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Creative Writing – kreatives Schreiben

Läßt sich Dichten unterrichten?

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Schreiben mit Methode: Creative Writing

Wer Maler werden will, studiert Kunst. Wer mit elf bereits eine vierstimmige Fuge ins Fortepiano hämmert, wird sich früher oder später auf einer Musikhochschule wiederfinden. Doch wer davon träumt, Schriftsteller zu werden oder zumindest erzählen zu lernen, der bleibt im Land der Dichter und Denker noch immer weitest gehend sich selbst überlassen.

In der Schule ist das eigene Erzählen auf epochale Unterstufen-Werke Marke „Wie ich meine Sommerferien verbrachte“ beschränkt. Später heißt es im Deutschunterricht dann Dramen und Gedichte interpretieren, selber erzählen ist nicht mehr vorgesehen. Dasselbe wiederholt sich an der Universität. Germanistik studieren heißt, sich mit Literatur zu beschäftigen - nicht, sie etwa hervorbringen zu wollen. Denn Dichter wird man nicht. Das ist man - oder eben nicht. So jedenfalls lehrt es der Geniebegriff des Sturm und Drangs, und der wird in deutschen Landen bis heute hartnäckig recycelt.

Doch wer sich mit den Techniken des Creative Writing vertraut macht, wird schnell merken: Schreiben ist, wie der Lyriker Wolfgang Weyrauch einmal sagte, eine Symbiose von Handwerk und Geheimnis. Was er dabei zu erwähnen vergaß: Es handelt sich um 10 Prozent Geheimnis - und 90 Prozent Handwerk. Und das kann erlernt werden.

Vom Genie zum Diplom-Schriftsteller

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In den USA hat sich das schon etwas länger herumgesprochen. Vielleicht weil sich dort niemand mit Geniebegriffen und mehreren Jahrhunderten Geistesgeschichte herumplagen muss. Vielleicht auch, weil es dort Anfang des letzten Jahrhunderts einen Philosophen namens John Dewey gab. Der predigte den Amerikanern, dass Sprachentwicklung als Teil der Persönlichkeitsbildung anzusehen ist. Oder wie Dewey es ausdrückte: „Der höchste Sinn der Alphabetisierung liegt in der Fähigkeit, eine eigene sprachliche Identität zu entwickeln“.

Aus diesem Bewusstsein richtete man in den USA seit den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts immer mehr Ausbildungsstätten für Creative Writing, zu deutsch: kreatives Schreiben, ein. Heute wird Creative Writing dort an jeder Schule und Universität angeboten, und nicht wenige Meister ihres Fachs habe ihre Karriere in einem Schreibkurs begonnen - darunter Kurt Vonnegut, Sylvia Plath, Raymond Carver oder John Irving.

Und auch in Deutschland spricht es sich langsam, aber sicher herum, dass gute Autoren nicht vom Himmel fallen. Zwar sieht es mit dem akademischen Angebot immer noch reichlich mager aus: Da gibt es das Deutsche Literaturinstitut in Leipzig, den Studiengang „Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus“ in Hildesheim und das Studio Literatur und Theater an der Universität Köln, dann wird es schon eng. Weitaus ergiebiger ist dafür das Angebot an nichtakademischen Kursen und Workshops. Die werden zwar oft lieber bodenständig „Schreibwerkstatt“ genannt - aber das wird der Sache durchaus gerecht. Denn niemand ist in der Lage, jemanden einen kreativ genialen Gedanken für einen Roman zu lehren, wohl aber die handwerklichen Fähigkeiten, diese Idee auch wirklich zu realisieren.

Orte für Worte - Schreibwerkstätten

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Wer ein Haus bauen will, muss zu erst einmal das nötige Material beschaffen finden und dann etwas über Statik lernen. Nach diesem Motto gehen Schreibwerkstätten erst einmal daran, den Poeten-in-spe die Angst vor dem weißen Blatt zu nehmen. Und dazu haben sich Schreibspiele als probates Mittel erwiesen - auch wenn dieser Begriff Skeptikern den Eindruck vermitteln mag, hier träfe sich eine Gruppe leicht infantil grinsender Menschen, um sich unter dem Tisch handbeschriebene Zettelchen zuzuschieben. Tatsächlich aber ist damit eine Möglichkeit gemeint, spielerisch die eigene Kreativität zu entfalten.

