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Frühe Fremdbetreuung von Kindern – Vor- oder Nachteil?

Rund ein Drittel aller Kinder unter drei Jahren geht in Deutschland in eine Krippe oder Kita. Doch diese Fremdbetreuung von Kleinkindern ist umstritten – ist sie gut fürs Kind oder schadet sie ihm vielleicht sogar? Welche Vor- und Nachteile die Krippe für kleine Kinder hat, ist inzwischen recht gut untersucht. Grund genug, einige Fakten zu klären.
Stiftung Kindergesundheit / NPO, 25.03.2019

Rund ein Drittel aller Kinder unter drei Jahren geht in Deutschland in eine Krippe oder Kita.

iStock.com, Steve Davenport

Früher galt es als selbstverständlich, dass kleine Kinder von ihren Eltern zuhause betreut werden – und nicht auswärts in Krippen oder Kindertagesstätten. Erst ab drei oder vier Jahren kamen sie dann in den Kindergarten. Man fürchtete, dass eine Fremdbetreuung den Kleinkindern schaden und ihre geistige und soziale Entwicklung stören könnte. Heute jedoch sind viele Eltern schon aus beruflichen Gründen gezwungen, ihre Kinder schon früh in eine Krippe zu geben. Oft aber haben sie dabei ein schlechtes Gewissen.

Aber was sagt die Wissenschaft dazu? Ist es für Kleinkinder tatsächlich besser, wenn sie noch bis zum Kindergartenalter zuhause bleiben? Ist der Stress für sie in der Krippe noch zu groß – oder kann auch die Krippe positive Effekte haben? Inzwischen gibt es dazu eine ganze Reihe von Studien. Auch wenn ihre Ergebnisse nicht immer einheitlich sind, zeichnet sich inzwischen doch eine Tendenz ab.

Zu viel Stress fürs Kind?

So scheinen frühere Befürchtungen, die Fremdbetreuung könnte dem "Urvertrauen" des Kindes und der Bindung zu seinen Eltern schaden, nach neuen Erkenntnissen unbegründet zu sein. Denn die Kinder lernen schnell, die Betreuerin oder den Betreuer als zusätzliche Bezugsperson anzunehmen. Für ein Kind ist das kaum anders, als wenn es zwischendurch von Großeltern oder anderen Verwandten betreut wird.

Allerdings gilt dies nur, wenn die Kitagruppen nicht zu groß sind: Gerade kleine Kinder brauchen noch viel Ansprache und geraten in Stress, wenn die Betreuer nie Zeit haben oder zu oft wechseln. Als wünschenswert gilt es, eine Betreuungsperson für drei bis vier Kinder zu haben. Immerhin: So langsam bewegen sich die deutschen Krippen in diesen Bereich: Laut einer Studie lag der Personalschlüssel 2012 noch bei 4,8 Kindern pro Fachkraft, 2017 waren es nur noch 4,3. Es geht demnach in die richtige Richtung.

Kinder brauchen andere Kinder für die Entwicklung ihrer sozialen Kompetenzen.

thinkstock.com, David Clark

Gut für Sozialkompetenz und psychische Stabilität

Stimmen die Rahmenbedingungen, kann eine frühe Kitabetreuung für das Kind sogar handfeste Vorteile bringen – vor allem wenn es ein Einzelkind ist, wie heute schon jedes fünfte Kind in Deutschland. "Kinder brauchen aber andere Kinder für die Entwicklung ihrer sozialen Kompetenzen, am besten von Anfang an“, erklärt Berthold Koletzko von der Stiftung Kindergesundheit. „Der Umgang mit gleichaltrigen, jüngeren oder älteren, stärkeren oder schwächeren Kindern verstärkt ihre Chancen, ihre soziale Rolle in der Gemeinschaft zu finden“.

Zudem gibt es auch Hinweise darauf, dass die frühe Betreuung in einer Kita auch die psychische Gesundheit der Kinder fördert. Einer Studie der Uniklinik Dresden zufolge leiden Kinder, die in Krippen betreut wurden, später weniger häufig an psychischen Auffälligkeiten wie der Hyperaktivität. Bei Kindern, die erst mit drei oder vier Jahren in den Kindergarten kamen, ist die Häufigkeit solcher Störungen im Schnitt doppelt so hoch, wie die Forscher feststellten.

