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Warum man Kopfverletzungen beim Sport ernst nehmen sollte

In Deutschland ziehen sich jährlich etwa 44.000 Menschen beim Sport eine Kopfverletzung zu. Solche Verletzungen werden oft unterschätzt, können aber schwerwiegende und langfristige Folgen für das Gehirn haben. Doch wie entstehen sie? Wie wirken sie sich langfristig auf Sportler aus? Und bei welchen Sportarten kommen sie besonders häufig vor?
SSC, 29.08.2025
Boxkampf

© oakstudio22, iStock

„Ich war nicht gefasst. Ich flog mit dem Kopf ins Plexiglas, knallte auf den Hinterkopf“, erzählt der Schweizer Eishockeyspieler Samuel Kreis gegenüber dem Nachrichtenportal Watson. Danach spielte er normal weiter. „Zwei Tage später bekam ich starke Kopfschmerzen und einen Schwindel, der sich anfühlte, als sei ich soeben aus einer Achterbahn gestiegen.“ Was dem Spieler des SC Bern passiert ist, ist kein Einzelfall. Kopfverletzungen – zum Beispiel durch Checks gegen Körper und Bande oder Stockschläge – zählen zu den häufigsten Verletzungen im Eishockey.

Auch bei anderen Sportarten wie Fußball, Boxen, American Football oder beim Reitsport kommen Kopfverletzungen häufig vor. Erfährt der Kopf, Nacken oder Körper einen heftigen Schlag oder stürzen wir, überträgt sich diese Kraft stoßartig auf das Gehirn. In der Folge kann es gegen die Schädelknochen stoßen und so verletzt werden, bluten und anschwellen.

SS Lazios Wesley Hoedt und FC Zenits Artem Dzyuba bei einem Champions-League-Match in Rom, 2020
Das größte Risiko für Gehirn­erschütterungen entsteht beim Fußball offen­bar, wenn Spieler mit den Köpfen ihrer Gegenspieler oder denn Pfosten zusammen­stoßen.

© Вячеслав Евдокимов, https://fc-zenit.ru /  CC BY-SA 3.0

Je mehr Punkte, desto besser

„Schädel-Hirn-Traumen werden heute in drei Schweregrade eingeteilt“, erklärt Iris Reuter vom Universitätsklinikum Gießen. „Grad eins entspricht der Gehirnerschütterung, Grad zwei wurde früher Gehirnprellung genannt und Grad drei wird auch als Gehirnquetschung bezeichnet.“

Ärzte und Notfallsanitäter bewerten den Schweregrad anhand des Bewusstseins des Patienten und mittels der sogenannten Glasgow-Koma-Skala. Dabei vergeben sie Punkte, abhängig davon, wie gut der Patient seine Augen öffnen, sprechen und sich bewegen kann. Je weniger Punkte der Patient erhält, desto schwerer ist sein Schädel-Hirn-Trauma. Ob man zwischenzeitlich ausgeknockt war oder nicht, verrät jedoch überraschend wenig über die Schwere der erlittenen Verletzung.

„Auch der Athlet, der nicht bewusstlos war, kann eine Schädigung des Gehirns erlitten haben. Tritt eine Bewusstlosigkeit ein, so hält sie maximal zirka fünf Minuten an“, erklärt Iris Reuter vom Universitätsklinikum Gießen. „Bei einem schwereren Schädel-Hirn-Trauma ist die initiale Bewusstlosigkeit länger und auch die strukturelle Schädigung des Gehirns ausgeprägter bis hin zu Gewebszerreißungen, Blutungen und Hirnschwellung.“

Steven Lorentz checking Griffin Reinhart, 2019 Calder Cup Finals Chicago Wolves vs Charlotte Checkers
Risiko Gegenspieler: Mehr als die Hälfte aller Kopfverletzungen beim Eishockey sind auf einen Körperkontakt zurückzuführen.

