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Das geheime Leben unserer Hautmilben
Sie sind mit bloßem Auge nahezu unsichtbar, harmlos und doch fast allgegenwärtig: Gut 90 Prozent der Menschen tragen in ihrer Haut winzige Milben mit sich herum. Die achtbeinigen Spinnentiere sind nur 0,1 bis 0,4 Millimeter klein und wurmähnlich langegezogen. Dadurch passen die Haarbalgmilben, fachsprachlich Demodex folliculorum, perfekt in die engen Hohlräume unserer Haarfollikel, den Wurzeln, aus den unsere Haare sprießen.
Am dichtesten besiedelt ist unsere Haut mit diesen Haarbalgmilben im Gesicht, im Ohr und rund um die Brustwarzen. Selbst an den Wurzeln unserer Augenwimpern sitzen die winzigen Tierchen. Klingt eklig? Vielleicht. Andererseits erweisen die kleinen Mitbewohner uns durchaus hilfreiche Dienste. Denn sie fressen den überschüssigen Talg unserer Hautdrüsen und putzen die Follikel damit sauber.
Von Milbenkot und nächtlichen Paarungen
Lange nahm man an, dass die Haarbalgmilben dadurch zwar während ihres nur zwei bis drei Wochen dauernden Lebens nützlich sind, aber spätestens bei ihrem Tod Hautentzündungen fördern können: „Einige Forscher waren bisher davon ausgegangen, dass die Milben keinen Anus haben und daher im Laufe ihres Lebens ihren gesamten Kot ansammeln müssen, bevor sie ihn beim Absterben freisetzen und dadurch Hautentzündungen verursachen“, erklärt Alejandro Manzano Marín von der Universität Wien. Doch wie er und seine Kollegen kürzlich herausgefunden haben, stimmt dies nicht: Demodex-Milben haben sehr wohl einen Anus und wurden zu Unrecht als Schuldige bei einigen Hautkrankheiten verantwortlich gemacht.
Tagsüber rühren sich die Haarbalgmilben nicht aus ihren engen, warmen Behausungen, in denen sie kopfüber sitzen, oft sogar zu mehreren. Nachts allerdings werden die kleinen Milben aktiv: Sie krabbeln aus den Follikeln heraus und besuchen ihre Nachbarn, um sich zu paaren. Mit anderen Worten: Während wir schlafen, verwandelt sich unsere Haut in eine muntere Singleparty mit Anfassen. Die weiblichen Milben legen dann in unseren Hautporen Eier ab, aus denen Larven schlüpfen – die nächste Generation unserer Mitbewohner ist am Start.
Von der Mutter auf das Kind
Doch wie kommen diese Milben überhau8t auf unsere Haut? "Eigentlich erwartet man, dass ein Parasit primär horizontal übertragen wird", erklärt der Milbenforscher Gilbert Smith von der Bangor University in Wales. Im Fall der Haarbalgmilbe bedeutet dies, dass sie über engen Kontakt zu Mitmenschen in Familie und Partnerschaft weitergegeben werden müsste. Doch als Gilbert und sein Team das Erbgut von 250 auf verschiedenen Testpersonen gefundenen Demodex-Milben analysierten und verglichen, stellten sie fest, dass dies nicht stimmt.
Stattdessen erben wir unsere Haarbalgmilben von unserer Mutter: Beim Stillen gelangen die ersten achtbeinigen Besiedler von der Mutterbrust auf die Haut des Säuglings und werden so zu Gründern unserer persönlichen Milbenpopulation. Einmal auf uns etabliert, bleiben uns unsere Milben das gesamte Leben lang erhalten und verlassen unsere Haut nicht mehr. Sie wohnen auf uns, fressen unsere Sekrete und pflanzen sich auf uns fort. Im Laufe unseres Lebens durchlaufen unsere Haarbalgmilben dabei mehr als 1200 Generationen, bevor sie dann mit uns sterben.
Für die Milben ist diese enge Anpassung an uns Menschen aber nicht folgenlos geblieben: Sie verlassen sich längst so stark auf uns und unsere schützende und nährende Haut, dass sie einige für frei lebende Milben wichtige Gene und Körperfunktionen eingespart haben. Wie Wissenschaftler herausfanden, hat die Haarbalgmilbe das zweitkleinste Genom aller Gliedertiere. Sie hat 28 Genfamilien stark reduziert und 27 wichtige Gene komplett eingespart, darunter Gene für den UV-Schutz und bestimmte Mechanismen der DNA-Reparatur.
Skurril auch: Die Haarbalgmilbe hat eines der zentralen Gene der inneren Uhr verloren. Um herauszufinden, wann es Nacht ist und sie auf Brautschau gehen kann, erspürt sie einfach, wann wir Menschen das Schlafhormon Melatonin ausschütten. Und nicht nur das: Die Milben haben auch die Zahl ihrer Körperzellen radikal verringert. Kein anderer Arthropode hat eine so geringe Zellzahl.
Evolutionäre Sackgasse
So praktisch all diese Einsparungen auch scheinen – für die Haarbalggilbe könnten sie zur fatalen Sackgasse werden. Denn sie hat sich inzwischen so stark an das Leben auf und in uns angepasst, dass sie ohne uns kaum noch lebensfähig ist. Hinzu kommt, dass sich unsere persönliche Milbenpopulation aus jeweils nur wenigen Gründungstieren entwickelt – und daher stark von Inzucht geprägt ist. Daher besteht das große Risiko, dass sich schädliche Mutationen bei unseren Milben anreichern – und sie irgendwann komplett aussterben.