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Orlando di Lasso: Die Entwicklung des Madrigals

Wo wirkte di Lasso?

Am Hof der bayerischen Herzöge, wo er als Komponist nicht zuletzt zuständig war für die musikalische Gestaltung der Festivitäten. So fand 1568 in München die Hochzeit des bayerischen Thronfolgers statt. Die wochenlangen Feierlichkeiten verlangten nach einer angemessenen Gestaltung. Wesentlichen Anteil hatte dabei die Hofkapelle unter Orlando di Lasso, eine der besten Europas. Mehrere Fest- und Huldigungsmotetten sowie Madrigalkomödien von Lassos Hand wurden aufgeführt; sie zeugen von der engen kulturellen Bindung zwischen Italien und Deutschland, die sich in seiner Person beispielhaft manifestiert.

Was ist ein Madrigal?

Eine weltliche Komposition mit italienischem Text – in Abgrenzung zur lateinischen geistlichen Motette. In dieser Hinsicht ist das Madrigal dem französischen »Chanson« und dem deutschen »Lied« verwandt. Der Begriff des Madrigals leitet sich vermutlich von dem Wort matricalis (»muttersprachlich«) her. Die Stücke behandeln vornehmlich Themen aus dem Bereich Liebe und Erotik, denen meist Dichtungen Petrarcas und Boccaccios zugrunde liegen. Die Darstellung von unerfüllter, leidvoller Liebe, schwärmerischer Hingabe und praller Erotik fand im Madrigal des 16. Jahrhunderts und insbesondere bei Orlando di Lasso seine vollendetste Ausprägung. Parallel mit dem in der bildenden Kunst um 1530 bis 1550 vollzogenen Wandel von der Renaissance zum Manierismus und der damit verbundenen Steigerung des subjektiven Ausdrucks gewann auch der musikalische Satz in der intensiven Verwendung von Chromatik, Enharmonik und Dissonanzen eine zunehmend individuellere Gestalt. Diese facettenreiche, sehr komplizierte Musik erforderte hohes intellektuelles Niveau.

Wie wurde di Lasso in München aufgenommen?

Mit offenen Armen, denn als Orlando di Lasso 1557 an den Münchner Hof verpflichtet wurde, eilte ihm ein beachtlicher Ruhm voraus, der wesentlich auf seinen 1555 in Venedig gedruckten Madrigalen gründete. Zwar standen diese noch deutlich unter dem Einfluss der Madrigale von Philippe Verdelot (1490–1552) und Adriaen Willaert (um 1490–1562), doch gelang Lasso unter Einbeziehung burlesker Elemente der neapolitanischen »Villanesca« und dialogischer Wendungen eine schöpferische Weiterentwicklung. Die verstärkte Verwendung der Chromatik als Ausdrucksmittel des Affekts findet in den »Prophetiae Sibyllarum« von 1558, die dem bayerischen Herzog gewidmet sind, ihr prominentestes Beispiel. Bereits zu Lebzeiten Lassos sagenumwoben, wurde in ihnen das Madrigal auf eine höchst artifizielle Ebene gehoben, die die Expressivität von Luca Marenzio (1554–1599) und Carlo Gesualdo di Venosa (um 1560–1613) vorwegnahm. Auch in der Folgezeit wandte sich Lasso, ungeachtet seiner zunehmenden Konzentration auf geistliche Werke, immer wieder dem Madrigal zu. Besondere Aufmerksamkeit verdienen die Madrigalkomödien, die in ihrer Verbindung von Schauspielerei und gleichsam »interaktiver« Musik für die Entwicklung der Oper von herausragender Bedeutung waren.

Lässt sich Geistliches mit Weltlichem verbinden?

Ja. Keine leichte Aufgabe, aber von Lasso mit Bravour gemeistert: Ein charakteristisches Beispiele dafür, dass madrigalhafte Motive und Elemente, so genannte Madrigalismen, auch in geistlichen Kompositionen ihren Platz haben, ist die sechsstimmige Motette »In hora ultima« (»In der letzten Stunde«). Höchst anschaulich wird dargestellt, was unmittelbar vor dem Jüngsten Gericht geschehen wird. Kennzeichnend für Lassos kompositorische Vorgehensweise ist, dass er nicht die endzeitliche Gesamtstimmung einfängt, sondern jeden einzelnen Abschnitt in einem kleinen Tonbild behandelt; mit der lautmalerischen Wiedergabe des Lachens gelingt es ihm sogar, eine heitere Note einzubringen. Auch im letzten Werk, den in seinem Todesjahr entstandenen »Lagrime di San Pietro« (»Bußtränen des heiligen Petrus«), wandte sich Lasso noch einmal dem geistlichen Madrigal zu. Unter dem Eindruck der jesuitischen Mystik vertonte er das gleichnamige Gedicht des petrarkistischen Dichters Luigi Tansillo (1510–1568) und schildert Petri Schmerz über seinen Verrat an Christus. Nachtbilder als Symbol der Verlorenheit und innige Lamentos als Ausdruck der Zerknirschtheit und Klage entfalten eine musikalische Dramatik, die programmhafte Züge trägt. In den »Lagrime« offenbart sich Orlando di Lassos eigenes Schicksal. Die glanzvolle Zeit der Münchner Hofkapelle war aufgrund der hohen Verschuldung des Hofes vorbei und nur sein Tod kam Lassos bereits beschlossener Entlassung zuvor.

Wussten Sie, dass …

das selbstbewusste Künstlertum der Renaissance bei di Lasso äußerst praktischen Ausdruck fand? 1555 ließ er sich in Antwerpen als freier Komponist nieder – was bis dahin völlig undenkbar gewesen war – und machte mit Individualdrucken seiner Werke europaweit auf sich aufmerksam.

di Lasso vielen als der produktivste Komponist gilt? Er soll die meisten Noten der Musikgeschichte geschrieben haben.

Regina Wäckinger, die erdverbundene und lebenspraktische Ehefrau di Lassos, für die nötige Bodenhaftung des Künstlers sorgte?

Wie gelangte di Lasso an die Höfe italienischer Renaissancefürsten?

Orlando di Lasso (1532–1594) wurde im flandrischen Mons im heutigen Belgien geboren und wuchs in einfachen Verhältnissen auf. Seine musikalische Laufbahn begann er als Chorknabe, wegen seiner ausgezeichneten Stimme wurde er 1544 von Ferrante Gonzaga, dem Vizekönig von Sizilien, verpflichtet und lernte auf zahlreichen Reisen das Italien der Hochrenaissance kennen.

Nach dem stimmbruchbedingten Ende seiner Sängerkarriere verdingte er sich ab 1549 unter anderem bei Marchese della Terza in Neapel als Komponist und 1551 als Kapellmeister im Lateran in Rom. Nach Umwegen über England, Frankreich und die Niederlande gelangt er an den Hof des bayerischen Herzogs Albrecht V. in München, wo er 1563 das Amt des Kapellmeisters übernimmt. 1570 wurde er von Kaiser Maximilian II. in den Adelsstand erhoben. Orlando di Lasso starb 1594 hochgeehrt in München.

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