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Stottern: Wenn die Worte nicht über die Lippen kommen

Wenn wir aufgeregt sind und mit anderen sprechen, bleiben uns manchmal die Worte im Hals stecken, wir verhaspeln uns oder verschlucken einzelne Silben. Doch manche Menschen haben dieses Problem ständig – sie stottern. Meistens sind es Kinder, die unwillkürlich Laute wiederholen und ihren Redefluss unterbrechen müssen. Bis zum Erwachsenenalter verlieren sie ihre Sprachstörung aber meist wieder. Was aber steckt hinter dem Stottern und wie kann man es behandeln?
ABO, 26.05.2021

Männer sind vom Stottern etwa fünfmal so häufig betroffen wie Frauen.

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Stottern, lat. Balbuties, ist eine Sprechstörung, bei der der Redefluss der Betroffenen häufig unterbrochen ist. In Deutschland stottern rund ein Prozent der Menschen, was etwa 800.000 Betroffenen entspricht. In Europa sind es etwa sieben Millionen Personen. Dabei sind Männer etwa fünfmal so häufig betroffen wie Frauen. Meist handelt es sich bei den Sprechgestörten um Kinder im Alter von zwei bis fünf Jahren – insgesamt leiden etwa fünf Prozent aller Kinder bis zum sechsten Lebensjahr unter einem mehr oder weniger stark ausgeprägten Stottern, vereinzelt ist auch ein späteres Auftreten möglich.

Wenn das Sprechen schwerfällt

Stotternde Menschen wissen zwar, was sie sagen möchten, ihnen fällt es aber oft schwer, flüssig zu reden. Sie verlieren die Kontrolle über ihren Sprachfluss. Die unbeabsichtigte Störung ihres Redeflusses äußert sich dabei meist, indem die Betroffenen Laute, Silben oder Wörtern wiederholen, bevor sie ein ganzes Wort oder einen Satz aussprechen können. Auch langgezogene Laute oder Pausen in der Mitte eines Wortes sind üblich.

Obwohl es manchmal Phasen gibt, in denen das Stottern weniger stark ausgeprägt ist, fällt es diesen Menschen schwer, das Stottern bewusst zu unterdrücken. Deshalb versuchen manche beim Sprechen ihre Arme oder den Körper mitzubewegen, um sich besser ausdrücken zu können, oder fangen an lauter zu sprechen, weil sie sich beim Sprechen so anstrengen müssen. Um flüssiger zu sprechen, atmen manche Betroffene anders, oder flüstern oder singen. Manchmal hilft es den Betroffenen auch, ihre Sätze so umzuformulieren, dass sie die Wörter, die ihnen besonders schwerfallen, ersetzen.

Häufig wird das Stottern zu einer psychischen Belastung, unter der besonders  die jüngsten Betroffenen leiden. Sie schämen sich, ärgern sich über sich selbst, geraten unter Stress und beginnen letztlich,  Gespräche zu vermeiden. In der Folge ziehen sich Stotternde häufig zurück und reduzieren nicht selten ihre sozialen Kontakte.

Auch emotionaler Stress kann zu Stottern auslösen. Trotzdem wird Stottern nicht als psychische Störung, sondern als motorisch bedingte Sprechbehinderung eingestuft.

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Was kann dahinter stecken?

Aber wie kommt es dazu, dass Kinder stottern? Noch immer sind die Ursachen für die Sprechstörung nicht ganz klar. Manchmal können etwa Fehlbildungen der am Sprechen beteiligten Organe, wie dem Kehlkopf und den Stimmbändern, Auslöser fürs Stottern sein. Auch im Zusammenhang mit Erkrankungen wie dem Autismus kann das Stottern auftreten.

Generell gilt, dass die Sprechstörung unabhängig von der Herkunft, vom Bildungsgrad und etwa dem Umgang innerhalb der Familie auftritt. Vermutet wird, dass das Stottern in vielen Fällen genetisch veranlagt ist und bei dieser Veranlagung die Wahrscheinlichkeit erhöht ist, dass sich im Kindesalter eine Sprechstörung entwickelt. Ein Indiz dafür ist, dass das Stottern oft familiär gehäuft auftritt: Stotternde Menschen haben im Vergleich zu nicht stotternden etwa dreimal häufiger Verwandte, die ebenfalls stottern, und Jungen stottern wesentlich häufiger als Mädchen.

Forscher vermuten, dass die Wahrscheinlichkeit des Stotterns zu 70 Prozent genetisch bedingt ist, während andere Einflüsse nur etwa 30 Prozent beitragen. So kann die Neigung zum Stottern vermutlich auch verstärkt werden, wenn besondere Ereignisse im Leben des Kindes passieren. Ist das Kind zum Beispiel vielen Stresssituationen ausgesetzt, wird es von anderen Kindern gehänselt oder trennen sich die Eltern, so dass es dadurch verängstigt oder dauerhaft nervös wird, kann das auch die Sprachentwicklung beeinflussen und ein Stottern begünstigen.

