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Seltene Erkrankungen

Unfassbar selten: Es gibt eine Krankheit, an der nach aktuellem Kenntnisstand nur drei Personen auf dieser Welt erkrankt sind. Auch wenn dies ein Extremfall ist, gibt es von solchen seltenen Erkrankungen insgesamt sehr viele. Deshalb sind weltweit Millionen Menschen betroffen. Trotzdem sind Medikamente und Therapien bisher genauso rar wie die Krankheiten selbst. Warum ist das immer noch so? Und was kann dagegen unternommen werden?
JFR, 03.03.2022
Untersuchung von DNA-Basen an Großbildschirm

iStock.com, nicolas

Selten und doch häufig: Krankheiten von denen man noch nie etwas gehört hat, gibt es häufiger als gedacht. Eine Krankheit gilt in der Europäischen Union als selten, wenn weniger als fünf von 10.000 Menschen davon betroffen sind. Das klingt erstmal wenig, doch die Liste der seltenen Erkrankungen ist lang. Etwa 7.000 seltene Krankheiten sind bekannt, wobei regelmäßig neue Krankheitsbilder beschrieben werden.

In der Summe sind davon weltweit etwa 350 Millionen Menschen betroffen. Somit erreichen die seltenen Erkrankungen in ihrer Gesamtheit ähnlich hohe Fallzahlen wie manche Volkskrankheiten. Trotzdem werden die seltenen Krankheiten oft unterschätzt und sind zum Teil sehr wenig erforscht. Sie werden daher auch als "Orphan Diseases" und die Betroffenen manchmal als „Waisenkinder der Medizin“ bezeichnet.

Diagnose und Behandlung oft schwierig

Was aber bedeutet das für Menschen, deren Krankheit als selten eingestuft wird? Die Schwierigkeiten fangen häufig schon bei der Diagnose an. Die Symptome der Betroffenen sind meist vielfältig und werden oft mit anderen Krankheitsbildern verwechselt. So kann es im Durchschnitt ganze fünf Jahre dauern, bis die Erkrankten die korrekten Befunde erhalten.

Wenn die Patienten den langen Ärzte-Marathon zur Diagnose gemeistert haben, warten allerdings weitere Schwierigkeiten auf sie: Von den mehreren tausend Krankheiten mit Seltenheitsstatus sind bisher nur etwa 130 mit in der Europäischen Union zugelassenen Medikamenten behandelbar. Dies liegt schlicht daran, dass so wenige dieser Krankheiten bislang erforscht sind. Zum einen sind die Krankheiten wenig bekannt und deswegen seltener Gegenstand einer Studie. Zum anderen sorgt die Seltenheit der Erkrankungen dafür, dass es häufig zu wenig Studienteilnehmer gibt, an denen die Krankheit erforscht werden kann.

Außerdem liegt die Medikamentenentwicklung für seltene Krankheiten oft nicht im Interesse der Pharmaunternehmen, weil sich der Aufwand von einem wirtschaftlichen Standpunkt aus gesehen "nicht lohnt". Es würde schlicht zu wenig Abnehmer für ein Arzneimittel geben. Dies ist auch gleichzeitig der Grund dafür, dass die wenigen Medikamente, die es gibt, extrem teuer sind. Beispielsweise erhielt 2020 das Präparat Zolgensma eine Zulassung gegen die seltene Krankheit Spinale Muskelatrophie. Mit 1,945 Millionen Euro ist dies das bislang teuerste Medikament der Welt.

Genschere CRSPR/CAS9
Weil mindestens 80 Prozent der seltenen Krankheiten genetisch bedingt sind, ist die Gentechnik von enormer Bedeutung für zukünftige Diagnose- und Therapieverfahren.

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Seltene Krankheiten sind meist genetisch bedingt

Die seltenen Krankheiten sind also oft gar nicht behandelbar oder nur mit einem enormen und teuren Aufwand. Das liegt meist daran, dass 80 Prozent dieser Erkrankungen genetisch bedingt sind. Das bedeutet, die meisten Ursachen seltener Erkrankungen lassen sich auf nur eine einzige Gen-Veränderung im Erbgut zurückführen. Dies reicht jedoch schon dafür aus, dass der Bauplan für ein Protein fehlerhaft wird. Das hat zur Folge, dass das Protein entweder gar nicht mehr oder in defekter Form produziert wird und das kann weitreichende Auswirkungen im Körper haben.

Ein Beispiel dafür ist die Krankheit Fibrodysplasia ossificans progressiva, auch bekannt als Steinmann-Syndrom. Diese seltene Krankheit geht mit einer fortschreitenden Verknöcherung von Strukturen des Binde- und Muskelgewebes einher. Den bisher 800 weltweit bekannten Betroffenen wächst sozusagen ein zweites Skelett über das Erste. Eine einzelne Mutation im Gen eines bestimmten Proteins ist dabei verantwortlich für das gesteigerte Knochenwachstum.

ALS ist selten... und dennoch bekannt

Vom Steinmann-Syndrom oder der Spinalen Muskeldystrophie haben die meisten wahrscheinlich noch nie gehört, doch auf der langen Liste der seltenen Erkrankungen finden sich auch einige bekannte Namen. Dazu gehört auch die Krankheit Amyotrophe Lateralsklerose (ALS), die einen schwerwiegenden Muskelabbau bewirkt und an der der Astrophysiker Stephen Hawking litt. Allein die Berühmtheit des Wissenschaftlers führte schon dazu, dass auch seine Krankheit mehr Menschen ein Begriff war.

Die Bekanntheit der Nervenkrankheit gipfelte dann im Sommer 2014 in der "Ice Bucket Challenge". Bei dieser Spendenkampagne, die sich im Internet zu einem regelrechten Hype entwickelte, gingen im Jahr 2014 allein innerhalb einer Augustwoche 41,8 Millionen Dollar bei der ALSA ein, die unter anderem in die Forschung für ein ALS-Medikament investiert werden können. Das Beispiel ALS zeigt: Mit der erhöhten Bekanntheit einer Krankheit, steigt auch die Wahrscheinlichkeit dafür, dass sie mehr erforscht wird und es irgendwann gute Behandlungsmöglichkeiten gibt. Daher ist es sehr wichtig auf die vielen, seltenen Erkrankungen aufmerksam zu machen.

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