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Abbilder der Welt – die Geschichte der Fotografie

Vor 175 Jahren, genau genommen am 19. August 1839, geschah in Paris Unglaubliches: Die Französische Akademie der Wissenschaften machte der Welt ein Geschenk. Sie übergab die Fotografie – ein für damalige Zeit unvorstellbares, neuartiges Verfahren die Welt festzuhalten - mit all ihren technischen Details der Öffentlichkeit. Seit 175 Jahren bewegt diese technische Errungenschaft die Menschen und hat sowohl unsere Sichtweisen als auch unsere Kenntnisse von der Welt verändert.
Jürgen Wassmuth, Carmen Kubitz (www.zooom-in.de)

Nicéphore Nièpce und Louis Daguerre gelten gemeinhin als die Erfinder der Fotografie. Genau genommen ist es aber schwer zu sagen, wer denn nun eigentlich die Fotografie erfunden hat, denn im 20. Jahrhundert arbeitete eine Reihe von Forschern an ihrer Entwicklung. Und deren Arbeit wiederum war undenkbar ohne Erfindungen, die schon lange vor ihrer Zeit gemacht wurden.

Die Vorläufer: Von "Sehstrahlen" zur Lochkamera

Der Einfluss des Lichts und das Wissen darum ist wahrscheinlich so alt wie die Menschheit selbst: Farben bleichen aus, die Abdrücke von Licht und Schatten hinterlassen unterschiedliche Spuren auf Holz und Papier und die Pigmente der Haut verändern sich. Zwar war das Wissen vom Einfluss des Lichts unumstritten, weil direkt erlebbar, die Vorstellung über das Sehen aber veränderte sich im Lauf der Zeit ganz grundlegend.

Während die meisten Wissenschaftler wie zum Beispiel Euklid in der Antike annahmen, dass vom menschlichen Auge „Sehstrahlen“ ausgehen, die die Umgebung abtasten und einen visuellen Eindruck im Gehirn erzeugen, schaffte der ägyptische Gelehrte Alhazen um das Jahr 1000 eine neue Sichtweise, als er den Aufbau des Auges analysierte und die Bedeutung der Linse erkannte. Erst 400 Jahre später brachte Leonardo da Vinci im 15. Jahrhundert Klarheit in diese Frage. Er untersuchte den Strahlengang des Lichtes und stellte fest, dass dieses Prinzip im menschlichen Auge wiederzufinden ist. Er ist es, der durch seine Beschreibungen der Lochkamera den Begriff Camera obscura = die dunkle Kammer prägte.

Schon im 4. Jahrhundert v. Chr. erkannte Aristoteles das Prinzip der Lochkamera. Er beschrieb die Erzeugung eines auf dem Kopf stehenden Bildes, wenn das Licht durch ein winziges Loch in einen dunklen Raum fällt. Erst im Mittelalter aber gelang es, Linsen zu schleifen. Nun setzte man in das kleine Loch eine Sammellinse und erhielt eine bessere Abbildung des Bildes. Damit war der Weg zur Camera obscura geebnet. 1686 konstruierte Johann Zahn eine transportable Camera obscura.

Heute wundern wir uns darüber, dass diese Geräte zunächst von Malern als Zeichenhilfe genutzt wurden. Und dennoch eigentlich klar – denn die technischen Möglichkeiten, das entstandene Bild auf einem Medium zu fixieren, die Camera obscura also als Kamera zu nutzen, fehlten.

Erstes Foto der Welt
Gemeinfrei

Abbilder der Welt auf Papier

Hier machte sich Joseph Nicéphore Niépce verdient. Er begann um 1798 in Frankreich mit den ersten nachweisbaren Experimenten zum Fixieren des Bildes. Es gelang ihm, die Bilder der Camera obscura auf Chlorsilberpapier festzuhalten. Jedoch waren diese nicht lichtbeständig und verblassten nach kurzer Zeit. Auch der britische Chemiker Thomas Wedgwood war etwa zeitgleich zwar mit anderen Materialien, aber mit dem gleichen Thema beschäftigt.

Niépce konstruierte eine kleine Kamera, in der er die Sammellinse, welche er zur Verkleinerung der Öffnung mit seiner vielleicht genialsten Erfindung, einer Irisblende, versah. Diese Konstruktion wird heute noch gebraucht. Sie besteht aus kreisförmig angeordneten, halbmondartigen Metallplättchen und öffnet und schließt stufenlos. Sie regelt nicht nur die einfallende Lichtmenge, sondern schafft mit kleinster Öffnung ein wesentlich schärferes Bild.

Es sollten noch fast 30 Jahre vergehen, bis Niépce 1826 das erste beständige Bild anfertigen konnte: Das mit Heliografie-Verfahren entstandene und bis heute erhaltene Bild La cour du domaine du Gras zeigt den Blick aus dem Fenster seines Arbeitszimmers. Auf einer zinnbeschichteten Platte betrug die Belichtungszeit allerdings acht Stunden!

