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Hörst du noch oder hörst du schon zu?
Wenn wir also zum Beispiel aus der Geräuschkulisse eines Cafés das Zerbrechen eines herunterfallenden Tellers heraushören, dann ziehen wir zwar aus dem Gehörten (Klirren) den richtigen Schluss (Porzellan zerbricht), weil wir eben irgendwann gelernt haben, dass sich zerbrechendes Porzellan so und nicht anders anhört. Diese Schlussfolgerung wirkt aber nicht verändernd auf das Gehörte zurück: Ich habe das Geräusch als zerbrechenden Teller identifiziert – und das reicht mir. Mehr ist zum Verständnis der Situation nicht nötig.
Wenn wir es dagegen mit einem Vortrag oder einem Hörspiel zu tun haben, dann kommen wir mit bloßem Hören nicht weit. Wir müssen schon zuhören, um den Sinn des Gehörten zu verstehen. Dabei wird dem Gehirn einiges abverlangt. Schließlich muss ich gleichzeitig hören (d.h. die einzelnen Laute und Geräusche identifizieren) und zuhören (d.h. daraus etwas Sinnvolles formen). Indem ich mich ganz auf das Neue, auf das Unerhörte einlasse, bildet mein Gehirn aus dem Nur-Gehörten neue Muster des Zu-Gehörten. „Zuhören“, so Goebel, „beruht auf der verändernden Interpretation von Ereignissen in vergehender Zeit“.
Ich muss also bereit sein, das Gehörte nicht nur zu identifizieren, sondern es in seinem Zusammenhang zu interpretieren, so dass sich mir der Sinn des Ganzen (zum Beispiel des Hörspiels) erschließt. Das erfordert Offenheit Neuem gegenüber genauso wie die Bereitschaft und Fähigkeit zur Konzentration. Beides entsteht meist wie von selbst, wenn uns ein Ereignis interessant, eben zuhörenswert erscheint. Das wiederum ist nur dann der Fall, wenn das Ereignis, so Goebel, „in sich eine Tiefe enthält, die das Entdecken von Anderem ermöglicht.“ Allerdings können wir Anderes nur dann entdecken, wenn uns der Kontext, in den es eingebettet ist, nicht völlig fremd ist. Wenn alles „anders“ ist, sind wir wieder beim bloßen Geräusch. Beim Hören statt beim Zuhören.