssymbole wie Kronen, Halsschmuck und Ohrringe, die ebenfalls als Mosaik gestaltet und mit ausgesucht wertvollen Steinen besetzt sind.

Welche künstlerischen Einflüsse sind im Felsendom erkennbar?

Ein Charakteristikum der Frühphase islamischer Kunst ist die Orientierung an der überlieferten antiken Kunst. So kann die Ausgestaltung des Felsendoms ihre byzantinischen, altpersischen, vor allem auch griechisch-römischen Vorbilder nicht verleugnen. Symmetrisch aufgebaute, fächerförmige Pflanzenmotive wurden in der antiken Kunst des Mittelmeerraums häufig verwendet. Aus dem Byzantinischen Reich und dem persischen Sassaniden-Reich hat man als dekorative Elemente den Schmuck, die Gefäße, die Kronen, die Medaillons und das Doppelflügel-Motiv entlehnt.

Die frühe islamische Kunst hat ihre Vorbilder aber nicht einfach nur kopiert, sondern eigenständig fortentwickelt. Die Palmette beispielsweise zeigt sich im Felsendom ins Monumentale übersteigert, wobei sie in der Form entweder dem »klassischen« Vorbild folgt oder als innovative Mischform mit aufsteigenden Blattranken gestaltet ist.

Warum gibt es keine Darstellungen von Mensch und Tier?

Am völligen Fehlen der Darstellung von Mensch und Tier, wie sie in zeitgleichen Mosaiken der spätantik-byzantinischen Welt selbstverständlich ist, wird die im Islam prinzipielle Ablehnung des Kultbildes deutlich. Die islamische Kunst ist ja wesentlich von der Religion und ihren Gesetzen und Prinzipien bestimmt. Deshalb mussten künstlerische Vorbilder, die man von alten Kulturen übernahm, an die neue Religion angepasst werden.

Welche Bedeutung hat das üppige Pflanzendekor?

Das in der üppigen Pflanzendarstellung versteckte inhaltliche Weiterleben der antiken Lebensbaum- und Paradiessymbolik macht dem Gläubigen auch islamische Vorstellungen vom Paradies als immergrünem Ort anschaulich. Die Übernahme der Kunstform des Mosaiks an sich, der Machtsymbole aus der byzantinischen und altorientalischen Kultur symbolisiert deren Überwindung durch den Islam und den Anbruch einer neuen Zeit.

Was erzählen die Inschriften?

Die umlaufenden Inschriften, die neben den Mosaiken zur Innenausstattung des Felsendoms zählen, zitieren Passagen aus dem Koran. Die Auswahl der Suren bezieht sich dabei hauptsächlich auf die kompromisslose Eingottlehre des Islams und ihre Abgrenzung gegen andere Gottesvorstellungen. Zudem demonstrieren die Inschriften die hohe Wertschätzung, die im Islam dem Wort zukommt, das deutlich über das Bild gestellt wird. Daraus entwickelten sich die Verwendung von Schrift und Schriftsymbolen in der Dekoration sowie die wesentliche Rolle, die die Kalligrafie, die Schönschreibekunst, in der islamischen Kultur spielt.

Wussten Sie, dass …

den Schöpfern der Mosaiken unter Umständen die Symbolik der überlieferten alten Motive gar nicht bewusst war? So steht die Weinranke in der griechischen Antike für den Vegetationsgott Dionysos, der seine Anhänger in orgiastischen Taumel versetzte – ein Zustand, den der Islam ablehnt.

Moschee von Córdoba: Raumschöpfung aus 1001 Nacht

Was macht die Moschee so besonders?

Die Freitagsmoschee im andalusischen Córdoba gilt als eindrucksvollstes Zeugnis islamischer Architektur in Spanien. Mit ihren stattlichen Ausmaßen von 178 x 128 Metern ist sie die drittgrößte Moschee der islamischen Welt und hat alle späteren Raubzüge und Eroberungen nahezu unbeschadet überstanden.

Fast 800 Jahre lang, von 711 bis 1492, herrschte der Islam im Südwesten Europas. In seiner Blütezeit vom 8. bis 10. Jahrhundert nahm das islamische Spanien den größten Teil der Iberischen Halbinsel ein. Nördlich davon hatten Christen ein kleines asturisch-galizisches Königreich gegründet, von wo aus sie neidvoll auf das reiche islamische Spanien blickten. Dessen politisches und kulturelles Zentrum war im 10. Jahrhundert Córdoba, mit rund 500000 Einwohnern die größte Stadt im westlichen Mittelmeerraum und neben Bagdad die Metropole der islamischen Welt.

Wer ließ die Moschee erbauen?

Die Moschee hatte mehrere Bauherren. Zunächst hatten die islamischen Eroberer nach dem Sieg über die Westgoten im 8. Jahrhundert Córdoba zur Residenzstadt ausgebaut. Emir Abd ar-Rahman I., der Al-Andalus zu einem mächtigen und reichen Staat machte, ließ ab 785 in Córdobas Zentrum eine neue Moschee errichten. Er wollte damit der Herrschaft seiner Dynastie und der wachsenden islamischen Bevölkerung ein religiöses Zentrum geben. Spätere Herrscher wie Mohammed I., Abd ar-Rahman III., Al-Hakem II. und Almansor vergrößerten das Bauwerk, bis es schließlich zu einem gewaltigen Moscheebezirk von 23400 Quadratmetern herangewachsen war.

Welche Wirkung erzielt die Architektur?

Der schlichte Außenbau mit seinen zwölf Meter hohen Mauern gleicht einer Festung. Künstlerische Akzente setzen mehrere Portale entlang der Ost- und Westflanke. Hervorzuheben ist die reiche Dekoration der Puerta del Palacio, deren Tor von einem kühn geschwungenen Hufeisenbogen bekrönt und von verblendeten und filigran vergitterten Fenstern sowie Blendarkaden eingefasst wird. Besonders reizvoll ist das Wechselspiel von rotem Ziegel und sandfarbenem Gestein. Im Patio de los Naranjos, dem Moscheevorplatz innerhalb der Mauern, standen einst Zypressen, Lorbeer- und Olivenbäume. Daneben gab es auch Brunnen, da das Areal den rituellen Reinigungsbädern vorbehalten war. Der Überlieferung nach ließ erst der christliche König Alfons X. hier Orangenbäume anpflanzen. Der heute steil aufragende Glockenturm ist ein barocker Umbau des Minaretts, das unter den Mauren im 10. Jahrhundert errichtet worden war.

Was gliedert den Innenraum?

Im Inneren der Moschee empfängt ein Wald aus dicht beieinanderstehenden Säulen den Besucher. Die 860 schlanken, schwerelos wirkenden Säulen sind größtenteils antikrömischen Ursprungs. Auf ihnen lasten die so genannten Kämpferblöcke. Sie dienen sowohl den Hufeisenbögen, die zu den benachbarten Stützen überleiten, als auch den aufragenden Pfeilern als Basis. Diese bilden ein oberes, von Halbkreisbögen bestimmtes »Stockwerk« aus, dessen Farbenspiel den Blick immer wieder auf sich zieht. Der älteste Bauabschnitt aus der Zeit Abd ar-Rahmans I. erstreckt sich über den nordwestlichen Teil der Gebetshalle und nahm einst elf Schiffe ein. Die Säulen schimmern rosafarben und blaugrau, die Keilsteine der Bögen setzen mit dem Wechsel aus rotem Ziegel und sandfarbenem Haustein optische Akzente. Der Mihrab (die Gebetsnische) des ersten Erweiterungsbaus aus dem 9. Jahrhundert hat sich in Gestalt der Capilla de Villaviciosa als eine der schönsten Raumschöpfungen der Moschee erhalten. Eine Rippenkuppel bekrönt die verzierten Schauwände mit ihren Vielpassbögen.

Wodurch zeichnet sich der Erweiterungsbau aus?

Durch seine hohe künstlerische Qualität. Der im Südwesten anschließende Erweiterungsbau erfolgte ab 961 unter Al-Hakem II. Sein Prunkstück ist ein zweiter Mihrab in Gestalt einer tiefen Nische mit muschelförmiger Kuppel, die je fünf quadratische Räume flankieren. Ausgezeichnet wird der Bereich durch eine zur Gebetshalle hin mit blauen und goldenen Mosaiken geschmückte Prachtfassade. Die Inschriften zitieren Koranverse und rühmen Al-Hakem II. Nicht minder aufwendig ist der Vorraum gestaltet, der aus ineinander verflochtenen Streben besteht. Ihn zieren Vielpassbögen sowie eine dünne Haut aus filigranem Stuckdekor. Die aus Bogenrippen gebildete Kuppel ist reich mit Mosaiken besetzt.

Wie gingen die Christen mit dem Zeugnis islamischer Baukunst um?

Selbst die christlichen Herrscher, die Córdoba 1236 erobern konnten, bewunderten die islamische Moschee. Anders die Domherren von Córdoba, die inmitten des Gebetsraumes ein mittelmäßiges Gotteshaus im Stil der Spätgotik errichten ließen. Kaiser Karl V. hatte ihnen – in Unkenntnis der Situation – seinen Segen gegeben. Als er später den brachialen Eingriff persönlich in Augenschein nahm, soll er ausgerufen haben: »Hätte ich gewusst, was das hier war, ich hätte nie gewagt, den alten Bau anzutasten. Ihr habt zerstört, was in der Welt einmalig war und etwas hingestellt, was man überall sehen kann!«

Wussten Sie, dass …

Córdoba 169 v. Chr. von den Römern besetzt und im 3. Jahrhundert n. Chr. Bischofssitz wurde?

an der Stelle, wo heute die Moschee ihre Pracht entfaltet, zuvor schon ein römischer Tempel sowie eine christliche Kathedrale stand?

die beeindruckenden Säulen des Inneren aus Jaspis, Onyx, Granit und Marmor bestehen?

Córdoba 1236 von den Christen zurückerobert wurde? Nur dem Geldmangel ist es zu verdanken, dass den Umbauplänen der neuen Herrscher nicht mehr zum Opfer fiel.

Pfalzkapelle in Aachen: Mittelalterliche Herrscherkunst

Wo verbirgt sich die Pfalzkapelle?

Im Aachener Münster. Von außen lässt sich der Kern dieses Bauwerks unter den Anbauten der Jahrhunderte kaum erkennen. Im Inneren öffnet sich jedoch ein über die Zeiten kaum veränderter Raum von epochaler geschichtlicher und kunstgeschichtlicher Bedeutung: die Pfalzkapelle Karls des Großen.

Wie ist der Raum gebaut?

Die Pfalzkapelle ist ein steiler, achteckiger Zentralbau. Er wird auf zwei Geschossen von einem sechzehneckigen Umgang umschlossen und von einem Klostergewölbe überspannt. Der Kernraum des Oktogons (Achtecks) ist ein Arkadenraum, das heißt, er öffnet sich zu den Umgängen mit Rundbögen. Das niedrige, untere Geschoss erscheint wie ein Sockel für das höhere darüber, das dem Kaiser und seinem Gefolge vorbehalten war und daher besonders ausgezeichnet ist.