Die ersten bleibenden Fotos: die Daguerrotypie

Der erfolgreiche Maler und Erfinder des Dioramas, Louis Jacques Mandé Daguerre, erfuhr von den Arbeiten Niépce und war so fasziniert, dass er sein Partner wurde. Per Briefkontakt tauschten die beiden sich über die Ergebnisse ihrer Arbeit aus und versuchten, fieberhaft einen Weg zu finden, um die Belichtungszeiten zu verkürzen.

Erst nach Niépces Tod gelang es Daguerre 1837 eine belichtete, mit Silberjodid beschichtete Silberplatte in Quecksilberdämpfen zu entwickeln und anschließend in warmer Kochsalzlösung zu fixieren. Etwa zwei Jahre lang verbesserte er das Verfahren bis es schließlich François Arago, Leiter des Pariser Observatoriums, der Pariser Akademie der Wissenschaften und damit der Öffentlichkeit als Daguerreotypie vorstellte.

Louis Jacques Mandé Daguerre
Gemeinfrei

Die Geburt der Fotografie

Es war der 19. August 1839 – jenes Datum, das heute noch als Geburtsstunde der Fotografie gefeiert wird. Ein Menschheitstraum hatte sich erfüllt – erstmals war es möglich, ein genaues Abbild der Wirklichkeit ohne die Hilfe der Malerei zu schaffen. Wie gut, dass die Akademie der Wissenschaften das Potential des Verfahrens erkannte. Die französische Regierung schloss mit Daguerre und Isidore Nièpce, dem Sohn des bereits verstorbenen Partners, einen Vertrag: Die beiden Erfinder erhielten für den Verkauf ihrer Erfindung, der "Daguerreotypie", eine Rente, die Regierung wiederum erwarb damit die Rechte an dem Verfahren und konnte die Erfindung Öffentlichkeit übergeben, so dass jeder davon profitieren konnte.

So groß war die Begeisterung, dass man nicht bedachte, wie schädlich Jod- und Quecksilberdämpfe waren. Es wurde überall fanatisch begonnen zu "daguerreskopieren". Auch von den Portraitierten forderte das Verfahren wahre Opfer. Die langen Belichtungszeiten erforderten von den abzubildenden Opfern eine beträchtliche Selbstbeherrschung. Man bestaubte das Gesicht mit weißem Puder, um die Kontraste zu schaffen und spannte den Kopf in ein Schraubgestell. Die Ateliers waren so eingerichtet, dass der Portraitierte so hoch wie möglich und ganz nahe unter einem Glasdach saß, die Hitze für die Betroffenen war enorm.

Dennoch überall auf der Welt entstanden professionelle Ateliers: 1839 durch Draper und Morse in Amerika, 1840 durch Beard und Claudet in London, Davidson in Edinburgh, ebenso aber auch in Paris, Wien oder Berlin.

Die erste Möglichkeit zur Vervielfältigung

Noch immer allerdings konnte man von diesen Bildern keine Abzüge machen, so wie wir es heute kennen. Jedes Bild war also ein Einzelstück, ein Unikat. Dieses Problem erkannte der Engländer William Henry Fox Talbot, der seit 1834 an einem fotografischen Verfahren mit lichtempfindlichem Papier arbeitete. Er präparierte normales Schreibpapier mit verschiedenen Lösungen von Kochsalz und Silbernitrat und machte es auf diese Weise lichtempfindlich. Dann  legte er undurchsichtige Objekte darauf und setzte es der Sonne aus. Die belichteten Partien verfärbten sich dunkel, die übrigen blieben hell. Die so entstandenen Fotogramme nannte er sciagraphs (Schattenzeichnungen).

1840 stellte er das erste auch in der Kamera zu verwendende Negativ-Verfahren vor, das er als Kalotypie, einem Papier-Negativ-Positiv-Verfahren (auch Talbotypie oder Salzdruck genannt) bezeichnete. Beim Negativ-Verfahren wird Dunkles hell und Helles dunkel dargestellt. In einem weiteren Schritt wird dieser Prozess noch einmal umgekehrt, um ein Bild zu erhalten, das das Objekt so zeigt, wie wir es bei der Aufnahme sehen. Zwar gab es nun die Möglichkeit, Abzüge zu erstellen, allerdings war die Qualität im Vergleich zum Originalbild ziemlich schlecht.

Die Plattenverfahren

Dies änderte sich 1851 mit dem von Frederick Scott Archer entwickelten Kollodium-Nassverfahren, das die Fotoqualität deutlich verbesserte. Das Verfahren war allerdings extrem aufwendig und erforderte, dass die Fotografen sowohl ein Dunkelkammer-Zelt als auch empfindliche Glasplatten dabei haben mussten, auf die das lichtempfindliche Material (Silberhalogenid) aufgetragen wurde. Bilder konnten nun in guter Qualität vervielfältigt werden, aber tatsächlich erforderte jede Aufnahme eine neue Glasplatte. Das war nicht nur extrem aufwendig, sondern auch teuer.

