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Kleider machen tatsächlich Leute
Anzug und Bluse werden häufig als Ausdruck professioneller Seriosität angeführt. Aber ist das heute wirklich noch so? Diese Frage hat die Psychologin Lina-Sophie Stens von der Hochschule Fresenius für ihre Abschlussarbeit untersucht. Sie erklärt im Interview, wie die Kleidung unsere Wahrnehmung anderer Menschen beeinflusst - und wie das passende Outfit fürs Bewerbungsgespräch aussieht.
Frau Stens, existierende Studien zur Wirkung von Kleidung zeigen mehrheitlich, dass formelle Kleidung einen positiveren Eindruck bei anderen Menschen hervorruft als informelle Kleidung. Was hat Sie bewogen, dieses Thema trotzdem noch einmal zu untersuchen?
Ein Bereichsleiter in einem großen Konzern erzählte mir einmal, dass seine Beförderung erst mit dem Tragen maßgeschneiderter Anzüge einherging. Das machte mich stutzig. Wie konnte es sein, dass formelle Kleidung heutzutage immer noch ein so einflussreiches Symbol ist – in Zeiten, in denen die Individualität und Selbstbestimmung der Mitarbeiter höchste Priorität besitzen, objektives Potenzial und gezeigte Kompetenz zählen und Dresscodes zunehmend legerer werden?
Studien, die ich daraufhin zum Einfluss der Kleidung auf die Eindrucksbildung fand, bestätigten mehrheitlich, dass formell gekleidete Menschen in verschiedensten Eigenschaften signifikant positiver eingeschätzt werden als Personen in informeller Kleidung. Jedoch wurden diese Studien größtenteils zwischen 1950 und 1990 durchgeführt. Die seit diesem Zeitraum entstandene Forschungslücke und die Zweifel an der heutigen Gültigkeit der Befunde haben mich dazu bewogen, das Thema noch einmal zu beleuchten.
Für ihre Studie Sie haben insgesamt 329 Personen online befragt und ihnen Fotos von formell und informell gekleideten Menschen präsentiert. Was zeigen die Ergebnisse: Haben Anzug, Kostüm und Co immer noch Macht- und Kompetenzcharakter?
Ja, das haben sie. Die befragten Personen gaben auf einer Skala an, für wie attraktiv, mächtig, intelligent, beruflich erfolgreich und vertrauenswürdig sie ein und dieselben Personen in jeweils formeller und informeller Kleidung halten. Die Auswertung der Einschätzungen zeigt, dass die abgebildeten Personen in formeller Kleidung in vier der fünf genannten Kategorien deutlich positiver beurteilt wurden: nämlich als attraktiver, mächtiger, intelligenter und beruflich erfolgreicher. Es lässt sich also festhalten, dass das Sprichwort "Kleider machen Leute" keineswegs veraltet ist. Ein Anzug oder Kostüm strahlen auch im heutigen Zeitalter Macht und Kompetenz aus.
Das Ende der Krawatte wird seit einigen Jahren immer mal wieder beschrieben, selbst Manager von DAX-Unternehmen verzichten mittlerweile darauf. Kann formelle Kleidung auch einen negativen Effekt auf unser Gegenüber haben? Denken wir beispielsweise an zockende Banker, wenn wir eine Person in Anzug und Krawatte sehen?
Das kann durchaus passieren. Inzwischen vermutet man, dass der formelle Kleidungsstil nicht nur positive Assoziationen hervorruft, sondern auch mit genau diesem Misskredit von Managern und Bankern verbunden werden kann. Auch meine Auswertung deutet in diese Richtung. In der fünften Kategorie – der Vertrauenswürdigkeit – hinterließen die Personen in formeller Kleidung einen deutlich schlechteren Eindruck als informell gekleidete Personen: Sie wurden als nur gering vertrauenswürdig eingeschätzt.
Das Tragen von Jeans und T-Shirt ging hingegen mit einer hohen Vertrauenswürdigkeitswerten einher. Man kann also sagen, dass der Anzug nicht nur positive Effekte beim Gegenüber hervorruft. In Situationen und Berufen, in denen es auf Vertrauenswürdigkeit ankommt, sollte man die Krawatte also tatsächlich lieber im Schrank lassen und zu lockerer Kleidung greifen.
Sie haben auch ausgewertet, ob der eigene Kleidungsstil einen Einfluss darauf hat, wie wir die Kleidung anderer bewerten. Zu welchen Ergebnissen sind Sie hierbei gekommen?
Dass die Beurteilung anderer Menschen hinsichtlich Macht und Berufserfolg unabhängig vom eigenen Kleidungsstil stattfindet. Wie attraktiv, intelligent und vertrauenswürdig wir andere Personen finden, wird dagegen durchaus davon beeinflusst, wie wir uns selbst kleiden. So wirkt sich ein ähnlicher Kleidungsstil mit der zu beurteilenden Person positiv aus, ein abweichender Kleidungsstil negativ.
Die Anzugträger unter den Versuchspersonen beurteilten die Modelle in formeller Kleidung also signifikant als attraktiver, intelligenter und vertrauenswürdiger als dies die eher leger gekleideten Teilnehmer taten. Ein ebenso signifikanter Unterschied ließ sich auch andersherum zwischen leger angezogenen Versuchspersonen und ähnlich informell gekleideten Modellen messen. Für die Praxis heißt dies: Bei der Wahl der passenden Kleidung sollten wir nicht ausschließlich auf unser eigenes Wirkungsbedürfnis, sondern auch auf den Kleidungsstil unseres Gegenübers achten.
Welche weiteren Tipps können Sie auf Basis Ihrer Ergebnisse geben? Wie findet man beispielsweise das passende Outfit für ein Bewerbungsgespräch?
Für ein Bewerbungsgespräch sollte man meinen Untersuchungsergebnissen zufolge nach wie vor zur formellen Kleidung greifen, um das Ziel, sich als intelligent und souverän zu verkaufen, zu unterstützen. Seit Jahrzehnten empfehlen Karriereratgeber für Bewerbungsgespräche förmliche Kleidung und sie behalten Recht.
Dennoch liest man in so mancher Wirtschaftskolumne, dass man die Anzugmode inzwischen individualisieren und ihr einen persönlichen Touch verleihen dürfe. Wenn dieser zu einem selbst passt, man sich wohler und weniger verkleidet fühlt, umso besser. Schließlich zeigen Studien auch, dass sich ein subjektives Wohlgefühl durch das Tragen bestimmter Kleidung positiv auf das eigene Verhalten – beispielsweise auf das Selbstbewusstsein im Bewerbungsgespräch – auswirkt. Es ist wichtig, dass man sich nicht verstellt und wohlfühlt in dem, was man trägt.