Vor allem bei Kindern, die aus sozial benachteiligten Familien stammen, erhöht der Krippenbesuch die späteren Bildungschancen deutlich.

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Bessere Bildungschancen

Beim frühen Kontakt mit Altersgenossen macht ein Kind viele neue Erfahrungen - und das wiederum fördert die Entwicklung. „In den ersten drei Lebensjahren entwickelt sich das Vertrauen des Kindes in andere Menschen und es entstehen die Selbstkontrolle und die emotionalen Grundlagen für das Lernen", so Koletzko. Der Aufenthalt in der Krippe kann die Entwicklung dieser Fähigkeiten fördern - und so auch Defizite in den Familien ausgleichen.

Studien belegen beispielsweise, dass Kinder, die eine Krippe besucht haben, später besser in der Schule sind und es im Schnitt häufiger aufs Gymnasium schaffen. Vor allem bei Kindern, die aus sozial benachteiligten Familien stammen, erhöht der Krippenbesuch die Bildungschancen deutlich. Auch beim Sprechenlernen, im Selbstbewusstsein und der Sozialkompetenz haben frühere Krippenkinder später oft die Nase vorn.

Ein weiterer Aspekt: "Krippen und Kitas bieten außerdem den idealen Rahmen für das Einüben eines gesunden Lebensstils. In diesem Alter sind die Chancen besonders groß, das Bewegungs- und Ernährungsverhalten erfolgreich zu beeinflussen", erklärt Koletzko. "Alles, was die Kinder in diesen Jahren über Gesundheit, Ernährung und Hygiene verinnerlichen, wird auch ihre Persönlichkeit als Erwachsene prägen." Tatsächlich belegen Studien, dass Krippenkinder oft motorisch weiterentwickelt sind.

Krippen und Kitas bieten einen Rahmen für das Einüben eines gesunden Lebensstils.

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Sind Krippenkinder häufiger krank?

Wie aber sieht es mit der gesundheitlichen Belastung der Kinder in Krippen und Kitas aus? Müssen ihre Eltern im Hinblick auf Erkältungen und Durchfälle, Kinderkrankheiten und Allergien mit größeren Risiken rechnen als Eltern mit einem „Hauskind“? Auf den ersten Blick ist dies tatsächlich der Fall: "Wenn kleine Kinder zusammenkommen, können sie sich gegenseitig mit Krankheiten anstecken. Besonders häufig kommt es zu Mittelohrentzündungen, akuten Mandelentzündungen und zu Entzündungen der Atemwege", berichtet Koletzko.

Krippenkinder sind deshalb gerade am Anfang etwa doppelt so häufig und auch doppelt so lang krank wie Hauskinder. Doch das ist nicht per se schlecht: "Diese Infekte sind zwar meist unangenehm und belastend, oft aber auch wichtig und notwendig, weil sie das Immunsystem trainieren", so der Experte. Krippenkinder durchleben durch ihren frühen Kontakt mit Altersgenossen diese "Trainingsphase" für ihre Abwehr zwar früher, haben dadurch aber keine langfristigen Nachteile: Spätestens im Grundschulalter gibt es zwischen Familienkindern und Krippen- und Kindergartenkindern kaum noch Unterschiede.

Voraussetzung ist allerdings, dass die Kinder gegen schwerere Krankheiten geimpft sind. „Überall dort, wo viele Menschen zusammenkommen und erst recht in Gemeinschaftseinrichtungen wie Krippen und Kitas können sich Infektionskrankheiten besonders schnell ausbreiten", sagt Koletzko. Deshalb sollte das Kind bereits bei der Aufnahme in die Kita über möglichst alle der bis dahin empfohlenen Impfungen verfügen – zu seinem eigenen Schutz und zum Schutz jüngerer, noch nicht geimpfter Geschwister.

Noch reichen die Plätze nicht für alle

Alles bestens also? Noch nicht ganz: Trotz dieser positiven Effekte und leichter Besserung der Kitaversorgung in Deutschland finden immer noch viele Familien weder eine Kita noch eine Tagespflegestelle. Die Wartelisten sind lang, der Fehlbestand für unter dreijährige Kindern beträgt bundesweit 12,1 Prozent und wird sich in den nächsten Jahren durch die gestiegenen Geburtenzahlen und die Zuwanderung noch vergrößern. Und auch Eltern, die einen Betreuungsplatz ergattert haben, wünschen sich oft längere Kita-Öffnungszeiten.

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