Die einst vergoldeten Bronzegitter des Obergeschosses stammen aus der Erbauungszeit. Im Osten schloss sich das zweigeschossige Altarhaus mit den Altären für Christus und Maria an. Im Westen ist der Bau mit der Kaiserempore vorgelagert. Der Königs- und Krönungsthron des Reiches steht noch heute auf dem westlichen Umgang vor der Kaiserempore, mit direkter Sicht auf das gegenüberliegende Altarhaus. Vor dem Westbau der Kirche, der eine riesige Rundbogennische für den Kaiser aufwies, erstreckte sich der für feierliche Anlässe benutzte Vorhof, das Atrium.

Warum steht die Kapelle in Aachen?

In Aachen sollte erstmals ein festes Zentrum für das fränkische Reich entstehen: ein zweites Rom in Rivalität mit dem oströmischen Byzanz. Als Architekt der Kapelle, dem Mittelpunkt der neuen Pfalz, wird Odo von Metz genannt. Das entscheidende Vorbild war die Kirche San Vitale in Ravenna, die Karl aus eigener Anschauung kannte und schätzte. Dieser doppelgeschossige Zentralbau entstand unter byzantinischer Herrschaft im zweiten Viertel des 6. Jahrhunderts und ist heute noch für seine Mosaiken berühmt, die unter anderem den byzantinischen Kaiser Justinian und seine Frau Theodora zeigen.

Was verbindet die Kapelle mit ihrem Vorbild?

Hier wie dort handelt es sich um ein Oktogon mit Umgang, Empore und Obergaden (der durchfensterte obere Anschluss), mit Arkaden und Säulenstellungen sowie einer Wölbung. Einiges unterscheidet jedoch die beiden Bauten. So steht die Steilheit und Kantigkeit des Baus im deutlichen Gegensatz zu San Vitales Architektur. Vor allem aber gilt es zu beachten, wie der Architekt die Säulen aus Porphyr und Granit mit ihren Marmorkapitellen präsentierte, die eigens aus Ravenna und Rom herbeigeschafft wurden. Die kostbaren kaiserlich-antiken Materialien stehen für die Idee des »neuen Rom« und Karls Anspruch einer Legitimation in Anknüpfung an das antike Kaisertum. Übrigens verzichtete der Architekt auf die in San Vitale ausschwingenden Arkaden der Oktogonkompartimente wohl, um die Säulen besser zur Geltung zu bringen.

Welche technischen Mittel setzten die Erbauer ein?

Die Kapelle war der erste gewölbte Großbau nördlich der Alpen seit der Antike. Er entstand in einer völlig neuen Technik, bei der man sich erstmals einer Ringkonstruktion aus Eisen bediente. Die antikisch gestalteten, bronzenen Emporengitter und Türen wurden gegossen: Zum ersten Mal seit der Antike kam diese Technik in Aachen wieder zur Anwendung. Neu war der Westbau mit der Thronanlage, der große Nachfolge finden sollte. Die Pfalzkapelle steht schließlich am Beginn einer langen Reihe zweigeschossiger Hofkapellen im mittelalterlichen Abendland.

Was bewahrte die Kapelle vor Umbauten und Veränderungen?

Mit der Bestattung des am 28. Januar 814 verstorbenen Karl des Großen wurde die Pfalzkapelle zur Grabeskirche. Vom 9. bis zum 11. Jahrhundert wurden im Reich aus ideologischen Gründen viele Kirchen errichtet, deren Formen sich an der Pfalzkapelle orientierten. Nachdem sich Otto der Große 936 in Aachen zum deutschen König krönen ließ, wurde Aachen Krönungsstätte. Die Bedeutung der Kapelle erklärt, dass sie kaum verändert, sondern nur durch Anbauten ergänzt und mit Kostbarkeiten beschenkt wurde. Um Karl den Großen entwickelte sich ein Kult, der bis zu seiner Ernennung zum Staatsheiligen führte.

Wussten Sie, dass …

die Bezeichnung »Kapelle« ihren Ursprung in Aachen hat? Der Begriff capella bezeichnete den Mantel des heiligen Martin; die Reliquie war im Besitz der fränkischen Könige.

im Aachener Dom Reliquien wie das Lendentuch Christi, das Kleid Mariens sowie das Enthauptungstuch Johannes' des Täufers aufbewahrt werden?

Tempel von Khajuraho: Kunst, Religion und Sinnlichkeit

Warum stehen so viele Tempel an einem Ort?

Khajuraho, das alte Kharjjuravahaka, war einst Hauptstadt einer der mächtigen Dynastien ihrer Zeit, der Chandella. Die Tempel entstanden zwischen dem 9. und 12. Jahrhundert n. Chr. Von den etwa 80 Heiligtümern sind heute nurmehr rund 30 Tempel und Schreine erhalten, davon einige nur noch als Ruinen. Die bewahrten Heiligtümer können jedoch als beste und spektakulärste Beispiele der sakralen Architektur Indiens im nördlichen Stil gelten – von welchem sie sich allerdings durch eigene Charakteristika unterscheiden.

Wie gliedert sich der Tempel?

Der Gläubige betritt den Tempel von Osten durch einen Eingangsraum (ardhamandapa) und einen Vorraum (mandapa). Aus dem Versammlungsraum (mahamandapa) führt ein Vestibül (antarala) in das Allerheiligste (garbhagrha); alle Räume liegen auf einer Achse. Die Gläubigen verehren das garbhagrha von einem Wandelgang auf dem Umgangskorridor (pradakshina) aus. Über allen Bauteilen des Tempels ragen immer höhere Türme auf, die – nach dem Willen der Erbauer – wie Himalaya-Gipfel erscheinen sollen.

Der Bau steht auf einer hohen Plattform, von der fast senkrecht die Architektur aufragt, zuweilen unterbrochen durch Fenster, Balustraden und Balkone sowie rundum von waagerechten Reliefbändern überzogen. Die darüberliegenden Dächer werden ebenfalls durch Reliefwerk in horizontale Streifen gegliedert. Die Dächer erhalten ihre charakteristische Form durch viele Nebentürme und - türmchen, die dicht beieinanderstehen.

Woher kommen die Schattenspiele?

Überfordert von der Fülle der Eindrücke, orientiert sich das Auge an den Schatten, die sich über den gesamten Bau ziehen. Sie entstehen dadurch, dass die Reliefs sehr tief ausgearbeitet sind. Teilweise bilden die Figuren sogar dreidimensionale Skulpturen aus.

Was stellen die vielen Skulpturen dar?

An den Tempelfassaden sieht man an entsprechender Stelle Skulpturen mit den Königen der Himmelsrichtungen sowie weibliche Gottheiten, Musikanten und Prunkprozessionen. Besonders reich wurden die Portale geschmückt. Zu beiden Seiten der Türöffnung sind hier die Flussgöttinnen dargestellt, Ganga und Yamuna, die der Tradition gemäß auf Krokodil und Schildkröte stehen. Im Gegensatz zu früheren indischen Tempeln im Gupta-Stil wurden die Tempelbauten der Chandella auch innen mit Reliefwerk geschmückt. Der berühmteste Tempel von Khajuraho ist der shivaitische Kandariya-Mahadeva vom Anfang des 11. Jahrhunderts, geschmückt mit über 600 Statuen auf seinen Außenfassaden und ausgestattet mit 200 Figuren im Inneren.

Was bedeuten die erotischen Darstellungen?

Die Bedeutung der erotischen Skulpturen an den Fassaden des Tempels ist bis heute nicht ganz geklärt. Sie zeigen sexuelle Vereinigungen, die nach europäischen Maßstäben im Bereich des Obszönen und Orgiastischen liegen. Man versucht sie mit dem Shiva-Kult oder aber mit Praktiken einer geheimen Lehre zu verbinden, des so genannten Tantra. Diese indische Erlösungslehre mit stark erotisch gefärbter, mystischer Symbolik wurde auch unter den Chandella-Königen praktiziert. Die tantrischen Praktiken haben ähnlich dem Yoga als oberstes Prinzip die Vereinigung von Körper und Geist. Hier wird dieses Ziel durch rituellen Genuss von all jenem zu erreichen versucht, das in der Askese verboten ist – darunter auch Geschlechtsverkehr. Andererseits lassen sich die Darstellungen der Liebespaare, der so genannten mithunas, an den Außenwänden und Umzäunungen der Heiligtümer bis in die früheren Epochen der indischen Kunst zurückverfolgen, in denen die Tantra-Lehre noch lange nicht erfunden war.

Haben die erotischen Figuren eine religiöse Dimension?

Die Darstellung von Liebespaaren ist ein bedeutender Aspekt der im Hinduismus tief verwurzelten Fruchtbarkeitskulte. In der sexuellen Ekstase wird das Göttliche und damit das eigentliche Ziel eines jeden Lebewesens erfahren. Die Gesichter der Liebenden spiegeln hier auch nicht Lüsternheit und Erregung, sondern fast schon weltentrückte Gelassenheit wider. Die sexuelle Vereinigung ist hier kein in erster Linie körperlicher Akt, sondern eine spirituelle und damit religiöse Form der Gotteserfahrung. Von der Götterstatue im Inneren geht die Kraft aus, die sich an den Außenwänden des Tempels zum »Tanz des Lebens« steigert.

Wussten Sie, dass …

sich der höchste Turm des Tempels über dem Allerheiligsten erhebt?

die Tempel größtenteils Heiligtümer zweier hinduistischer Glaubensrichtungen – des Shivaismus und des Vishnuismus – sind?

der hinduistische Gott Shiva noch 108 weitere Namen führt?

einige Tempel auf die Anhänger des Jinismus zurückgehen, einer unorthodoxen Glaubensrichtung aus dem 5. Jahrhundert v. Chr.?

Die Abteikirche in Cluny: Steingewordener Ausdruck von Klostermacht

Wie wurde Cluny zu einem der einflussreichsten Klöster in Europa?

Im Jahr 910 stiftete Wilhelm, Herzog von Aquitanien und Graf von Auvergne, die Abtei dem Benediktinerorden und stellte sie unter die Hoheit der Päpste. Kein geistlicher oder weltlicher Herr hatte Einfluss auf ihre internen Belange. Die Stiftungsbestimmungen ließen das Kloster bald zu einer kirchlichen Feudalmacht werden, deren Reichtum durch zahlreiche Stiftungen beständig erweitert wurde. Hinzu kamen Einkünfte aus den in ganz Europa Cluny unterstellten Klöstern, wodurch ein streng hierarchisch gegliederter Klosterverband entstand. Zu den Stiftern gehörten sogar Könige wie Alfons VI. von León und Heinrich I. von England.

Cluny entwickelte sich zum Zentrum einer Reformbewegung des gesamten abendländischen Mönchtums. Architektonischer Ausdruck dessen war die nach 1070 begonnene dritte Klosterkirche (Cluny III). Dieser gewaltige Kirchenbau stand sinnbildhaft für die weltliche Macht der Cluniazenser, der einflussreichsten Mönchskongregation im 11. und 12. Jahrhundert in Europa.

Wie sahen die Vorgängerbauten aus?

Über die erste Kirche von Cluny ist nur bekannt, dass es sich um eine 915 geweihte steinerne Saalkirche handelte. Bereits kurz darauf begann man mit einem ehrgeizigeren Projekt. Die zweite Kirche des Klosters war spätestens seit 948 im Bau, 981 wurde sie geweiht. Man errichtete eine dreischiffige Basilika mit ausladendem Querhaus und langem dreiteiligem Chor mit gestaffelten Apsiden. Dem Langhaus war im Westen ein Atrium vorgelagert. Cluny II wurde zum Vorbild der cluniazensischen Reformbaukunst, die im Deutschen Reich vom Kloster Hirsau aus Verbreitung fand. Die Kirche wurde um 1118 für den Kreuzgang abgebrochen, Chor und Atrium blieben bis zum 18. Jahrhundert erhalten.

