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Renaissance des Autokinos?

Was lange pure Nostalgie war, durfte in der Zeit der Pandemie nun sein Comeback feiern: das Autokino. Weil durch das Verbot von Veranstaltungen monatelang auch das Kino flachfiel, haben einige Betreiber das Filmeschauen kurzerhand auf Parkplätze verlagert. Vor Ansteckung geschützt im Auto ließ sich so das Kino genießen. Ein alter Trend kehrte zurück.
ABO, 10.08.2020

Die Corona-Pandemie hat das Autokino zumindest kurzzeitig wieder zum Leben erweckt.

1933 wurde in den USA das erste Autokino eröffnet. Während die Leinwände unter freiem Himmel in den 1950er und 1960er Jahren Kult waren, verloren sie mit der Zeit an Beliebtheit. Überdachte Kinos und Open-Air-Kinos blieben und heute schauen die meisten ihre Filme über Streaming-Dienste. Erst dieses Jahr, 57 Jahre später, flammt der Trend vom Autokino wieder auf – bedingt durch Corona.

Ein amerikanischer Kult

In den USA waren die ersten Kinos in den 1900er Jahren noch Jahrmarktsattraktion. Zehn Jahre später nahmen sie aber schon einen festen Platz im Zentrum der Großstädte ein. Als auch die Massenproduktion von Autos ab 1908 Fahrt aufnahm, ahnte der Amerikaner Richard Hollingshead die Chancen, die hinter den neuen Technologien steckten -  und eröffnete am 6. Juni 1933 das weltweit erste Autokino vor den Toren seiner Heimatstadt Camden in New Jersey.

Das Prinzip hinter seiner Innovation war schon damals leicht umzusetzen: Sobald die Dunkelheit anbricht, fahren die Menschen mit ihrem eigenen Auto auf einen großen Platz und  parken in Reihen hintereinander, sodass der Fahrer und die Autoinsassen ihren Blick vom Auto aus auf eine große Leinwand richten können. Über kleine Lautsprecher, die ausgeteilt wurden – oder heutzutage über eine Radiofrequenz des Autoradios – können die Filmmusik und der Ton verfolgt werden. Und obwohl so mit allen Gästen ein Film geschaut wird, hat jeder Gast in seinem eigenen Auto seine Privatsphäre. Auch Proviant kann selbstständig mitgebracht werden.

Und seine Idee feierte Erfolge: 1942 gab es etwa 100 Autokinos in den USA – sogar trotz der Wirtschaftskrisen und des Zweiten Weltkriegs. Mit der wachsenden Mobilität erreichten die Autokinos dann in den 1950er und 1960er Jahren den Höhepunkt ihrer Popularität. In dieser Zeit gab es allein in den USA rund 4.000 Autokinos und viele konventionelle Kinos in den Innenstädten mussten aufgrund der Konkurrenz schließen. Am 2. September 1957 eröffnete in der Nähe Roms auch das erste Autokino Europas.

In Europa konnte sich das Autokino aber nur bedingt durchsetzen. Die Betreiber erhielten meist nur die Rechte zur Zweitverwertung von Filmen, so dass neue Produktionen erst sechs bis acht Wochen nach dem eigentlichen Kinostart gezeigt werden konnten.

Die Pleitewelle

Und wie ging es in den USA weiter? Die Grundstückspreise in den Vororten der Städte wurden teurer, da die Städte sich vergrößerten. Vielen Betreibern wurde der Unterhalt zu teuer oder der Eintritt wurde so hoch, dass kaum Besucher mehr kamen. Und was für die Jugend noch viel dramatischer war:  Autoproduzenten stellten nach und nach von Lenkrad- auf Knüppelschaltung um. Damit verschwand die durchgehende Sitzbank – und das Automobil verlor seinen Charme als privates Kuschelkino.

Dass der Kult nicht erneut in Mode kam, wundert nicht, denn heutige Autos bringen weitere Probleme mit sich: SUVs, VANs und Kleinbusse verschlechtern die Sichtverhältnisse und häufig bieten moderne Autos nur noch kleine Fensterflächen, sodass speziell auf der Rückbank kaum ein Blick auf die Leinwand geworfen werden kann. Zusätzlich schalten sich viele Autoradios sich nach etwa 30 Minuten ab, wenn die Zündung ausgeschaltet ist. Moderne Radios besitzen Soundprozessoren, wodurch sich eine Zeitverzögerung gegenüber dem ursprünglichen Tonsignal ergeben kann – was insbesondere bei Filmen mit Soundeffekten besonders störend ist.

Das 1950 gegründete Elm Road Triple Drive-in Theatre in Warren, Ohio zählt zu den knapp 400 Überlebenden aus der großen Zeit des US-Autokinos.

Jack Pearce from Boardman, Ohio / CC BY 2.0

Die Faszination Autokino

Aber dennoch fasziniert das Autokino: Früher war es besonders wegen seiner günstigen Eintrittspreise zum einen bei Familien beliebt. Die schätzten auch, dass die Betreiber auf dem Gelände Imbissstände und Spielplätze errichteten. Auch junge Liebespärchen, die bevorzugt die letzte Wagenreihe – die love lane – anfuhren, genossen die Privatsphäre des eigenen Autos. Und obwohl der Kult einbrach, reizen Hollywood-Filme noch heute mit Kuschelszenen in Autokinos.

In Deutschland gibt es heute noch zwölf Autokinos – fünf davon öffnen dauerhaft und sieben saisonal. Und die Pandemie löste ein Comeback aus: Vielerorts entstanden temporäre Autokinos, sogenannte „Popup-Autokinos“, die in vielen Fällen von örtlichen Kinobetreibern ins Leben gerufen wurden. Bundesweit wurden zwischen dem Beginn der Corona-Krise und dem 18. April 2020 mindestens 120 Anträge auf Zuteilung von UKW-Frequenzen für die Tonübertragung in solchen Popup-Autokinos gestellt. Infolge der Covid-19-Pandemie ist die Zahl der Autokinos bis Anfang Juni auf etwa 200 gestiegen.

Und es blieb nicht bei Filmen: Auch Comedy-Programme und Konzerte konnten vom Auto aus verfolgt werden. So löste die Pandemie einen ganz neuen Trend aus, an dem auch viele Jugendliche Gefallen fanden.

Improvisation ist gefragt: temporäres Autokino in Böblingen im Juni 2020

Und wie sieht die Zukunft aus?

Nach all den Höhen und Tiefen der Autokino-Branche bleibt die Frage offen, wie es in Zukunft weitergeht. Obwohl die Idee größtenteils Andrang erfuhr, waren manche Betreiber darauf angewiesen die Ticketpreise relativ hoch zu halten. Denn die Kosten für diese spontane Notlösung mussten gedeckt werden. Oft wurden Plätze verwendet, die normalerweise einen anderen Zweck erfüllen und mittlerweile nicht mehr zur Verfügung stehen.

 So haben mittlerweile die meisten Autokinos in Deutschland wieder geschlossen, da inzwischen auch die normalen Kinos wieder öffnen dürfen. Ob die Corona-Krise die Autokino-Nostalgie aber nur kurz aufleben lassen konnte, wird sich zeigen.

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