Und das kann Neulinge, die mit der Erwartung auf ein paar Stunden Theorie in eine Schreibwerkstatt gehen, erst einmal ganz schön ins Schwitzen bringen: So könnte etwa dazu aufgefordert werden, binnen 45 Minuten aus den Anfangsbuchstaben des eigenen Vornamens Wörter zu bilden und aus diesen dann eine Geschichte zu entwickeln.

Was dabei herauskommt, mag zwar anfangs an das literarische Niveau eines Mickey Maus-Heftes erinnern. Doch was zählt, ist die Erfahrung, aus ein paar eher zufällig zusammengeklaubten Schnippseln eine Geschichte mit einem Anfang, einer Spannungskurve und einem akzeptablen Ende schaffen zu können.

Und gerade deshalb kann ein Schreibkurs literarischen Novizen eine große Hilfe sein. Denn Ausdrucksfähigkeit, Stilsicherheit und dramaturgisches Gespür werden vor allem durch eines trainiert: selber schreiben - und das Ergebnis kritisieren lassen.

Clustering & Co. - wie die Ideen ins Netz gehen

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Weitere Methoden, um den widerspenstigen Musen, die ja bekanntlich öfters streiken statt zu küssen, ein Schnippchen zu schlagen, sind Clustering (eine Vorform des Mind Mapping) oder Free-Writing:

Beim Clustering schreibt man einen Begriff, anfangs am besten etwas stark Assoziatives wie „Liebe“ oder „Kindheit“, in die Mitte eines weißen Blattes und malt einen Kreis darum herum. Nun lässt man die Gedanken kommen, wie sie eben kommen und, wenn möglich, ohne sich zu konzentrieren. Was immer einem einfällt, wird aufgeschrieben, mit einem eigenen Kreis umrundet und dann durch Striche zu Assoziationsketten verknüpft. Anschließend wird der erste Satz aufgeschrieben, der einem zum fertigen Cluster durch den Kopf schießt, und davon ausgehend die Worte des Clusters zu einem kurzen Text verwoben.

Ein weiterer Weg, um überhaupt erst einmal Worte aufs Papier zu bringen, ist Free-Writing. Dabei geht es darum, fünf Minuten ohne Halt einfach drauflos zu schreiben. Die einzige Bedingung ist, im Schreibprozess zu bleiben. Denn der ist das Ziel - nicht das Produkt. Free-Writing hilft, die eigenen „Schreibstimme“ zu finden sowie erst einmal Kontakt mit dem Thema herzustellen, über das man schreiben möchte.

Sollte aber jemand trotz dieser Tipps nach 15 Minuten immer noch auf ein leeres Blatt starren, so mag vielleicht auch jene Methode helfen, die Anglistikprofessor und Creative Writing-Dozent Ian Watson gegen Schreiblockaden empfiehlt: Tief Luft holen und nach allen Regeln der Kunst das Blatt anpöbeln: "Du verdammtes weißes Blatt. Ich krieg dich voll!"

Wozu schreiben?

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Und wer sich angesichts solcher Mühen fragt: Warum der ganze Ärger? Warum schreiben? Der kann sich auf dem stets emsigen Ratgeber-Buchmarkt mittlerweile durch eine ganze Reihe Buchtitel inspirieren lassen: Das reicht von „Kreatives Schreiben - Texte als Wege zu sich selbst“ (Jürgen vom Scheidt) über das „Memoiren schreiben - aber richtig!“ (W.R. Frieling) bis zur quasi verbrieften Aussicht auf Geld, Ruhm und jede Menge literarische Lorbeeren („Garantiert schreiben lernen“, Gabriele L. Rico, „Wie man einen verdammt guten Roman schreibt“, James T. Frey).

Etwas unspektakulärer hat das Max Frisch ausgedrückt. Der meinte auf die Frage, warum er denn schreibe, schlicht: „Schreiben heißt sich selber lesen“.

Eva Pantleon

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