Welche Ausmaße hatte Cluny III?

Bis zum Neubau von Sankt Peter in Rom war die um 1088 unter Abt Hugo begonnene dritte Kirche von Cluny mit einer Länge von fast 188 Metern, einer Breite des Querschiffs von rund 74 Metern und einer Höhe des Kirchenschiffs von fast 33 Metern die größte Kirche der Christenheit. Vor dem eigentlichen Kirchenbau befand sich ein gewaltiger Narthex (Vorhalle) mit zwei massiven Türmen, das gesamte Bauwerk hatte eine Länge von fast 220 Metern. Der Ostteil der Kirche wurde durch vier große Türme nachdrücklich betont.

Das fünfschiffige, im Osten durch ein großes Querhaus abgeschlossene Langhaus bestand aus elf Jochen (Raumabschnitten). Daran schloss der Chor mit einem zweiten Querhaus an. Durch zahlreiche Apsiden und Umgangskapellen war es möglich, viele Nebenaltäre für private Stiftungen und Messen einzurichten. Erstmals fanden nun auch an einem Bauwerk dieser Größe Strebebögen zur Stabilisierung der Gewölbe Verwendung.

Der enorme Kirchenbau von Cluny III wurde 1810 im Gefolge der Französischen Revolution verkauft und abgebrochen.

Wie war der Innenraum gestaltet?

Der Aufriss des fast 30 Meter hohen Kirchenschiffs setzte sich im Inneren aus drei Zonen zusammen. Die unterste wurde von hohen Arkaden auf kreuzförmigen Pfeilern gebildet. Darüber befanden sich zwei Reihen rundbogiger Öffnungen, deren untere einen Laufgang aufnahm, während die obere Fensteröffnungen umfasste. Das Mittelschiff war mit einem Tonnengewölbe gedeckt, das Gurtbögen in einzelne Joche unterteilten.

Die korinthischen Kapitelle der Säulen folgen antiken Vorbildern. Ihre zum Teil figürliche Plastik beginnt, sich von der reliefartigen Verschmelzung der Darstellungen mit den Kapitellkernen früherer Epochen zu lösen. Nun wurden die Figuren in ihrer Körperlichkeit betont. Die Kapitelle sind ein Höhepunkt der romanischen Monumentalskulptur in Burgund.

Warum rebellierte Bernhard von Clairvaux gegen die Cluniazenser?

Die gewaltigen Abmessungen von Cluny III lassen sich nicht allein durch die zunehmende Zahl von Mönchen erklären, die in der Mitte des 11. Jahrhunderts bei rund 400 lag. Vielmehr war das übersteigerte Selbstbewusstsein der Abtei Anlass genug, um alles bis dahin Erbaute zu überbieten. Das Streben nach Größe und die Entfaltung von Pracht standen in krassem Gegensatz zu der ursprünglich angestrebten strengen Einhaltung der benediktinischen Ordensregel. Der später heilig gesprochene Bernhard von Clairvaux kritisierte die cluniazensischen Kirchen heftig und gründete als Reaktion den Orden der Zisterzienser. Die Reform des Mönchtums im Sinne christlicher Armut musste schließlich von Cluny an die Zisterzienser abgegeben werden.

Wussten Sie, dass …

Papst Urban II., der 1095 den Chor der neuen Kirche von Cluny weihte, vormals dort Prior gewesen war?

allein der Südarm des großen Querhauses, einige Grundmauern sowie einzelne Kapitelle und andere Bauplastik vom einstmals stolzen Kirchenbau erhalten geblieben sind?

Tempelkomplex von Angkor Vat: Erbaut für alle Ewigkeit

Welches Volk erschuf den Tempel von Angkor Vat?

Das Volk der Khmer. Das größte sakrale Bauwerk der Menschheit ist der in Stein gehauene »Traum von Angkor«, der Tempelkomplex von Angkor Vat. Er ist architektonisch-künstlerischer Inbegriff eines der mächtigsten Reiche in der Geschichte Südostasiens. In ihm entfaltete sich die Hochkultur der Khmer zur vollen Blüte.

Zwischen dem frühen 9. und späten 16. Jahrhundert beherrschten die indisierten Khmer weite Teile Südostasiens. Ihr Reich währte etwa 100 Jahre länger als die islamische Periode der Iberischen Halbinsel unter den Arabern und Berbern. Über Jahrhunderte war Angkor im heutigen Kambodscha politisches und kulturelles Zentrum. Von Mitte des 10. bis Mitte des 13. Jahrhunderts entwickelte sich hier der Höhepunkt der Khmer-Kultur.

Wie entwickelte sich der Bau der Tempelanlage?

Im insgesamt etwa 400 Quadratkilometer großen Gebiet von Angkor entstand in den einzelnen Herrscherperioden eine Fülle von Tempeln, von denen heute noch 72 Bauwerke erhalten sind. Die Tempel waren für die Ewigkeit gebaut: Als Baumaterial kamen Sandstein und Laterit zum Einsatz.

Die Tempelanlage, in der etwa 20000 Menschen lebten, wurde als Stadt in der Stadt erbaut. Ein 200 Meter breiter Wassergraben umfängt einen geometrisch exakt konzipierten Gesamtkomplex. Er bedeckt eine Fläche von 1500 x 1300 Metern und weicht ein wenig von den für die Khmer-Architektur charakteristischen, axial angelegten Zentralbauten ab.

Warum ist die Anlage noch so gut erhalten?

Über die Jahrhunderte wurde der Tempel von buddhistischen Mönchen unterhalten, wodurch sich sein vergleichsweise guter Gesamtzustand erklärt. Eine Sandsteinbrücke führt von Westen durch das Haupttor der Umfassungsmauer ins Innere der Anlage, die noch heute zwei Klöster beherbergt. Über drei ansteigende Terrassen erhebt sich das zentrale Heiligtum, das nur dem König und den Priestern zugänglich war. Es schließt auf der dritten Terrasse mit fünf Türmen ab, die Lotosblüten nachgebildet sind und das Nationalemblem Kambodschas darstellen.

Was zeigen die Reliefs?

Die äußere der beiden Pfeilergalerien, die den Tempelkern umfassen, zieren weltberühmte Flachreliefs. Sie greifen die großen Stoffe der indischen Epen auf, aber auch solche aus der Geschichte Angkors. Als in Stein gehauene Sagen und Mythen erzählen sie vom Ringen guter und böser Kräfte und erteilen Unterweisungen in altindischer Moralethik. Die Darstellungen bilden zugleich eine reiche Quelle unseres Wissens über die Kultur der Khmer und zu historischen Ereignissen. Besonders eindrucksvoll sind die Szenen mit dem königlichen Hofstaat oder die militärische Prozession Suryavarmans II. nach einem siegreichen Feldzug gegen die Cham und Siamesen, die die Macht der Khmer im Lauf der Geschichte öfter herausforderten.

Was symbolisiert die Tempelanlage?

In seiner Gesamtanlage bildet Angkor Vat entsprechend der hinduistischen Mythologie ein Abbild des Universums. So repräsentieren die Wassergräben das Urmeer, Mauern und Galerien die Gebirgsketten und das Zentralheiligtum selbst den Berg Meru, der als Wohnsitz der Götter betrachtet wird. Von diesen leiteten die Könige ihre Herkunft ab. Das Grabmal Suryavarmans II. wurde im zentralen Turm eingerichtet, beleuchtet von der untergehenden Sonne. In diesem Bauwerk ist der Geist Indiens allgegenwärtig – und eine Ahnung vom einstigen »Traum von Angkor«.

Wer beauftragte den Tempelbau?

Suryavarman II., der 1113 den Thron bestieg. Mit ihm als neuem, starkem König kehrte wieder Stabilität ein in das durch Bürgerkriege geschwächte Reich. Der Titel Suryavarman, »der Schützling Suryas« (des indischen Sonnengottes) zeugt von der Bedeutung dieses Herrschers, der die Khmer zur größten territorialen Herrschaft in der Geschichte ihres Staates führte. Er ließ in der Hauptstadt Angkor den Tempel errichten und weihte ihn Vishnu. Die Arbeiten dauerten knapp 40 Jahre, bis über den Tod des Königs im Jahre 1150 hinaus, die Ausgestaltung dauerte weitere Jahrhunderte. Die künstlerische Qualität zu Suryavarmans Zeit sollte später nie mehr erreicht werden.

Wussten Sie, dass …

der Name Angkor Vat in Khmer-Sanskrit »Kloster-Hauptstadt« bedeutet?

die Häuser der Khmer Holzbauten waren, während die Tempelanlage aus Stein entstand?

der innerste Kultraum als erster Teil des Tempels fertig gestellt werden sollte? So wurde vom Tempel des zentralen Turms aus, der die anderen vier Türme der obersten Terrasse überragt, nach außen weitergebaut.

Bamberger Reiter: Einzug der Gotik in Deutschland

Aus welcher Zeit stammt der Bamberger Reiter?

Er stammt aus der späten Stauferzeit. Damals entstand unter Kaiser Friedrich II. auf dem Höhepunkt ritterlicher Kultur der prächtige Neubau des Domes in Bamberg. Sein Figurenschmuck zählt zu den größten Meisterwerken deutscher Kunst des 13. Jahrhunderts. Am populärsten ist der »Bamberger Reiter«.

Warum gibt die Skulptur Rätsel auf?

Es ist unklar, wen der Reiter darstellt. Weder historische Quellen noch Inschriften auf dem Kunstwerk geben Hinweise. Generationen von Kunsthistorikern bemühten sich bereits, das Rätsel um die Monumentalplastik im Georgenchor des Bamberger Domes zu lösen. Doch bis heute konnte die Frage nicht eindeutig beantwortet werden: Wer ist der Reiter?

Die Krone, die der Unbekannte trägt, weist ihn als Herrschergestalt, wohl als König oder Kaiser aus. Der Baldachin, die feierliche Überdachung über dem Haupt des Reiters, symbolisiert hingegen das »himmlische Jerusalem« und setzt einen starken religiösen Bezug. Sollte es sich um Kaiser Heinrich II., Stifter des Bamberger Domes und Gründer des Bistums handeln, der 1146 heiliggesprochen wurde? Oder um dessen ebenfalls heiligen Schwager, König Stephan von Ungarn, der bereits in einem Reisebericht des 18. Jahrhunderts mit dem Dargestellten gleichgesetzt wurde?

Könnte der Unbekannte Friedrich II. sein?

Möglich wäre es gewesen, dass man Anfang des 13. Jahrhunderts einfach den gerade herrschenden Kaiser darstellte, also den Staufer Friedrich II., der das Projekt des Domneubaus finanziell unterstützt hatte. Wenn dem so wäre, bestünde sogar die Möglichkeit, dass die Figur Gesichtszüge Friedrichs zeigt und somit zu den wenigen Beispielen von sehr frühen »Porträts« des Mittelalters gehört. Aber auch Kaiser Konstantin der Große, der erste christliche Kaiser, wäre als Deutungsversuch denkbar. Der Reiter, der sein Pferd plötzlich zum Innehalten bringt – die Zügel sind spätere Ergänzungen und waren in der Originalfassung gespannt – und seinen Blick in die Ferne richtet, könnte den Kaiser im Augenblick seiner Kreuzesvision darstellen.

