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Woolfs Leuchtturm: Das Bewusstsein als Spiegel des Geschehens

Was ist die typische Eigenart der Romane Virginia Woolfs?

Vor allem die spezielle Erzähltechnik: Unter Verwendung und gleichzeitiger Weiterentwicklung der Technik des inneren Monologs – einer Abbildung von Gedanken und Bewusstseinsvorgängen in der Art eines Selbstgesprächs – wird das Geschehen nicht durch einen Erzähler geschildert, sondern in der Spiegelung im Bewusstsein der Figuren abgebildet. Damit erklärt Virgina Woolf die Welt im Kopf zur eigentlichen Realität.

Wie lässt sich der Leuchtturm-Roman gliedern?

»Die Fahrt zum Leuchtturm« besteht aus drei Teilen. Um einen kürzeren mittleren Abschnitt, der einen Zeitraum von zehn Jahren zusammenfasst, sind die Schilderungen jeweils weniger Stunden zweier Tage angeordnet. In diesen beiden Teilen herrscht eine multiperspektivische Erzählweise vor; das Geschehen wird in der Sichtweise des Bewusstseinsstroms verschiedener Figuren wiedergegeben. Durch die verschiedenen Perspektiven ergibt sich bei aller Widersprüchlichkeit ein Überblick über das große Ganze.

Was hält die Teile des Textes zusammen?

Der erste Teil des 1927 publizierten Romans spielt an einem Septembernachmittag vor dem Ersten Weltkrieg im Leben der Familie Ramsay. Der Philosophieprofessor Ramsay, seine Frau, ihre acht Kinder, eine Malerin und einige weitere Gäste verbringen im Ferienhaus der Familie auf den Hebriden den Sommerurlaub. Eine Bootsfahrt der Gesellschaft zum nahen Leuchtturm wird geplant, muss wegen schlechten Wetters aber abgesagt werden.

Im zweiten Teil werden die Ereignisse der nächsten zehn Jahre von einem Erzähler skizziert: Mrs. Ramsay und zwei ihrer Kinder sterben, das Ferienhaus verkommt.

Der dritte Teil führt den verwitweten Professor, seine verbliebenen Kinder und auch die übrigen Gäste des zehn Jahre zurückliegenden Urlaubs wieder in das Haus an der Westküste Schottlands. Die einst geplante Fahrt zum Leuchtturm kann nun endlich stattfinden. Dadurch erhält der Roman eine Strukturklammer, die noch dadurch betont wird, dass es der Malerin gelingt, ein Gemälde des Ferienhauses zu vollenden – ein Vorhaben, an dem sie im ersten Teil noch gescheitert war.

Was interessiert Virginia Woolf an ihren Figuren und dem Stoff?

Das Geschehen dieses symbolreichen Romans, in dem Virginia Woolf eigene Kindheitserinnerungen verarbeitet hat, wird von vielen zunächst bedeutungslosen Ereignissen bestimmt: Nicht äußere Vorgänge interessieren die Autorin, sondern eine genaue psychologische Studie der Figuren. Die Familie Ramsay und ihre Gäste bilden eine Art Mikrokosmos, der die ganze Gesellschaft verkörpert.

Wodurch werden die Beziehungen zwischen den Figuren so spannend?

Durch latente Konflikte und unausgesprochene zwischenmenschliche Probleme. Sowohl in der Gegensätzlichkeit der intuitiv handelnden Mrs. Ramsay und ihres rational denkenden Ehemanns als auch im zunächst schwelenden, nach Mrs. Ramsays Tod ausbrechenden und sich erst zum Schluss lösenden Generationenkonflikt zwischen Mr. Ramsay und seinem Sohn John befasst sich Woolf mit allgemeinen zwischenmenschlichen Konstellationen. Ganz der Auffassung verpflichtet, dass sich die Welt nicht durch eine äußerliche, »logische« Handlung, sondern nur als Reflex im Subjekt darstellen lässt, legt sie das Gewicht auf den Augenblick der »Offenbarung«, in dem eine hinter den unzusammenhängenden Eindrücken, in die das Leben zerfällt, verborgene Realität ahnbar wird: Hinter dem Chaos, das unsere Welt ist, können sich in kurzen Momenten Sinn und Ordnung zeigen.

Wussten Sie, dass …

die Autorin mit ihrem Mann zusammen einen Verlag – Hogarth Press – gründete?

Virginia Woolf mit der Schriftstellerkollegin Vita Sackville-West (1892–1962) ein intimes Verhältnis hatte?

sich die Autorin mit zahlreichen Essays in der Frauenbewegung engagierte?

Woolf 1939 den Ehrendoktortitel der Universität Liverpool ablehnte?

Warum beging die erfolgreiche Autorin Selbstmord?

Virginia Woolf scheint eine sehr unglückliche Frau gewesen zu sein. Als Kind wurde sie sexuell missbraucht, wohl von einem ihrer Halbbrüder. Als sie 13 Jahre alt war, starb ihre Mutter, was einen ersten psychischen Zusammenbruch auslöste. Den nächsten erlebte sie 1904 nach dem Tod des Vaters, den dritten 1912 nach dem Heiratsantrag des Literaturkritikers Leonard W. Woolf. Noch im selben Jahr heiratete sie ihn, einen Monat später versuchte sie, sich das Leben zu nehmen. Der Selbstmordversuch scheiterte; 28 wechselhafte Jahre später schied sie endgültig freiwillig aus dem Leben: Virginia Woolf ertrank am 28. März 1941 im Fluss Ouse in Sussex.

Währenddessen wurde sie eine äußerst erfolgreiche Schriftstellerin. Sie schuf Prosawerke in neuartiger Erzähltechnik, die den modernen Roman entscheidend weiterentwickelten. Sie verzichten auf Handlung im herkömmlichen Sinn zugunsten der Abbildung von Bewusstseinsvorgängen.

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