Schleichende Schädigung

Auch bei leichten Schädel-Hirn-Traumata ist die Funktion der Nervenzellen gestört. Die Beschwerden klingen zwar meist innerhalb weniger Wochen ab. Bei bis zu 16 Prozent der Betroffenen entwickelt sich jedoch ein sogenanntes Post-Concussion-Syndrom mit anhaltenden Symptomen wie Kopfschmerzen, Schwindel oder Konzentrationsproblemen, die monatelang bestehen. Schwere Schädel-Hirn-Traumata erfordern oft eine lange Rehabilitation und können bleibende Schäden hinterlassen.

Erfahren Sportler solche Hirnverletzungen immer wieder, kann das Gehirn auch ohne „das eine“ schwere Schädel-Hirn-Trauma dauerhaft geschädigt werden. Denn bei einer Kopfverletzung können die empfindlichen Fortsätze der Nervenzellen, die Axone, in Mitleidenschaft gezogen werden, woraufhin das sogenannte Tau-Protein freigesetzt wird. Dieses Protein lagert sich im Gehirn ab und kann so langfristig zum Absterben von Nervenzellen führen. Bis sich erste Symptome einer solchen chronisch-traumatischen Enzephalopathie zeigen, können Jahre vergehen.

Genau das macht die Erkrankung so tückisch und führt dazu, dass Kopfverletzungen im Sport oft unterschätzt oder abgetan werden. Erste Symptome sind Kopfschmerzen, leichte Gedächtnislücken oder depressive Verstimmungen. Mit der Zeit kann es zu starken Stimmungsschwankungen, Verhaltensauffälligkeiten und gravierenden Gedächtnisproblemen kommen. Im Endstadium ähnelt das Krankheitsbild einer schweren Demenz – Betroffene verlieren Sprach- und Bewegungsfähigkeit und sind nicht mehr in der Lage, ihren Alltag selbstständig zu bewältigen.

Höheres Risiko für Demenz und Alzheimer

Forschende haben dieses Phänomen schon für verschiedene Sportarten untersucht. In einer Studie ermittelten sie etwa anhand von 8.000 ehemaligen schottischen Fußballspielern den Zusammenhang zwischen Kopfbällen und möglichen gesundheitlichen Folgen. Die Ergebnisse zeigten, dass die Fußballer ein 3,45-mal höheres Risiko hatten, später an Demenz zu erkranken, als Personen, die kein Fußball spielen. Bei Alzheimer war ihr Risiko sogar 4,4-mal so hoch. Inzwischen haben einige Länder daher Kopfbälle für Kinder im Fußballtraining eingeschränkt oder gar komplett verboten.

In einer Metastudie analysierte ein Forschungsteam außerdem die Folgen von Verletzungen bei Boxkämpfen. Demnach starben seit dem Jahr 1890 pro Jahr durchschnittlich acht Boxer aufgrund von Nacken- und Kopfverletzungen. Ein anderes Forschungsteam beobachtete bei 46 von 71 untersuchten Boxern Anzeichen von Demenz und Gedächtnisverlust und bei 36 von 70 verschiedene Formen und Schweregrade kognitiver Störungen.

2024 untersuchten Forschende zudem gespendete Gehirne von 77 verstorbenen ehemaligen Profi- und Amateur-Eishockeyspielern. 42 von ihnen hatten eine chronisch-traumatische Enzephalopathie. Betrachtet man lediglich die Profispieler, wiesen sogar 27 von 28 die dauerhafte Schädigung auf. Die Forschenden betonen zwar, dass Familien, deren Angehörige Symptome einer Hirnschädigung aufweisen, eher zu einer Gehirnspende bereit sind, was zu einem überdurchschnittlich hohen Anteil geschädigter Gehirne in der Erhebung geführt haben könnte. Dennoch zeigte die Studie, dass das Risiko für Sportler, an einer chronisch traumatischen Enzephalopathie zu erkranken, von Jahr zu Jahr steigt – und, wie die anderen Studien auch, dass Kopfverletzungen immer ernst genommen werden sollten.

Umso wichtiger ist es, auf Schutzmaßnahmen wie Helme, strengere Regeln und eine konsequente medizinische Nachsorge zu setzen – denn nur so lassen sich die Risiken für bleibende Hirnschäden im Sport wirksam verringern.

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