Warum hat der Reiter eine so große kunstgeschichtliche Bedeutung?

Die Bamberger Reiterskulptur gilt stilistisch als eines der frühesten und faszinierendsten Beispiele für den Einzug des gotischen Stils in Deutschland. Innerhalb der knapp zwölf Jahre, in denen der Figurenschmuck des Bamberger Domes entstanden sein muss, vollzog sich der Umbruch zwischen den beiden großen Kunststilen des abendländischen Mittelalters, also von der Romanik zur Gotik.

Eine »ältere« Bildhauergruppe, welche die Reliefdarstellungen von Aposteln und Propheten für die Chorschranken des Domes schuf, war noch der alten Tradition verhaftet. Offensichtlich orientierten sich diese Künstler an großen Werken der Buchmalerei und gestalteten ihre Figuren noch ganz im Stil der späten Romanik mit vielsagenden Gebärden und dramatisch betonten, doch unnatürlichen Faltenwürfen der Gewänder.

Welche neuen Stilmerkmale zeigen die Figuren?

Die »jüngere« Werkstatt, die unter anderem den Reiter sowie die Skulpturen von Maria und Elisabeth anfertigte, arbeitete zwar noch unter dem Eindruck ihrer »älteren« Kollegen, doch brach in ihrer Kunst der neue Stil der Gotik bereits durch. Die Figuren wirken mit einem Male viel lebendiger, persönlicher. Durch die üppigen Gewänder hindurch werden nun die natürlichen Körperformen der Dargestellten wieder erkennbar.

Unübersehbar ist der Einfluss durch die französische Kunst. Die Meister, die in Bamberg die Gotik einführten, müssen die unmittelbar zuvor (vor 1233) entstandenen Skulpturen der Kathedrale in Reims gekannt haben. Vielleicht hatten sie dort sogar mitgearbeitet. Durchdrungen vom Geist der französischen Gotik könnten sie anschließend nach Bamberg gekommen sein, wo sie die Meisterwerke schufen, die in Deutschland den Beginn einer neuen Epoche der Kunst einleiteten.

Was sollte mit Reiterstandbildern zum Ausdruck gebracht werden?

Reiterstandbilder waren schon in der Antike beliebt, um militärische und politische Gewalt bedeutender Persönlichkeiten auszudrücken – man denke etwa an das Reiterdenkmal für den römischen Kaiser Marc Aurel. Im Mittelalter scheint das Motiv des Reiters untrennbar mit dem Idealbild des heldenhaften Ritters verbunden zu sein, wie man ihn aus den großen Epen von Wolfram von Eschenbach oder Hartmann von Aue kennt. Auch der Bamberger Reiter muss in diesem Zusammenhang gesehen werden. Doch war er als allgemeines Sinnbild ritterlicher Tugend gedacht oder verkörpert er einen konkreten Helden der Geschichte?

Giottos Fresken der Arenakapelle: Malkunst ganz nah am Leben

Welche Neuerungen führte Giotto in die Malerei ein?

Mit seinen Fresken führte Giotto einen »neuen« Malstil ein, den die Kunstgeschichte heute »Naturstil« nennt. Gemeint ist eine lebens- und naturnahe Darstellung, die Handlungen und Szenerien in zeitgenössischer Architektur darstellt und agierende Personengruppen in moderner Kleidung zeigt. Durch Anwendung der so genannten Erfahrungsperspektive versuchte er, das zweidimensionale Bild in einen dreidimensionalen Aktionsraum zu verwandeln. Seine Bilder haben einen Vorder-, Mittel- und Hintergrund, Architekturen und Personen sind hintereinander gestaffelt.

Wer bezahlte die Fresken in der Arena-Kapelle?

Heute würde man sagen: ein Sponsor. Bauherr der Kapelle war eigentlich das Paduaner Kapitel des erst knapp 40 Jahre zuvor gegründeten Ordens der Cavalieri Gaudenti. 1303 wurde die kleine einfache Kapelle, auf den Ruinen römischer Architektur errichtet, im Rohbau fertig gestellt. Bald zeigte sich, dass die Baukosten die Finanzkraft des Auftraggebers überschritten. Da trat Enrico Scrovegni auf den Plan. Der Sohn eines zwielichtigen Geschäftemachers aus Padua, reich geworden durch Wuchergeschäfte, beauftragte Giotto mit der Ausmalung der Kapelle. Der Maler begann 1304 mit der Arbeit, bereits zwei Jahre später waren die großartigen Fresken vollendet.

Welches Bildprogramm zeigen die Fresken?

Prominenter Anfangs- und Endpunkt des Bildprogramms der Arena-Kapelle ist die Darstellung des Jüngsten Gerichtes, die sich an der inneren Eingangswand befindet: Hier schwebt an zentraler Position der Weltenrichter und teilt die Menschheit in Gute und Böse– die Guten weist er zu seiner Rechten in das Paradies, den Bösen aber zeigt er zu seiner Linken den Weg in die Hölle an. Mit drastischer Deutlichkeit wird dem zeitgenössischen Betrachter dargelegt, was mit ihm nach dem Tode passieren wird, wenn er kein tugendhaftes Leben führt: Kleine Teufel peinigen ihn, er schmort in der Hölle!

Ganz anders ergeht es den guten Menschen, die den christlichen Tugenden entsprechend ein vorbildhaftes Leben geführt haben. Ihnen weist der Weltenrichter den Weg in das Paradies. Unter diesen guten Menschen finden wir auch den Finanzier der Kapelle, Enrico Scrovegni, wieder. Direkt zur Rechten des Kreuzes (und über dem Eingangsportal für jeden Besucher sofort erkennbar) kniet er nieder, um der Madonna die Kapelle in Form eines kleinen Architekturmodells übergeben zu lassen. Trotz seines lasterhaften Lebenswandels – so lernen wir – hat sich Enrico Scrovegni durch diese Stiftung den Ablass seiner Sünden »erkauft«, der Platz im Paradies ist ihm sicher.

Warum entfaltet der einfache Bau so große Raumwirkung?

Durch einen Kunstgriff des Malers: Giotto rhythmisierte den Innenraum durch gemalte Scheinarchitekturen in mehrere Abschnitte; zugleich unterteilte er die Längswände über einem marmorierten Sockelgeschoss in ebenfalls gemalte Geschosse. Auf diese Weise entstanden insgesamt drei registerartige Etagen, die einzelne Bildfelder mit Szenen aus dem Leben Christi, Marias und ihrer Eltern aufnehmen. Eigentlich weist die schlichte einschiffige Kapelle keinerlei architektonische Gliederung durch Säulen, Gesimse oder Ähnliches auf; nach oben schließt sie mit einem einfachen Tonnengewölbe.

Welche moralische Aussage vermitteln die Fresken?

Die drastische Darstellung und Einteilung der Menschheit in die Guten zur Rechten des Weltenrichters und die Schlechten zu seiner Linken bestimmen das gesamte Bildprogramm der Kapelle. In der gemalten Sockelzone des Langhauses stehen dem Besucher – gleichsam Auge in Auge – auf der rechten Seite in Nischen präsentierte Statuen als Personifikationen der Tugenden gegenüber, auf der linken Seite aber sieht er die Laster.

Wie wurde Giottos Talent entdeckt?

Das Genie des um 1267 als Sohn des Schmiedes Bondone in Florenz (»Giotto di Bondone«) Geborenen entdeckte der Maler Cimabue, der den Jungen beim naturgetreuen Zeichnen von Ameisen auf einem Stein sah und ihn daraufhin als Lehrling in seiner Werkstatt einstellte. Bald schon erhielt Giotto Aufträge nicht nur aus Florenz, sondern auch vom Papst in Rom, bei dem er schließlich zehn Jahre lang tätig war. Der Künstler erwarb sich Ansehen als Maler, Bildhauer und Architekt. 1334, nach seiner Rückkehr nach Florenz, wurde er leitender Baumeister der dortigen Dombauhütte.

Giottos Werk beschäftigt sich ausschließlich mit religiösen Themen. Als Hauptwerk gilt der Freskenzyklus in der Arenakapelle. Sein großes Verdienst, neben der natürlichen Darstellung von Personen, war die Vorbereitung der Perspektive. Giotto starb am 8. Januar 1337, während er an einem »Jüngsten Gericht« in der Bargello-Kapelle in Florenz arbeitete.

Wussten Sie, dass …

die Arena-Kapelle in Padua auf Italienisch, nach dem Namen der Spenderfamilie, »Cappella degli Scrovegni« heißt?

Giotto auch in Bezug auf seine Auftraggeber ein Erneuerer war? Die Auftraggeber entstammten nicht mehr ausschließlich dem Klerus, sondern waren zunehmend Adelige und reiche Bürger, die die Kunst zur Verherrlichung ihrer Familien einsetzten. Giottos Stil macht aber klar, dass die Künstler in dieser Zeit bereits relativ große Autonomie gegenüber ihren Auftraggebern hatten.

Die Maestà: Meisterwerk von Duccio

Was bedeutet die »Maestà« für die Kunstgeschichte?

Das grandiose Altarbild steht für Duccios Beitrag zur Wende der Malerei am Beginn des 14. Jahrhunderts. Ausmaß und Harmonie der Komposition, der intensive Einsatz der Farbe und die psychologische Einfühlung in die Dramatik der erzählten Handlung fügen sich zu einem Gesamtbild höchster Meisterschaft.

Wie sieht das Gesamtwerk aus?

Das eigentliche Hochaltarbild zeigt die Muttergottes mit dem Jesuskind auf einem Thron sitzend, umgeben von kostbar gekleideten Engeln und Heiligen. Zu Recht trägt dieses feierliche Leinwandgemälde den Titel »Maestà« (Majestät). Die Rückseite des Altarbildes, zur Gänze mit insgesamt 43 Episoden aus der Leidensgeschichte Christi bemalt, besteht aus 26 Bildfeldern. Sie überwältigen den Betrachter durch die erzählerische Kraft, mit der das biblische Geschehen vermittelt wird. Duccio ist in seinem Passionszyklus darum bemüht, nicht nur sinngemäß zu illustrieren. Vielmehr hält er sich genau an die Überlieferung der vier Evangelien, gibt jede Episode so textgetreu und anschaulich wie möglich wieder.

Was zeigen die wichtigsten Einzelszenen?

Einen dramatischen Höhepunkt erreicht der Leidensweg des Heilands in seiner Verurteilung und seiner Verhöhnung. Der von seinem Thron aus richtende Hohe Priester Kaiphas hat das Todesurteil über Jesus gesprochen, der mit gefesselten Händen und verbundenen Augen vorgeführt wurde. Nach dem Richterspruch bleibt er regungslos stehen, während Ohrfeigen und Hiebe mit Schlagstöcken auf ihn niederprasseln. Andere sprechen Jesus direkt an und verspotten ihn als den selbst ernannten »König der Juden«. Während sich dieses Geschehen in einem größeren öffentlichen Raum, dem Palast des Kaiphas, abspielt, findet draußen ein anderes, kleineres Drama statt: Eine alte Frau glaubt, in dem Mann mit weißem Bart und grünem Tuch – es ist Petrus – einen Jünger Jesu wiederzuerkennen und spricht ihn an. Doch Petrus hat Angst und behauptet, Jesus nicht zu kennen. In diesem Moment erfüllt sich die Prophezeiung Christi, der Petrus vorausgesagt hatte, dass er seinen Meister verleugnen werde, noch ehe der Hahn zum dritten Mal kräht. Und dieser Hahn sitzt im Bild auf einer Stange. Petrus ist zutiefst beschämt wegen seiner Feigheit und bereut.

