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Gleich und doch nicht gleich – Zwillinge

Nicht selten bleibt der Blick fasziniert an ihnen hängen und manch einer hat vielleicht das Gefühl doppelt zu sehen – und doppelt sind sie ja tatsächlich: Zwillinge, insbesondere eineiige Zwillinge, sind oftmals kaum zu unterscheiden. Selbst Freunden und engen Verwandten können sie, wenn auch oft nur kurz, Kopfzerbrechen bereiten. Doch wie ähnlich sind sich Zwillinge wirklich? Sind eineiige Zwillinge tatsächlich identische Menschen oder lassen sich doch hier und da Unterschiede entdecken?
KMI, 22.06.2022
Symbolbild Zwillinge

BorupFoto, GettyImages

Allgemein ist es wichtig zwischen ein- und zweieiigen Zwillingen zu unterscheiden, denn hier besteht ein sehr großer Unterschied. Während bei eineiigen Zwillingen eine einzige Eizelle durch ein Spermium befruchtet wurde und sich dann während ihrer Entwicklung durch Zufall in zwei getrennte Zellhaufen aufspaltet, die sich dann unabhängig voneinander zu zwei Lebewesen entwickeln, entstehen zweieiige Zwillinge aus zwei befruchteten Eizellen. Genetisch betrachtet wachsen dadurch einfach zwei normale Geschwister gleichzeitig im Mutterleib heran.

Sind Zwillinge Klone?

Zweieiige Zwillinge stimmen daher in nur etwa 50 Prozent ihrer DNA überein, genau wie jedes andere Geschwisterpaar auch. Eineiige Zwillinge entstanden dagegen aus derselben befruchteten Eizelle. Sie müssten daher eigentlich genetisch identisch sein – so die landläufige Ansicht. Das nahezu identische Aussehen, dazu die oft gleiche Art, bestimmte Dinge zu tun, ein ähnlicher Geschmack und ähnliche Interessen, scheinen dies zu bestätigen.

Doch bei näherem Hinsehen bemerkt man auch hier Unterschiede: Während ein Zwilling Linkshänder ist, kann der andere Rechtshänder sein, auch Wesenszüge und Charakter können sich stark unterscheiden. Genauso wie eineiige Zwillinge fast nie gleich groß sind und auch an ganz unterschiedlichen Stellen Leberflecken bekommen. Außerdem leben Zwillinge nur in den seltensten Fällen gleich lang und entwickeln auch jeweils unterschiedliche Krankheiten. Untersuchungen des Fingerabdrucks oder der Iris zeigen dann ganz klar: identisch ist anders.

Zwillingerschwestern
Auch eineiige Zwillinge entwickeln sich während ihres Lebens immer weiter auseinander und zwar umso stärker, je unterschiedlicher sie leben.

Image Source, GettyImages

Unterschiede in der Genaktivität

Diesen Umstand erklärte sich die Wissenschaft lange Zeit ausschließlich mit der sogenannten Epigenetik. Die Epigenetik ist ein Mechanismus, der bei gleichem Erbgut für unterschiedliche Eigenschaften sorgen kann. Das funktioniert, indem Anhänge an der DNA das Ablesen einzelner Gene blockieren oder erleichtern. Dadurch sind je nach Epigenom dann manche Gene aktiv und andere ständig oder zeitweise ausgeschaltet – bei identischem DNA-Code.

Durch solche epigenetischen Anhänge können auch Zwillinge trotz gleicher DNA verschiedene Eigenschaften entwickeln. Auch die Entwicklung von Krankheiten bei nur einem Zwilling kann so erklärt werden: Selbst wenn beide Zwillinge eine Mutation tragen, die das Brustkrebsrisiko erhöht, kann diese bei einem durch das Epigenom deaktiviert sein – dieser Zwilling erkrankt daher wahrscheinlich nicht..

Ursache dieser Unterschiede sind dabei vor allem Umwelteinflüsse, die die Anlagerung der epigenetischen Moleküle an unserer DNA beeinflussen. Dadurch entwickeln sich auch eineiige Zwillinge während ihres Lebens immer weiter auseinander und zwar umso stärker, je unterschiedlicher sie leben.

Genetisch nicht identisch

Auf der Ebene des DNA -Codes besitzen eineiige Zwillinge exakt das gleiche Erbgut  – so die gängige Meinung. Doch ist das tatsächlich so? Tatsächlich sind auch  eineiige Zwillinge genetisch nicht vollkommen identisch. Dass sich ihr Erbgut sogar ziemlich stark unterscheiden kann, fand 2021 ein Forscherteam der isländischen Firma DeCODE genetics heraus. Die Forscher verglichen die Basenabfolge der DNA von eineiigen Zwillingen und fanden eindeutige Unterschiede. Im Durchschnitt stießen sie auf etwa 5,2 solcher Mutationen, 15 Prozent der Zwillinge unterschieden sich sogar noch stärker: Bis zu 100 Mutationen ermittelten die Wissenschaftler.

Eineiige Zwillinge stimmen demnach nicht zu 100, sondern nur zu etwa 99,99 Prozent ihres Genoms überein. Neben Umwelteinflüssen und dem dadurch beeinflussten Epigenom können demnach auch DNA-Unterschiede erklären, warum manchmal ein Zwilling eine genetisch bedingte Krankheit bekommt, der andere aber nicht.

Erkenntnisse durch unterschiedliche Genetik

Diese Erkenntnis ist unter anderem in der sogenannten Zwillingsforschung wichtig. Denn diese geht eigentlich davon aus, dass eineiige Zwillinge genetisch völlig identisch sind und untersucht auf dieser Basis den Einfluss von Umweltfaktoren. Hier weiß man jetzt also, dass bei der Auswertung darauf geachtet werden muss, dass auch genetische Einflüsse eine Rolle spielen können.

Außerdem ermöglichen es diese genetischen Unterschiede mittlerweile, eineiige Zwillinge anhand ihres genetischen Fingerabdrucks zu unterscheiden. Dort wo früher Kriminalfälle und Vaterschaften ungeklärt blieben, kann heute die Basenabfolge der DNA so genau analysiert werden, dass die einzelnen Mutationen aufgedeckt und eineiige Zwillinge eindeutig auseinandergehalten werden können.

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