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Warum brechen so viele junge Menschen ihre Ausbildung ab?
In Deutschland findet die „klassische“ Berufsausbildung sowohl an einer Berufsschule statt, an der Azubis theoretisches Wissen vermittelt bekommen, als auch in den dazugehörigen Betrieben, um die erlernte Theorie praktisch anzuwenden – zumindest im Idealfall.
Denn 2022 hat fast jeder dritte Azubi seinen Ausbildungsvertrag mit dem Betrieb vorzeitig beendet, wie aus dem Berufsbildungsbericht des Bundesministeriums für Bildung und Forschung hervorgeht. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Azubis ihre Ausbildung komplett abgebrochen haben: Etwa die Hälfte von ihnen wechselte lediglich in einen anderen Ausbildungsbetrieb.
In welchen Bereichen gibt es die meisten Ausbildungsabbrecher?
Besonders im Hotel- und Gastgewerbe scheinen Azubis unzufrieden zu sein. Im Beruf „Fachkraft für Systemgastronomie“ lösten 2022 etwa 54 Prozent der Azubis ihren Vertrag vorzeitig auf. Auch bei anderen Berufen in diesem Bereich – darunter Koch, Fachkraft für Restaurantgastronomie und Hotelfachkraft – lagen die Quoten ähnlich hoch.
Auch etwa die Hälfte aller zukünftigen Friseure, Fachverkäufer im Lebensmittelhandwerk und Fachkräfte für Schutz und Sicherheit beendeten ihren Vertrag vorzeitig. Am anderen Ende der Liste stehen die Auszubildenden zum Verwaltungsfachangestellten mit nur knapp sieben Prozent vorzeitigen Vertragslösungen.
Wer bricht seine Ausbildung ab?
Aber es lassen sich nicht nur Unterschiede in den verschiedenen Berufsbranchen erkennen. Auch der Schulabschluss scheint Einfluss darauf zu nehmen, ob die Azubis ihren Ausbildungsbetrieb verlassen. Von den Auszubildenden mit Hauptschulabschluss oder ohne Abschluss lösten circa 42 Prozent ihren Vertrag, bei jenen mit Hochschulreife waren es nur 18 Prozent.
Und auch eine unsichtbare Trennung zwischen Westen und Osten wird deutlich: Azubis, die ihre Ausbildung in Ostdeutschland begannen, hatten 2022 ein 1,2-mal größeres Risiko, ihren ersten Ausbildungsbetrieb zu verlassen, als jene im Westen. Auszubildende mit Migrationshintergrund lösten ihren Ausbildungsvertrag ungefähr 1,5-mal häufiger auf als Personen ohne Einwanderungsgeschichte, wie der Berufsbildungsbericht zeigt.
„Insgesamt sollte hier vorsichtig interpretiert werden, da die Zusammenhänge komplex sind. Zum Beispiel können Vertragslösungen bei einer Personengruppe höher ausfallen, weil diese stärker in Ausbildungsberufen, Betrieben oder Regionen mit hohen Lösungsquoten zu finden sind“, erklärt das Bundesministerium für Bildung und Forschung. „Zum anderen können die Lösungsquoten in Berufen höher ausfallen, weil Personen mit höherer Lösungswahrscheinlichkeit dort stärker vertreten sind.“
Warum gefallen den Azubis ihre Ausbildungen nicht?
Es kommt die Frage auf: Warum wechseln so viele Azubis den Betrieb oder brechen sogar die ganze Ausbildung ab? Das Bundesinstitut für Berufsbildung hat drei Faktoren dafür ermittelt: Aussicht auf Erfolg, Spaß und körperliche Belastung. Schätzen die Azubis ihre Aussicht auf Erfolg höher ein – also denken sie beispielsweise, der Betrieb ermöglicht ihnen eine gute Karrierelaufbahn – ist das Risiko, dass sie den Betrieb verlassen, nur noch halb so groß.
Das Ganze kommt noch mehr zum Tragen, wenn es um den Spaßfaktor geht, denn macht den Azubis ihre Arbeit im Betrieb Spaß, sinkt das Risiko auf ein Viertel. Laut dem Bundesinstitut für Berufsbildung spielt auch die körperliche Belastung während der Ausbildung eine Rolle: „Je höher das physische Anspruchsniveau aus Sicht der Auszubildenden, desto höher ist auch das Risiko einer vorzeitigen Beendigung. Auszubildende beenden ihre erste vollqualifizierende Berufsausbildung also tendenziell eher, wenn sie sich körperlich überfordert fühlen.“
Lehrjahre sind keine Herrenjahre – Sollten sie es aber vielleicht werden?
Die Untersuchungen zeigen, dass die Verantwortung für die hohen Abbrecherquoten wahrscheinlich auch bei den Unternehmen liegt. Sollten die Betriebe also womöglich an der Betreuung ihrer Lehrlinge schrauben? „Azubis wollen - wie alle anderen Mitarbeiter auch - das Gefühl vermittelt bekommen, dass das, was sie tun, wichtig für das Unternehmen ist“, erklärt das Arbeitgeberberatungsunternehmen FAIRFAMILY. „Im besten Fall kümmert sich auch eine Führungskraft persönlich darum, den Azubi zu unterstützen, und steht ihm als direkter Ansprechpartner zur Verfügung. Das beinhaltet beispielsweise die Vorstellung des Azubis, eine kontinuierliche Betreuung und Wertschätzung.“
Der beliebte Ausdruck vieler Ausbilder und Arbeitgeber „Lehrjahre sind keine Herrenjahre“ – der eigentlich nichts anderes bedeutet als „Azubis müssen in ihrer Ausbildung niederer Arbeit nachgehen und auch ansonsten alles über sich ergehen lassen und viel Kaffee kochen“ – sollte also eventuell von einigen Betrieben überdacht werden, wenn sie ihre Azubis behalten möchten.