Wie sind die Szenen konstruiert?

Mit architektonischen Elementen scheidet Duccio Innen- und Außenbereich, weist den beiden Szenen bestimmte Räume zu und setzt mit dunklen Toröffnungen Akzente, die die wichtigsten Personen – Kaiphas, Jesus, die alte Frau – optisch hervorheben. Petrus ist dem Hahn zugeordnet und erscheint isoliert.

Die Farbgebung dient der körperlichen Modellierung und Differenzierung der Personen. Diese handeln – dem biblischen Text und Duccios Bilddramaturgie folgend – als Einzelfigur oder in Gruppen. Sie agieren auf unterschiedliche Weise, ihre Mimik und Gestik spiegeln innere Bewegung, wodurch sich ihre emotionale Beteiligung an dem Geschehen kundtut.

In seinem Passionszyklus rückt Duccio von dem strengen byzantinischen Bildaufbauschema, das in der »Maestà« ansonsten noch dominiert, ab. Es geht ihm nicht um sakrale Symbolik, sondern um Wirklichkeitsnähe. Das Leiden Christi wird nicht verklärt. Es findet auf der Erde statt, mitten unter uns Menschen.

Was ist über Duccio bekannt?

Über Duccios Leben ist wenig bekannt. Geboren wurde er vermutlich um 1255 in Siena, hier starb er um 1319. Duccio di Buoninsegna ist mehr als nur der Begründer der sienesischen Malereischule. Er zählt zu den bedeutendsten Erneuerern der abendländischen Malerei. Die byzantinischen Wurzeln mit ihrer Formenstrenge mischen sich in seinem Stil mit den bewegten, fließenden Linien der Gotik.

Wussten Sie, dass …

die »Maestà« nach ihrer Vollendung 1311 im Triumphzug von der Werkstatt des Meisters in die Kathedrale getragen wurde?

die durchgreifende Neugestaltung des Stadtzentrums mit der berühmten Piazza del Campo, dem Palazzo Pubblico und dem Neubau des Doms, für den Duccio seine »Maestà« lieferte, Ausdruck des Stolzes der Bürger auf ihre mächtige Stadt war?

Prager Veitsdom: Ein Schlüsselbau der Kathedralgotik

Wie kam es zum Bau des Doms?

Durch den Aufstieg Prags zum politischen und kulturellen Mittelpunkt des späteren Habsburgerreiches Anfang des 14. Jahrhunderts, der begann, als Böhmen durch Erbschaft an das Haus Luxemburg fiel: König Karl von Böhmen (1313–1378) wurde auf Betreiben des Papstes und mehrerer Kurfürsten zunächst zum Gegenkönig erklärt und im Jahr 1347 als Karl IV. offiziell anerkannt. Das Hauptaugenmerk des neuen Kaisers verlagerte sich nun von Italien, das unter seinen Vorgängern jahrhundertelang Mittelpunkt machtpolitischer Auseinandersetzungen gewesen war, nach Osten, wo er die wehrhafte böhmische Residenzstadt zur prachtvollen Metropole ausbaute.

So stiftete er dort 1348 nicht nur die erste Universität des Heiligen Römischen Reiches, sondern veranlasste im Zusammenhang mit dem repräsentativen Ausbau des Burgkomplexes auf dem Prager Hradschin auch den Bau des Doms. Dieser stand im Zusammenhang mit der Erhebung Prags zum Erzbistum im Jahr 1344. Er wurde dem heiligen Vitus geweiht, einem im slawischen Raum populären Märtyrer. Für dessen Armreliquie war bereits um 930 die Sankt-Veits-Rotunde entstanden, die dem heutigen Dom eingegliedert wurde.

Welche Architekten waren am Dombau beteiligt?

Man begann die Bauarbeiten zunächst unter dem Architekten Matthias von Arras aus Avignon nach Plänen, die dem französischen Kathedraltypus des 13. Jahrhunderts entsprachen. Nach Arras' Tod übernahm dann der erst 23-jährige Peter Parler die Bauleitung. Zu diesem Zeitpunkt stand bereits ein großer Teil der acht polygonalen Chorkapellen, des Chorumgangs und des Arkadengeschosses. Parler entschied nun eine Planänderung, die eine Fülle an Neuerungen umfasste, aus der ganze Architektengenerationen schöpfen sollten.

Welche Neuerungen führte Parler ein?

Mit freier Hand verteilte er am Außenbau des Chores die unterschiedlichsten Ausformungen von Maßwerk, nicht mehr starr gereiht, sondern mit vielfältigen Variationen. Bauglieder sitzen nicht mehr nur nebeneinander, sondern durchdringen sich. Im Inneren ist Parlers Hand über dem noch von Arras gebauten Arkadengeschoss leicht zu erkennen: Die gesamte Zone darüber scheint von einer rhythmischen Wellenbewegung erfasst, eine gitterartige, lichtdurchströmte Triforiumszone (der niedrige Laufgang über den Arkaden) gewährt ungekannte Durchblicke und selbst das Chorgewölbe ist in seiner Anlage innovativ – alles Neuheiten, die hier erstmals in die gotische Baukunst Eingang fanden.

Im Triforium brachte Parler elf Büsten (1374–1385) an, die in ihrer erfrischend individuellen Gestaltung die Renaissance vorwegnehmen und zum Bedeutendsten zählen, was spätmittelalterliche Skulptur hervorbrachte. Sie zeigen neben Karl IV. samt seinen Gemahlinnen, Brüdern, Eltern, Sohn und Schwiegertochter auch die Dombaumeister Matthias von Arras und Parler selbst, der sich mit Zunftzeichen verewigte.

Welche Schätze birgt das Innere des Doms?

Eine Fülle hochrangiger Kunstschätze von der Gotik bis zum Barock findet sich in Chorumgang und Kapellenkranz, darunter ein von Karl IV. gestifteter silberner Reliquienaltar nach Entwurf des bedeutenden Barockarchitekten Johann Bernhard Fischer von Erlach für den 1393 in der Moldau ertränkten heiligen Johann Nepomuk. Die als edelsteinverkleideter Reliquienschrein gestaltete Kapelle des böhmischen Herzogs Wenzel (um 903–935), National- und Namensheiliger des Kirchenstifters (Karl IV. = Wenzel von Böhmen), ist ein virtuoses Beispiel hochgotischer Raumgestaltung und diente religiöser wie politischer Legitimation. Die Wände überziehen zwei komplexe Bildfolgen: die Passion Christi in Edelstein eingelegt, darüber als Freskenzyklus die Vita des heiligen Wenzel. Dessen Statue von Heinrich Parler (1372) zählt zu den Hauptwerken böhmischer Gotik.

Wo arbeitete die Familie Parler?

Die große Baumeister- und Bildhauerfamilie mit »sprechendem« Namen (»parlier« war der Werkführer der mittelalterlichen Bauhütte) war im 14. Jahrhundert in den wichtigsten Zentren tätig (Schwäbisch Gmünd, Freiburg, Ulm, Straßburg, Basel, Wien oder eben auch Prag) und führte herausragende Neuerungen in die gotische Baukunst ein. Patriarch Heinrich Parler wurde um 1300 geboren. Er hatte schon am Kölner Dombau mitgewirkt und erwarb sich einen Ruf als Meister des Hallenumgangschores der Heilig-Kreuz-Kirche in Schwäbisch Gmünd, der ein neues Verständnis für das räumliche Gefüge eines gotischen Chores begründete.

Bedeutender noch war sein Sohn Peter (1330/33–1399), der in Prag vielfache Spuren hinterließ (Allerheiligenkirche, Karlsbrücke mit Altstädter Brückenturm). Als erste und wichtigste Arbeit vollendete er dort den Dom, in dem sich auch sein bildhauerisches Werk konzentriert. Der »Parlerstil«, den eine in der Gotik zuvor unbekannte Lebensnähe der Figuren auszeichnet, beeinflusste bis ins 15. Jahrhundert in Österreich und Ungarn sowie im süd- und mitteldeutschen Raum maßgeblich die Entwicklung der gotischen Skulptur.

Wussten Sie, dass …

der Dom als Krönungskirche der böhmischen Könige der ideologischen Fundierung ihrer Herrschaft dienen sollte?

in der Krypta die böhmischen Herrscher ruhen, darunter Kaiser Rudolf II. (1552 bis 1612), der auch den Auftrag zum Habsburger-Mausoleum im Chor erteilte?

die Sigismundglocke des Doms mit 17 Tonnen die schwerste Glocke des Landes ist?

Löwenhof der Alhambra in Granada: Ein schwebender Schrein

Wer residierte in der Alhambra von Granada?

Den Grundstein für die Alhambra legte Mohammed Ibn Yusuf Nasr, der 1238 die Herrschaft der Nasriden-Dynastie in Granada begründete. Alle ihm folgenden 23 nasridischen Fürsten residierten in der Alhambra (arabisch al-hamra bedeutet »die Rote«). Erst im Januar 1492 ging die maurische Herrschaft in Spanien nach fast 800 Jahren zu Ende. Der letzte Nasriden-Herrscher Boabdil übergab die Festung kampflos an die Katholischen Könige Isabella und Ferdinand.

Mit der Eroberung Granadas fand die Reconquista, Spaniens Kreuzzug im eigenen Land, ihr Ende. Noch im selben Jahr erhielt Kolumbus den Auftrag, im Westen neue Länder für die spanische Krone zu erobern. So steht die Alhambra am Ende beziehungsweise Beginn zweier weltpolitisch bedeutender Epochen.

Welche Funktion hat der Löwenhof?

Der Patio de los Leones ist das Herzstück der Anlage. Er ist benannt nach zwölf kleinen Löwen in der Mitte, die eine breite Brunnenschale tragen. Der Hof bildete den Kern des Palastes von Mohammed V. aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts. Dem Grundmuster maurischer Wohnarchitektur folgend, gruppieren sich separate Wohnsäle um den Innenhof. Er war der Mittelpunkt aller Wohnkultur – die Orientierung der Baukunst nach innen ist das Wesensmerkmal islamischer Architektur. Diesem Prinzip entspricht die gesamte Alhambra: Die massiven Außenmauern haben Festungscharakter, während das Innere kaum filigraner ausgestaltet sein könnte.

Wie ist der Löwenhof angelegt?

Der unter Mohammed V. 1378 begonnene Löwenhof ist mit den Ausmaßen von 28,50x15,70 Metern nicht sonderlich groß. Das dennoch eindrucksvolle Raumgefühl hat seinen Ursprung im Wechsel der Bauglieder und der reichen Ornamentik. Neu in der maurischen Hof- und Gartenarchitektur ist die umlaufende Säulengalerie, die zu jener Zeit nur bestimmten Fassaden vorgeblendet worden war. Ihre eleganten, zierlich wirkenden Einzel- und Doppelsäulen mit schlanken Blattkapitellen, die gestelzten Arkaden sowie das feinmaschig gewobene Stuckornament, das die Wände in Spitzenvorhänge verwandelt, lassen die Hofarchitektur kostbar und schwerelos erscheinen. Die Schmalseiten werden zudem durch pavillonartige Vorbauten akzentuiert. Die Umgänge bieten Schatten und führen zu den königlichen Wohngemächern.

