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Diese Stärken haben Introvertierte

Extrovertierte Menschen gelten als unterhaltend, einnehmend und die "Seele jeder Party". Introvertierte dagegen eher als schüchtern und weniger sozial. Doch stimmt das überhaupt? Ist es eine Schwäche, introvertiert zu sein? Tatsächlich besitzen introvertierte Menschen viele häufig übersehene Stärken. Welche sind das? Was genau unterscheidet Intro- und Extrovertierte? Und welche Rolle spielt das Nervensystem dabei?
AMA, 20.03.2025
Geschäftsfrau in Büro vor einem Laptop

© DMP, iStock

Psychologisch betrachtet lässt sich unsere Persönlichkeit über fünf Merkmale beschreiben. Diese sogenannten „Big Five“ sind: Offenheit für Erfahrungen, Gewissenhaftigkeit, Verträglichkeit, Neurotizismus und Extraversion. Besonders Letzteres gilt in vielen Bereichen unserer Gesellschaft als Maßstab für Erfolg. Extrovertierte Menschen sind in der Regel gesellig und blühen auf, wenn sie unter Menschen sind – sowohl im Berufsleben als auch privat. Vor anderen zu sprechen und eine aktive bis dominante Rolle einzunehmen, fällt ihnen dementsprechend leichter.

Von Windrädern und Akkus

„Extrovertierte Menschen sind wie Windräder. Sie starten morgens mit wenig Energie und brauchen den Wind von äußeren Ereignissen, um Energie zu erzeugen. Bei introvertierten Personen ist es das Gegenteil. Sie stehen morgens mit 100 Prozent Energie auf und verlieren über den Tag immer mehr. Sie sind wie Akkus: Wenn der Akku leer ist, muss er erst wieder aufgeladen werden“, formuliert es Carina Thomas von der Hochschule Bielefeld, die gerade ein Comic-Sachbuch zum Thema Introversion herausgebracht hat.

Damit dieser soziale Akku möglichst lange hält, verhalten sich introvertierte Menschen häufig ruhig, bedacht und zurückhaltend. In Gesprächen nehmen sie typischerweise eine passive Beobachterrolle ein, was sie auf andere distanziert oder gar schüchtern wirken lässt, auch wenn Schüchternheit kein Kernmerkmal von Introversion ist. Neue Kraft tanken Introvertierte nicht beim Plausch in der Kaffeeküche oder dem Feierabendbier mit Kollegen, sondern durch Alleinsein oder tiefgründige Gespräche mit vertrauten Personen.

Eine Frage des Nervensystems

Die Unterschiede zwischen extro- und introvertierten Menschen hängen auch mit biologischen Faktoren zusammen. So haben Wissenschaftler zum Beispiel herausgefunden, dass im Gehirn introvertierter Menschen ein erhöhter Blutfluss herrscht, was auf eine höhere Sensitivität hindeutet. In anderen Worten: Ihnen ist es schneller zu viel als Extrovertierten. Das könnte auch mit ihrer besonders aufmerksamen Amygdala zusammenhängen. „Die Amygdala ist ein Teil unseres Gehirns, mitten im Zentrum. Dort prüft und verarbeitet sie alle Reize, die von außen in unsere Wahrnehmung dringen“, erklärt Thomas.

Andere Studien haben außerdem gezeigt, dass Extrovertierte wahrscheinlich eine höhere Schwelle für das „Glückshormon“ Dopamin haben. Bei ihnen braucht es also intensivere äußere Einflüsse für den „Kick“, während Introvertierte sich bei zu viel Dopamin schnell überstimuliert fühlen. Diese Überstimulation wiederum kann zu Stress und schließlich zu Energieverlust führen. 

Introversion hat zahlreiche Vorteile

Objektiv betrachtet sind Extra- und Introversion somit nur zwei unterschiedliche Präferenzen des Körpers, neue Energie zu beziehen. Doch unsere Gesellschaft sieht das in vielen Bereichen anders und degradiert Introversion häufig zur Schwäche. Vielen introvertierten Menschen wird von klein auf gepredigt, mehr aus sich herauszukommen und nicht so still zu sein. Dahinter steht häufig die Sorge, dass sich jemand aufgrund seines eher introvertierten Charakters später schlechter durchsetzen kann und dadurch auch weniger erfolgreich im Leben ist.

Was dabei jedoch häufig übersehen wird, ist, dass Introvertierte ihre ganz eigenen Stärken besitzen. Zum Beispiel können sie sehr gut mit sich allein sein, sind aufmerksame, einfühlsame Zuhörer und können überdurchschnittlich gut konzentriert arbeiten. Es verwundert daher nicht, dass zahlreiche Promis „trotz“ ihrer Introversion große Bekanntheit und Beliebtheit erlangt haben. Dazu gehört neben der Künstlerin Frida Kahlo, dem Herr-der-Ringe-Autor J.R.R. Tolkien und der Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel auch die Pop-Ikone Lady Gaga.

Noch besser funktionieren die Stärken introvertierter Personen aber, wenn sie diese mit denen von Extrovertierten kombinieren, sagt Thomas: „Unsere Gesellschaft kann davon profitieren, wenn extrovertierte und introvertierte Menschen zusammenarbeiten und lernen, einander besser zu verstehen. Ich glaube, es braucht diese Balance für eine wirklich starke Gemeinschaft.“

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