Bei manchen Kindern kann auch eine besonders schnelle Sprachentwicklung eine Rolle spielen. Denn im Alter von zwei bis fünf Jahren durchlaufen die meisten Kinder eine Phase, in der das komplexes Zusammenspiel aus Atmung, Stimmgebung und Aussprache vom Gehirn noch nicht koordiniert werden kann. Zudem müssen die Kinder erst lernen, das Gedachte in Worte umzusetzen. Um das zu üben, wiederholen Kinder bestimmte Worte. Und manchmal kann sich daraus dann das Stottern entwickeln.

Was kann man dagegen tun?

Bei etwa drei Vierteln der Kinder verliert sich die Störung meist innerhalb von zwei Jahren von selbst. Mädchen verlieren sie dabei mit größerer Wahrscheinlichkeit wieder. In einigen Fällen kann sich die Sprechstörung aber auch automatisieren und bleibt dann umso wahrscheinlicher bestehen, je länger sie andauert. Das dauerhafte Stottern verschwindet dann im Laufe des Lebens nur noch selten, da es kaum noch korrigierbar ist.

Um einem Stottern im Erwachsenenalter vorzubeugen, kann eine Therapie helfen. Auch für Kinder, die psychisch stark unter ihrem Stottern leiden, kann das eine gute Möglichkeit sein. Bevor die Eltern sich für eine Therapie entscheiden, untersucht meist der Kinderarzt die Betroffenen. Im Anschluss prüfen Logopäden oder Sprachtherapeuten die Art des Stotterns und begleitende Verhaltensweisen.

Bei der Therapie selbst versuchen die Experten dann zunächst, die Sprechängste abzubauen und die Lust am Sprechen zu fördern. Das funktioniert meist mit Sprach- und Bewegungsspielen, bei denen beispielsweise rhythmische Verse und Liedertexte gesprochen werden, aber auch mit Entspannungs- und Dialogübungen. Zudem lernen die Kinder, wie sie das Stottern kontrollieren, sich bei Sprechstörungen entspannen sowie Gesprächssituationen ruhig bewältigen können. Durch die Therapie fangen viele Kinder an, sich weniger für ihre Sprachstörung zu schämen und selbstbewusster zu werden. Dadurch verschwindet das Stottern oft automatisch.

Für stotternde Erwachsene kann eine Therapie zwar das Stottern in der Regel nicht aufheben, aber zumindest helfen, dass sie besser im Alltag zurechtkommen. Eine spezielle Methode der Stottertherapie für Erwachsene ist das „Fluency Shaping“, mit der die Sprechweise der Patienten so verändert wird, dass der Betroffene möglichst selten stottert. Dazu gehört zum Beispiel, dass sie lernen, Vokale zu dehnen.

Außerdem lernen die Betroffenen bei der Behandlung, ihre Atmung zu kontrollieren und die Angst vor für sie schwierigen Worte zu verlieren, um dadurch selbstbewusster zu werden und seltener in aufregenden Situationen zu stottern. Begleitend zu einer Therapie beim Experten gibt es auch Computerprogramme, mit denen Betroffene sprechen üben können.

Bei Kindern versuchen die Therapeuten meist zunächst, die Sprechängste abzubauen und die Lust am Sprechen zu fördern.

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Begegnungen mit Stotternden

Zusätzlich zur Therapie können auch die Familie und andere Mitmenschen Betroffene unterstützen und ihnen die Angst vorm Sprechen nehmen. Dabei gilt vor allem, dass man die stotternden Kinder und Erwachsenen niemals für ihre gestörtes Sprechen verspotten, sondern immer ernst nehmen sollte. Dazu zählt zum Beispiel, dass man ruhig und geduldig zuhört, die Person ausreden lässt und dass man Augenkontakt hält, um Aufmerksamkeit anzuzeigen.

Abzuraten ist hingegen davon, dass man für die Betroffenen einen Satz beendet oder weiterspricht, wenn sie Sprachschwierigkeiten haben. Auch Ratschläge, wie "denk erst nach" oder "sprich ruhig langsam", verunsichern stotternde Menschen eher, als dass sie nutzen.

Um den Alltag der Betroffenen einfacher zu gestalten, können die Betroffenen selbst oder bei Kindern auch deren Eltern das Umfeld über die Sprechstörung informieren und ihnen einen vernünftigen Umgang damit erklären. Da es sich beim Stottern um eine rechtlich anerkannte Behinderung handelt, bestehen außerdem für stotternde Schülerinnen und Schüler Rechtsansprüche auf einen Nachteilsausgleich. Diese oft kaum bekannten Regelungen sollen Chancengleichheit in Schule, Studium und Berufsausbildung gewährleisten, etwa in dem mehr Zeit in mündlichen Prüfungen gewährt wird oder Alternativen angeboten werden.

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