Wozu dienten die umliegenden Räume?

Wie bei allen Räumen der Alhambra ist die Funktion auch dieser Säle durch ihre einstigen Besitzer nicht definiert. Sie bilden vielmehr die kunstvolle Kulisse für beliebige Tätigkeiten. Die heutigen Bezeichnungen gehen größtenteils auf die Fantasie der Romantik im frühen 19. Jahrhundert zurück. An der Nordseite, nahe dem Durchgang zum Myrtenhof, befindet sich die Sala de los Mozárabes und im Osten schließt sich die Sala de los Reyes (Königssaal) an. Die südlich gelegene Sala de los Abencerrajes ist ein quadratischer, überkuppelter Raum mit zwei Nischen und einem Gewölbe, das mit einem Gespinst aus stuckiertem Holz überzogen ist und dabei feinzellige Stalaktiten bildet. Im Norden schließlich folgt die Sala de las dos Hermanas (Saal der zwei Schwestern).

Raumbestimmend ist überall das Ornament in Gestalt farbiger Fayencemosaiken sowie in Form von Modellierungen im frisch aufgetragenen Stuck. Die geheimnisvolle Atmosphäre in den Höfen der Alhambra verdankt sich vor allem der ornamentalen Dekorationskunst. Der reich verwendete Stuck legt sich wie eine zweite Haut über Wände und Gewölbe. Dabei wirkt islamisches Ornament weder wandfüllend noch überladen. Der Wechsel mit leeren Wandflächen ist wohlüberlegt und Ornament wird nur dort eingesetzt, wo Bau- oder Wandteile eine Auszeichnung verdienen.

Welche Auffassung von Baukunst ist erkennbar?

Offenbar erhob die Alhambra keinen Anspruch auf Ewigkeit, denn manche verwendeten Baustoffe wie Holz, Ziegel und Gips versprechen keine lange Lebensdauer. Immerhin aber konnte jeder Bauherr damit rechnen, den von ihm in Auftrag gegebenen Bau selbst noch bewohnen zu können. Aus dieser Auffassung von Baukunst spricht die Erinnerung an die Zeit des Nomadentums in Nordafrika.

Wahrscheinlich war es genau diese Andersartigkeit des Bauens, die Leichtigkeit und spielerische Eleganz maurischer Wohnkultur, welche die Katholischen Könige daran hinderte, die Maurenresidenz in Granada – immerhin ein Symbol maurisch-islamischer Macht auf spanischem Boden – zu zerstören. Im Gegenteil: Sie nahmen höchstpersönlich Quartier in der Hochburg der früheren Glaubensfeinde.

Auf wen übte die Alhambra eine besondere Anziehung aus?

In späteren Jahrhunderten zog es Adelige und Mönche, Zigeuner und Romantiker wie François René Chateaubriand, Washington Irving und Théophile Gautier hinauf zur einstigen Maurenresidenz. Die meisten der im 19. Jahrhundert angereisten Schriftsteller ließen sich vom Löwenhof zu faszinierenden Liebesromanen und Heldenepen inspirieren. In Irvings »Tales of the Alhambra« heißt es, die Alhambra zeuge noch heute trotz der verfallenen Szenerie von vergangener Pracht und Herrlichkeit und bringe im Besucher verborgene Saiten zum Klingen. In diesem Punkt kann man Irving nur beipflichten.

Wussten Sie, dass …

die Alhambra der kostbarste historische Baukomplex Andalusiens und die meistbesuchte Sehenswürdigkeit Spaniens ist?

die »rote Burg« auf einem Berg Granadas einst eine wahre Palaststadt war? Sie verfügte über 23 Türme, vier Tore, sieben Paläste, etliche Moscheen, Bäder, Nutzgärten und eine eigene Trinkwasserversorgung. Noch heute erhält man hier eine Vorstellung vom ehemaligen Glanz der Maurenresidenz.

Die Schöne Madonna aus Krumau: Hohe Kunst der zarten Innigkeit

Wann wurde die Krumauer Madonna entdeckt?

Im Sommer 1910 fanden zwei Kunstgeschichtsstudenten aus Prag in einem bescheidenen Privathaus der südböhmischen Stadt Krumau (Ceský Krumlov) an der Moldau eine wunderschöne Madonna aus farbig gefasstem Kalkstein. Drei Jahre später verkaufte die Besitzerin des Hauses – nicht ohne schlechtes Gewissen – die langjährige Beschützerin ihres Hauses an die kaiserlich-königliche Staatsgalerie Wien. Bald wurde die so genannte Krumauer Madonna zum Inbegriff der »Schönen Madonnen« und des »Weichen Stils« in der Kunstgeschichte.

Was kennzeichnet eine »Schöne Madonna«?

Das Gesicht einer »Schönen Madonna« ist stets auffallend zart und schön, über dem lockigen Haar trägt sie einen Schleier. Typisch für die »Schönen Madonnen« sind vor allem auch der leichte, s-förmige Schwung des Körpers sowie die aufwendigen Faltengebilde ihres Mantels. Das nackte Kind, das unruhig auf Marias linkem Arm sitzt, scheint auf die tiefen Schüsselfalten des Gewandes gebettet zu sein, während links und rechts von ihren Armen Stoffbahnen in kaskadenartigen Falten herunterfallen. Bemerkenswert ist auch die rundplastische Ausarbeitung der Figuren. Die Madonnen standen anscheinend nicht mehr – wie noch die typischen frühgotischen Kathedralplastiken – in einer Nische oder dicht vor einer Wand, sondern waren dem Betrachter etwas »näher gerückt«. Dadurch gewannen sie an Persönlichkeit und Menschlichkeit.

Wer hat die »Schöne Madonna« geschaffen?

Das ist nicht geklärt. Es gibt mehrere andere »Schöne Madonnen«, die etwa zur gleichen Zeit – Ende des 14. Jahrhunderts – entstanden und von ähnlich herausragender Qualität sind. Man vermutete deshalb schon, dass diese Werke alle von demselben Künstler gemacht worden seien: einem »Wandermeister«, der im Rheinland seine frühesten Figuren schuf und dann über Schlesien (Breslau) nach Böhmen zog, wo er zuletzt die Krumauer Madonna gefertigt haben soll. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass es gegen Ende des 14. Jahrhunderts diverse exportierende Werkstätten gab, die wohl in Schlesien, Böhmen oder dem Salzburger Umland ansässig waren – dort gibt es die meisten Beispiele.

Kennt man andere Figuren im »Weichen Stil«?

Ja, um 1400 wurden auch andere Themen im »Weichen Stil« dargestellt. Charakteristisch sind ein zarter, inniger Ausdruck der Figuren sowie vor allem üppige, weiche Gewandfalten. Das Vesperbild beispielsweise, bei dem Maria den Leichnam Christi auf dem Schoß hält und dessen Tod beweint, finden wir ebenso in Serie dargestellt wie die Madonnen. In der Prager Werkstatt der Familie Parler wurde der Typus der »schönen Vesperbilder« aus Kalkstein erstmals um 1360 entwickelt und von dort aus weithin versandt; so entstanden bald auch in anderen Städten neue Herstellungszentren.

War der »Weiche Stil« international?

Ja, so international wie das Mittelalter. Die Wurzeln des Stils liegen in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts, und zwar vor allem in der französisch-gotischen Buchmalerei sowie in der florentinisch-sienesischen Malerei. Dabei war der damalige Hof der Päpste im südfranzösischen Avignon von zentraler Bedeutung: Hier fanden beide Stile zusammen und von hier aus wurde bald die Pariser Hofkunst beeinflusst. Um die Jahrhundertmitte stieg Prag unter Kaiser Karl IV., der aus dem Hause der Luxemburger stammte, zu einem wichtigen kulturellen Zentrum auf. Karl versammelte viele Künstler aus verschiedenen Ländern an seinem Hofe, wodurch es zum Austausch und zur Weiterentwicklung des Stils kam. Unter dem Einfluss der Kunst, die am Prager Hof entstand, wurde der »Weiche Stil« schließlich zu einem internationalen Stil, der an den anderen europäischen Höfen genauso gepflegt wurde wie in den wichtigsten Städten. Paris, London, Prag, Mailand, Wien und Köln waren also schon um 1400 Metropolen der Kunst, die in gegenseitiger Konkurrenz standen.

Bezeichnet die Bibel die Gottesmutter als »schön«?

Ja, schon im Hohelied Salomons im Alten Testament heißt es »Vollkommen schön bist du, meine Freundin.« Bereits im frühen Christentum wurde dieser Satz von den Kirchenvätern auf die Gottesmutter gedeutet. Während die Kunst der Romanik Maria noch majestätisch thronend und in streng frontaler Ansicht darstellte, wurde die Madonna – so nennt man die Darstellung von Maria mit Kind – seit der Gotik immer schöner, lieblicher und mütterlicher gestaltet. Zunehmend inniger wurde auch die Beziehung zwischen Mutter und Kind. Mit den »Schönen Madonnen« des »Weichen Stils« erreichte diese Interpretation um 1400 ihren Höhepunkt.

Wussten Sie, dass …

der durch Zartheit, Lieblichkeit und Weichheit ausgezeichnete Stil der »Schönen Madonnen« im 14. Jahrhundert in einer Zeit von Elend, Pest, Krieg und Verwüstung entstand?

der Fundort der Madonna, die Stadt Krumau, am Rande des Böhmerwaldes auf beiden Seiten der Moldau liegt und mit seinem schönen mittelalterlichen Stadtbild (UNESCO-Welterbe) ein großartiges Reiseziel darstellt?

»Schöne Madonnen« nicht nur in Stein, sondern auch in Holz ausgeführt wurden?

die Madonnenfiguren meist in Weiß, Blau und Rot gefasst wurden? Die Säume der Gewänder wurden gelegentlich vergoldet.

Stundenbuch des Duc de Berry: Sternstunde der Buchillumination

Welche Bedeutung hatte die Buchmalerei im 14. Jahrhundert?

Die Handschriften aus dem 14. Jahrhundert sind vielfach mit kostbaren Miniaturen geschmückt. Die Buchmalerei war damals sehr beliebt. In Paris gab es so viele Illuminatoren– als Illuminationen bezeichnete man die farbigen Verzierungen und Bilder in Büchern –, dass sie sich in Handwerkergilden zusammenschlossen. Das berühmteste illuminierte Stundenbuch ist das von den Brüdern von Limburg gefertigte »Les très riches heures« (Die sehr reichen Stunden). Es wurde von dem wohlhabenden Herzog Jean de Berry (1340–1416) in Auftrag gegeben.

Was ist ein Stundenbuch?

Die Bezeichnung ist abgeleitet von den Gebeten und Liedern, die zu bestimmten Stunden des Tages gelesen wurden. Diese »Horen« (von lateinisch hora, die Stunde) bilden den eigentlichen Schwerpunkt eines Stundenbuchs. Ein Stundenbuch ist ein Gebetbuch zum persönlichen Gebrauch von Laien. Die Horen wurden meist ergänzt durch ein Kalendarium, Auszüge aus den Evangelien sowie Gebete und Andachtsübungen für einzelne Wochentage. Daneben findet man in Stundenbüchern auch Litaneien, Bußpredigten und religiöse Texte zu bestimmten Kirchenfesten.