Im Jahre 1871 gab es in dieser Hinsicht einen deutlichen Fortschritt. Richard Leach Maddox entwickelte die fotografische Trockenplatte, die mit einer Silberbromid-Gelatine-Schicht ebenso empfindlich war wie die bis dahin gebräuchliche Nassplatte. Sie bedeutete eine gewisse Freiheit für den Fotografen: Durch die Trennung von Aufnahme und Entwicklung war er nicht mehr auf sein Dunkelkammer-Zelt angewiesen, konnte beliebig viele Trockenplatten herstellen und die Platten industriell vorfertigen lassen. Die Reisefotografie erlebte dadurch einen ersten Aufschwung!

Die Erfindung des Films

1888 rückte mit George Eastman, dem Gründer von Kodak, ein Freidenker ins Feld der Fotografie. Und mit ihm zwei wichtige Entwicklungen: Zum einen der Rollfilm, mit dem es erstmals möglich war, mehrere Bilder hintereinander zu fotografieren und zum anderen die Fremdentwicklung. Sie ermöglichte es dem Fotografen, den aufwendigen Prozess des Entwickelns und Abziehens als Dienstleistung in Anspruch zu nehmen. Damit wurde das Fotografieren ab der Jahrhundertwende immer beliebter.

Bilder konnten nun vervielfältigt werden, aber die Größe des fertigen Fotos entsprach in jedem Fall dem des Aufnahmeformates und machte eine große, unhandliche Kamera erforderlich.

Frühe Kleinbildkamera von Leica
Jan von Erpecom / Gemeinfrei

Die erste Kleinbildkamera

Erst mit Oskar Barnack und der ersten Kleinbildkamera, die 1925 auf den Markt kam, gab es in dieser Beziehung einen Riesensprung. Die immer weiter verbesserte Lichtempfindlichkeit der Filme ermöglichte es, kleinformatige Kameras herzustellen. In dieser handlichen Kleinbildkamera, der ersten Leica, war das Negativ-Format verkleinert, die Fotos wurden erst nachträglich vergrößert. Eine Revolution in der Fotografie – die Fotografie nahm Einzug ins bürgerliche Leben! Die Kleinbildkamera, damals mit einem 50 Millimeter Objektiv ausgeliefert, blieb lange Standard in der Fotografie. Die ersten Spiegelreflex-Kameras wurden erst in den 1950er Jahren entwickelt.

Die ersten Farbfotos

Obgleich der schottische Physiker Clerk James Maxwell bereits 1855 mit den ersten Farbfotos experimentierte und Anfang des 20. Jahrhunderts Louis Lumière durch den "Autochrome-Prozess" ein Farbbild mit nur einer Aufnahme anfertigen konnte, mussten viele Jahre vergehen, bis die Firma Agfa 1936 den ersten Farbfilm vorstellte.

1963 stellte die Firma Canon die erste Kamera mit automatischer Schärfeeinstellung vor. Eine kleine Sensation. Ebenso wie die Markteinführung der Rollei etwa zehn Jahre später, eine Kamera, die Blende, Verschlusszeit und Schärfe selbstständig einstellen konnte.

Die digitale Revolution

Die nächste Revolution in der Welt der Fotografie schließlich ist noch gar nicht lange her. Gegen Ende des 20. Jahrhunderts wurde das Fotografieren durch die Digitalisierung komplett revolutioniert. Seitdem werden die Bilder nicht mehr auf Filmen, sondern auf digitalen Datenträgern gespeichert. Das ist nicht nur kostengünstig, sondern vereinfacht und verändert auch den Umgang mit dem Bild. Es kann direkt begutachtet und später bearbeitet werden. Die Bilder, die nun als Daten vorliegen, können problemlos weiter verarbeitet und weitergegeben werden. War die Fotografie in ihren Anfängen nur wenigen Menschen vorbehalten, so hat sie heute fast alle Menschen und Lebensbereiche erreicht und ist zum vielleicht wichtigsten Kommunikationsmittel überhaupt geworden.

Die Fotografie schafft Zeitdokumente, macht Unsichtbares sichtbar, rüttelt auf und macht Erinnerungen zeitlos. Nicht zu vergessen ist die mit ihr verbundene Freude und Kreativität, die besonders seit dem Zeitalter der Digitalfotografie auf dem Vormarsch ist.

Wie rasant der technische Fortschritt der letzten Jahre auch sein mag, eines ist wie 175 Jahre zuvor: Das fotografische Prinzip von Wahrnehmung und Wiedergabe. Die „Camera Obscuras“ der Neuzeit bieten ungeahnte Möglichkeiten, doch die engagierte Umsetzung unserer Wahrnehmung der Wirklichkeit ist eine Entscheidung, die im Kopf stattfindet. Nicht in der Kamera!

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