War der Auftraggeber Berry ein Kunstkenner?

Ja, Jean de Berry, dritter Sohn von Johannes dem Guten, König von Frankreich, gilt sogar als einer der größten Kunstmäzene seiner Zeit. Er interessierte sich für das künstlerische Erbe seiner Vorfahren und ließ in seinem Herrschaftsgebiet alte Gebäude wie Schlösser und Kirchen restaurieren. Als Sammler beschäftigte er sich mit Preziosen, aber auch mit der Natur. In seinen Parks hielt er exotische Tiere wie Strauße und Dromedare. Die besondere Liebe des Herzogs galt aber der Buchkunst und er beschäftigte die besten Buchmaler seiner Zeit. Bei seinem Tod umfasste seine Bibliothek fast 300 kostbare illuminierte Handschriften.

Warum ist das Stundenbuch des Duc de Berry einzigartig?

Die genaue Naturbeobachtung im Stundenbuch des Herzogs von Berry gilt als absolut innovativ. Besonders herausragend sind die Monatsbilder in »Les très riches heures«: Sie stellen einen wirklichen Meilenstein in der europäischen Malerei dar, denn erstmals wurden Landschaften und Bauten wirklichkeitsnah dargestellt. Eine weitere Neuheit ist die Genauigkeit, mit der Szenen des Lernens und Studierens und der Wissenschaft dargestellt werden. In diesen Bildern spiegeln sich auch die persönlichen Interessen des Herzogs wider.

Die Malweise der Brüder von Limburg, sehr empfänglich für die französische Tradition der stilisierenden Zeichnung, deutet auf niederländische Schulung hin, weist aber auch Einflüsse aus Italien auf.

Wie ist »Les très riches heures« aufgebaut?

Das Kalendarium, mit dem das Stundenbuch beginnt, enthält farbenprächtige Miniaturen zu den zwölf Monaten mit für die Jahreszeit typischen Bildmotiven aus dem Umfeld des Herzogs. Darüber erhebt sich jeweils eine halbkreisförmige astrologische Darstellung, begleitet von einem Kalenderblatt. Im Hintergrund vieler Monatsbilder sind Schlösser des Herzogs auszumachen: Lusignan (März), Poitiers (Juli) oder sein Geburtsschloss Vincennes (Dezember).

Charakteristisch für die Kunst der Zeit ist das in lebhaften Szenen versteckte Selbstbildnis des Künstlers. Möglicherweise hat sich Paul von Limburg im Januarbild des Stundenbuchs verewigt, als Mann mit eckigem Gesicht und eigenwilliger Mütze, der in der Menge derer steht, die darauf warten, vom Herzog mit Neujahrsgeschenken bedacht zu werden.

Ändert sich nach dem Tod der Limburgs der Stil?

Ja. Nach dem Tod des Herzogs und der Brüder von Limburg – alle vier starben 1416, vermutlich an der Pest – wurde das Stundenbuch eine Generation später von dem Buchmaler Jean Colombe in abweichendem Stil fortgesetzt. Sein Blatt »Das Fegefeuer«, das die für den Montag vorgesehene Seelenmesse illustriert, weist hohe künstlerische Originalität auf: Die reuigen Seelen werden vom Feuerstrom des Purgatoriums weggerissen, darüber eine Formation goldener Engel, die sie zum Himmel tragen. Doch die Darstellung lässt die formale Eleganz der Limburgs vermissen. Deren thematisch vergleichbare Illumination der »Hölle« ist ikonografisch weniger ausgefallen, dafür in Komposition und Farbgebung erstrangig.

Wer waren die Brüder Limburg?

Die Brüder Paul (Pol), Herman(t) und J(e)an von Limburg waren Söhne eines Bildschnitzers und stammten aus dem niederländischen Nimwegen. Während Herman und Jan eine Goldschmiedlehre absolvierten, ist über die Ausbildung Pauls, des Begabtesten der Brüder, nichts bekannt. Die Brüder waren als Buch- und Tafelmaler tätig und hatten für den Herzog von Berry bereits das Stundenbuch »Les belles heures« illuminiert. Es gefiel ganz offensichtlich, denn gleich nach Fertigstellung folgte 1413 der nächste Auftrag zu einem noch prächtigeren Werk, »Les très riches heures«, an dem die Künstler bis zu ihrem Tod arbeiteten. Sie wurden vom Herzog nobel honoriert und zu Mitgliedern seiner Hofhaltung gemacht.

Wussten Sie, dass …

Jean de Berry als Sohn, Bruder und Onkel französischer Könige auch in der Politik mitmischte?

das Stundenbuch auch Humoristisches enthält? So findet sich ein Bär, der auf einer Schubkarre sitzt und Dudelsack spielt, oder ein Pfarrer, der mit einer Leiter auf Vogeljagd geht.

Der Genter Altar: Naturalismus und Symbolsprache

Warum gilt der Genter Altar als Meilenstein der Kunstgeschichte?

Mit seinem Naturalismus setzte das Werk der Brüder Hubert und Jan van Eyck im 15. Jahrhundert neue ästhetische Maßstäbe. Hinter dem farbenfrohen Bildprogramm verbirgt sich eine komplexe Symbolsprache. Die große Bilderwand, die 1432 vollendet wurde, gilt als Hauptwerk der altniederländischen Malerei und bedeutendstes Kunstwerk des Spätmittelalters. Die Bildtafeln des Altars in Sankt Bavo in Gent (Belgien) leben von der außerordentlichen Vielfalt der Figuren, die hier erstmals Schatten werfen, vom Farbreichtum der Ölmalerei, die hier mit perfektionierter Technik zum ersten Mal angewandt wurde, und einer überaus genauen Wiedergabe aller Dinge.

Was zeigt das Altarbild?

In den Nischen der Außenseiten des Wandelaltars erscheinen kniend und demütig betend die Stifter des Altars, das dem wohlhabenden Genter Patriziat angehörende Ehepaar Jodocus Vijdt und Isabella Borluut. Zwischen beiden stehen die Statuen von Johannes dem Täufer, dem damaligen Patron der Kirche und Schutzheiligen Gents, sowie vom Apostel Johannes als dem Namenspatron des Stifters Jodocus Vijdt. In einem darüber liegenden Saal erscheint der Erzengel Gabriel der Magd Maria. Mit der Geburt Christi schließt der neue Bund an den alten an, darauf spielen die Fenster im romanischen und gotischen Stil an. Handtuch und Waschbecken sind Hinweise auf das Altarsakrament, eigentliches Thema des Altars. In den abschließenden Feldern erscheinen die alttestamentarischen Propheten Zacharias und Micha sowie die Sibyllen von Erythräa und Cumä, zwei heidnische Seherinnen.

Auf den Außenflügeln sehen wir Adam und Eva. Sie lockt ihren Gatten mit einem Apfel und verweist damit auf den Sündenfall. Die menschliche Tragödie setzt sich über ihren Häuptern in winzigen Grisaille-Szenen (Grau-in-Grau-Malerei) fort, wo mit dem Mord Kains an seinem Bruder Abel erneut göttliches Gebot ignoriert wird. Auf weiteren Tafeln erscheinen flügellose Engelswesen, die mit Inbrunst singen oder musizieren.

Die Mitteltafel präsentiert in monumentaler Größe die göttliche Majestät. In der Mitte thront Gottvater mit der Identität Christi, die rechte Hand segnend und richtend erhoben, eingehüllt in edelsteinbesetzten Königsornat und ausgestattet mit den Herrschaftsinsignien des Papstes. Mit der Tiara (der dreifachen Papstkrone) auf dem Haupt und der weltlichen Königskrone auf dem Boden ist deutlich kommentiert, wer die Stellvertreterfunktion Christi auf Erden einnimmt. Gott zur Seite thront Maria mit der lilienbesetzten Krone der Himmelskönigin. Ihr gegenüber sitzt Johannes der Täufer als Schriftgelehrter in grünem Umhang. Seinem Attribut, dem Lamm, ist das untere Bildfeld gewidmet.

Sehen wir auf dem Altarbild das Paradies?

Ja, die üppig bewachsene Landschaft, die die Tafeln der unteren Bildreihe verbindet, ist eine Vision des Paradieses. In deren Mittelpunkt steht ein Altar mit dem Lamm Gottes. Es gibt in Anspielung auf den Opfertod Christi sein Blut für die Sünden der Menschheit. Der heiligen Stätte nähern sich die Auserwählten, Heiligen und Heerscharen. Zur Linken kommen die gerechten Richter, Ritter und Streiter Gottes heran, die Patriarchen und Propheten, unter ihnen im weißen Gewand der antike Dichter Vergil. Von rechts nähern sich Pilger und Wallfahrer, überragt vom Riesen Christophorus. Sie folgen dem edel gekleideten Klerus, Päpsten, Äbten und Bischöfen. Vor diesen finden sich die Apostel ein. Aus dem Hintergrund nahen die Märtyrer der Kirche, darunter erneut Päpste, Kardinäle und Bischöfe, aber auch viele schöne Jungfrauen.

Wussten Sie, dass …

Jan van Eyck beim Studium von Gegenständen wie Perlen und Gewändern oder auch Pflanzen modernste optische Geräte benutzte?

Botaniker in der üppigen Landschaft des Altarbildes allein 30 verschiedene einheimische und südländische Pflanzenarten entdeckten? Alle sind mit erstaunlicher Präzision wiedergegeben.

Wie teilten sich die Brüder Hubert und Jan van Eyck die Arbeit am Genter Altar?

Hubert van Eyck hat laut Inschrift den größten Anteil am Genter Altar gemalt. Die Forschung nimmt jedoch an, dass auf ihn hauptsächlich Gesamtentwurf und Konzeption der Innenseite zurückgehen. Die Arbeiten wurden 1420 begonnen, doch starb Hubert 1426, so dass sein Bruder Jan das Werk in den folgenden sechs Jahren allein vollendete.

Über Jan van Eyck ist nicht viel bekannt. Geboren wurde er um 1390 in Maaseik bei Maastricht. Seit 1425 stand er als Hofmaler und Kammerherr in Diensten des burgundischen Herzogs Philipps des Guten, der ihn, über die künstlerische Tätigkeit hinaus, auch mit diplomatischen Aufgaben betraute. 1441 starb Jan van Eyck, noch immer in Diensten Philipps stehend.

Cuzco und Machu Picchu: Baukunst der Inkas

Wie war das Inkareich aufgebaut?

Das riesige Reich setzte sich aus einer Konföderation ethnischer Gruppen zusammen, die ihre kulturellen, militärischen, sprachlichen und religiösen Gedanken und Fähigkeiten in den Dienst der Inkas stellten. Als die Dynastie der Inkas um 1200 n. Chr. das Tal von Cuzco in 3400 Meter Höhe erreichte, war der Ort nicht mehr als ein kleines Dorf. Von hier aus begannen sie zunächst mit der Eroberung der umliegenden Völker, um sich später immer weiter entfernte Gebiete einzuverleiben.

Es entstand ein zentralistischer Staatsapparat mit Cuzco als politischem, religiösem und kulturellem Zentrum. In weniger als 100 Jahren errichteten die Inkas in Teilen Südamerikas ein straff organisiertes Imperium.

Welchen Prinzipien folgte die Architektur der Inkas?

Die Bauten scheinen in Größe und Stabilität als Zeugnisse der Macht für die Ewigkeit gedacht. Im Gefolge des Inkaheeres reisten Architekten, die den Bau von Stützpunkten, Verwaltungs- und Zeremonialzentren, von Brücken, Kanälen oder Terrassen für den Feldbau leiteten. Die Siedlungen entstanden nach einem unveränderlichen Grundmuster, das als »kancha« bezeichnet wurde: Innerhalb eines rechteckigen Mauerblocks wurden mehrere Gebäude errichtet.

Die Architekten berücksichtigten die geographischen Gegebenheiten und passten die monumentalen Gebäude und Kanchas der Landschaft an. Natürliche Felsen wurden beispielsweise als Fundamente oder untere Mauerabschnitte in die Pläne miteinbezogen. Bevor ein Bauwerk in die Konstruktion ging, fertigten die Architekten Skizzen und Tonmodelle an, wobei sie einen anthropometrischen Maßstab nahmen: Als Ausgangsmaß dienten beispielsweise Arm-, Fuß- oder Schrittlänge.

Welche Bautechniken wendeten die Inkas an?

Zur Errichtung des fein eingepassten Mauerwerks nutzten die Inkas diverse Gesteinsarten wie Basalt, Granit, Kalkstein, roten Rhyolith oder grünen Porphyr. Die zum Teil tonnenschweren Steinblöcke wurden an den Fundorten grob behauen und wahrscheinlich mit Stricken und Körperkraft zu den Baustellen geschafft. Dort behandelten die Steinmetze die Oberfläche mit Kieselsteinen, bis die einzelnen, zum Teil vieleckigen Elemente millimetergenau zusammenpassten und ohne Mörtel aufeinandergesetzt werden konnten.

Ein besonderes Kennzeichen der Inkaarchitektur sind trapezförmige Türen, Fenster und Nischen und die nach innen geneigten Mauern. Neben den Steinbauten entstanden auch Lehmhäuser aus Adobeziegeln, das sind luftgetrocknete Lehmziegel. Das Mauerwerk konnte verputzt und bemalt werden.

Wie war Cuzco angelegt?

Der Plan von Cuzco hatte die Gestalt eines Pumas mit der Festung Sacsahuaman als Kopf, dem Hauptplatz Aucaypata zwischen Vorder- und Hinterbeinen und dem Bau Coricancha als Sexualorgan unterhalb des Pumaschwanzes. Die gepflasterten, geraden Gassen führten an hohen Steinmauern vorbei, den Begrenzungen der Höfe. Der Hauptplatz erstreckte sich über eine Länge von 600 Metern und teilte die Stadt in die beiden Bezirke Hanan Cuzco und Hurin Cuzco, oberes und unteres Cuzco. Die Paläste der Inkaherrscher säumten den Rand. Die Festung Sacsahuaman oberhalb der Stadt war von einem dreifachen Mauerring umgeben.

Noch heute gibt die Errichtung der gewaltigen Mauern aus Steinblöcken von bis zu fünf Metern Höhe und 200 Tonnen Gewicht Rätsel auf. Hinter den Mauern verbargen sich einst Bauwerke, die von den Spaniern für ihre Kirchenbauten abgetragen wurden. Die Festung diente vermutlich als Verteidigungsanlage, hatte aber auch heiligen Charakter. Die Coricancha, zugleich Tempel und Wohngebäude, war dem Sonnenkult geweiht und wird auch als »Haus aus Gold« beschrieben. Heute stehen auf ihren Resten die Kirche und das Kloster von Santo Domingo.

Warum wurde Machu Picchu erbaut?

Pachacuti Yupanqui, der ab 1438 an der Spitze des Staates stand, gab vermutlich eine völlige Neukonzeption der Stadt Cuzco in Auftrag und befahl den Bau der Anlage auf dem »Alten Berg«, dem Machu Picchu, rund 100 Kilometer Luftlinie von Cuzco entfernt. In seine Regierungszeit fallen zahlreiche Eroberungen und eine ausgedehnte bauliche und künstlerische Aktivität. Machu Picchu gilt als bautechnisches Meisterwerk. Bis heute spekulieren Wissenschaftler, wer von der Inkagesellschaft die Stadt bewohnte und aus welchem Grund sie verlassen wurde. Hier verbinden sich alle Elemente des inkaischen Gestaltungsprinzips – wir stehen vor einer Architektur, die genau eingepasstes, gereihtes Steinmauerwerk auszeichnet und sich harmonisch den Gegebenheiten der Natur einfügt.

Wie erschlossen die Inkas das bergige Land?

Zu den architektonischen Leistungen der Inkas müssen neben den monumentalen Profan- und Sakralbauten auch der Feldbau mit der Terrassenkultur und das weit reichende Straßennetz gerechnet werden. Da die landwirtschaftlich nutzbaren Flächen um Cuzco für die Versorgung der Bevölkerung nicht ausreichten, entwarfen die Inkas Terrassen, die sich wie Treppenstufen die Hänge entlangzogen. An den Vorderseiten durch Steine befestigt und mit Erde aufgefüllt, erlaubten sie den Anbau auch in steiler Höhe. Das dichte Straßennetz bestand aus Pfaden, Steigen, Treppen, Brücken sowie breiten, befestigten Straßen und verband jeden Ort des riesigen Reiches mit dem Zentrum Cuzco.

Riemenschneider-Altäre: Letzte Meisterwerke der Spätgotik

Warum dominierte im Mittelalter die Sakralkunst?

Das abendländische Mittelalter war noch grundlegend vom christlichen Glauben geprägt. Die Kunst, die diese Zeit hervorbrachte, entstand deshalb fast ausschließlich für den religiösen Gebrauch. Große Bedeutung kam bereits damals dem Hochaltar zu, vor dem man (wie noch heute) den Höhepunkt der Heiligen Messe feierte, das »Hochgebet« mit der Wandlung von Brot und Wein.

In der Gotik wurden die Altäre in zunehmendem Maße auch zum optischen Mittelpunkt der Kirchen. Die so genannten Wandel- oder Flügelaltäre bestanden – im Aufbau einem Schrank ähnlich – aus einem Mittelschrein und mindestens zwei Seitenflügeln, die zur Verschließung des Schreins dienten.

Was kennzeichnet die spätgotischen Schnitzaltäre?

Bei den spätgotischen Schnitzaltären waren die Flügel meist an ihren Außenseiten bemalt und an den Innenseiten mit geschnitzten Reliefs versehen. Den Mittelschrein zierten plastische Schnitzfiguren oder sogar szenische Darstellungen. Bei mehreren Seitenflügeln ergab sich eine große Wandlungsfähigkeit der Ansichten: An einfachen Werktagen sahen die Gläubigen einen geschlossenen, schlicht bemalten Altar; sonntags und feiertags öffnete er sich hingegen zu einer oft ungeahnt prächtigen dreidimensionalen Ansicht.

Ihre besondere Faszination verlieh diesen kunstvoll ausgearbeiteten Altären der spätgotische Stil, in dem die Künstler in besonders lebendiger Weise die heiligen Geschichten erzählten. Zu den bedeutendsten Bildhauern dieser Zeit gehörten unter anderem Hans Multscher, Michael Pacher, Veit Stoß und Tilman Riemenschneider.

Was war neu an Riemenschneiders Kunst?

Er verzichtete als Erster unter den spätgotischen Künstlern auf dem Gebiet der Schnitzaltäre auf eine polychrome Fassung seiner Altäre, das heißt, dass er diese nicht mehr vielfarbig anmalen ließ. Lediglich Lippen und Augen der Figuren wurden zart eingetönt und der ganze Altar einheitlich mit einer speziellen Lasur aus Leim und Öl überzogen. Für den Künstler bedeutete dies eine enorme Herausforderung, denn man konnte keinerlei geschnitzte Ungenauigkeiten mehr kaschieren. Dafür charakterisierte die Heiligenszenen nun eine ruhige, beschauliche Stimmung.

Eine weitere Invention Riemenschneiders war die Tatsache, dass er erstmals die Rückseiten seiner Altarschreine durchbrach. Sie bildeten nun keine geschlossenen Wände mehr, sondern waren als Fenster gestaltet. Dadurch erzielte der Künstler eine größere räumliche Weite und interessante Lichteffekte. Darüber hinaus bewirkte er die Vorstellung eines realen Innenraums, in dem die szenische Handlung seiner Figuren spielt. Betrachtet man die beiden Altäre in der Jakobskirche in Rothenburg ob der Tauber, erkennt man schnell, um wie viel fortschrittlicher Riemenschneiders Heiligblut-Altar (1501–1505) war im Vergleich zu dem älteren Werk (1466) von Friedrich Herlin und Hans Multscher.

Warum gilt Riemenschneider noch nicht als Renaissance-Künstler?

Trotz aller Neuerungen stehen Riemenschneiders Figuren noch ganz in der spätmittelalterlichen Tradition. Nicht individuelle Züge prägen die Gesichter, sondern einige wenige, immer wiederkehrende Gesichtstypen. Darüber hinaus kommt der Darstellung von Händen eine sehr wichtige Rolle zu: Die jeweiligen Gesten sollen die Handlung einer Szene verdeutlichen.

Die künstlerischen Einflüsse, unter denen Riemenschneider seine Altäre schuf, sind vor allem an seinen Reliefs zu beobachten. Einerseits knüpfte er an die oberrheinische und schwäbische Kunst an, andererseits greift er deutlich auf Vorbilder der südniederländischen Malerei – etwa Rogier van der Weyden – und Skulptur zurück. Wenngleich Riemenschneider selbst wahrscheinlich nie in den Niederlanden gewesen ist, kannte er den niederländischen Kunststil durch druckgrafische Abbildungen.

Wo lebte und arbeitete Tilman Riemenschneider?

Tilman Riemenschneider wurde um 1460 wahrscheinlich in Heiligenstadt bei Erfurt geboren. Seine Wanderschaft als Künstler führte ihn nach Schwaben und an den Oberrhein. 1478 kam er erstmals nach Würzburg, wo er später die Meisterwürde und das Bürgerrecht erhielt. Hier baute er eine Werkstatt auf, die bald zu den bedeutendsten Altar-Lieferanten in Süddeutschland zählen sollte. Als erstes großes Projekt entstand der Magdalenen-Altar für die Stadtpfarrkirche in Münnerstadt, leider wurde er im 19. Jahrhundert in Stücke geteilt. In ursprünglicher Gestalt erhalten sind hingegen zwei weitere große Altäre in Rothenburg ob der Tauber und Creglingen. Bald stieg Riemenschneider zum Mitglied des Stadtrats von Würzburg auf und wurde sogar zum Bürgermeister gewählt. Als er jedoch 1525 für das Bauernheer eintrat, brachte ihm das nicht nur den Ausschluss aus dem Rat und die Einziehung eines beträchtlichen Teils seines Vermögens, sondern sogar zwei Monate Kerkerhaft und Folter ein.

Wussten Sie, dass …

zur Zeit Tilman Riemenschneiders Anfang des 16. Jahrhunderts in Italien die Renaissance bereits ihren Höhepunkt erreicht hatte? Im deutschsprachigen Raum kam es dagegen damals vielerorts zu einem letzten Aufblühen spätgotischer Kunst.

der Heiligblut-Altar seinen Namen einer Reliquie verdankt? Diese wird in einer Bergkristallkapsel des Reliquienkreuzes im Gesprenge aufbewahrt.

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