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Deutsche Einheit: So weit ist die Gleichberechtigung in West und Ost

Auch 33 Jahre nach der Wiedervereinigung bestehen zwischen Ost und West immer noch zahlreiche Gefälle, unter anderem hinsichtlich der Gleichstellung von Mann und Frau. In welchem Landesteil sind die Geschlechter am ehesten gleichberechtigt? Wo fällt die Gender Pay Gap geringer aus? Und was könnten wir tun, um sowohl die Unterschiede zwischen Mann und Frau als auch die zwischen Ost und West noch mehr auszubügeln?
AMA, 04.10.2023
Symbolbild Gleichstelliung im wiedervereinigten Deutschland

© Amparo Garcia, GettyImages

Rund 40 Jahre lang – von 1949 bis 1989/90 – entwickelten sich auf deutschem Gebiet zwei unterschiedliche Staaten: eine demokratische Bundesrepublik im Westen und eine kommunistische Diktatur im Osten, die aus der sowjetischen Besatzungszone hervorgegangen war. Diese auseinandergedrifteten Landesteile nach dem Fall der Mauer 1989 wieder zu einem einzigen zu machen, war äußerst komplex.

Unter anderem mussten unterschiedliche Währungen, Gesetzgebungen und Wirtschaftsstrukturen, aber auch politische und soziale Systeme wieder unter eine Hut gebracht werden. Kein Wunder also, dass in manchen Bereichen auch heute noch Unterschiede zwischen Ost und West spürbar sind – unter anderem in puncto Gleichstellung von Mann und Frau.

Ost schlägt West – aber warum?

Die Hans-Böckler-Stiftung hat nun untersucht, wie weit die Gleichberechtigung in Ost und West seit der Wiedervereinigung fortgeschritten ist und festgestellt, dass der Osten aktuell bei 15 von 22 Gleichstellungsindikatoren vorneliegt. Unter anderem klaffen dort Arbeitszeiten, Bezahlung und Absicherung im Alter nicht so weit auseinander wie im Westen. Das ist auch historisch bedingt, denn in der DDR hatten Frauen einst eine komplett andere Rolle als zur selben Zeit in der BRD.

Während im Westen ein traditionelles Rollenbild herrschte, bei dem der Mann Vollzeit arbeiten ging und die Frau zu Hause blieb, um sich um Kinder und Haushalt zu kümmern, waren Frauen in Ostdeutschland fest in der Berufstätigkeit verwurzelt. Kurz vor der Wiedervereinigung gingen dort 90 Prozent aller Frauen arbeiten. Um Kinder und Haushalt kümmerten sie sich ebenso, aber mit viel staatlicher Hilfe. Dazu gehörte etwa ein sogenanntes „Babyjahr“ – ein einjähriger bezahlter Erziehungsurlaub nach der Geburt eines Kindes – und ein umfangreiches Angebot an Ganztagsbetreuung. Außerdem stand berufstätigen Frauen ein sogenannter Haushaltstag pro Woche zu, an dem sie zwar weiterbezahlt wurden, aber sich statt um die Arbeit im Betrieb um das Heim kümmern konnten.

Teilzeitfalle im Westen

Unter anderem diese historischen Begebenheiten haben dafür gesorgt, dass heutzutage mehr ost- als westdeutsche Frauen arbeiten gehen. Im Westen sind es 71,5 Prozent, im Osten 74 Prozent, wie die Hans-Böckler-Stiftung ermittelt hat. Unter den Männern liegen die Quoten bei 79,4 beziehungsweise 78,5 Prozent. Doch im Osten sind nicht nur mehr Frauen berufstätig, sie arbeiten im Schnitt auch mehr: 33,9 Stunden pro Woche im Vergleich zu 30 Stunden im Westen.

Während im Westen etwa jede zweite Frau eine Teilzeitstelle hat, ist es im Osten nur jede Dritte. Das liegt auch daran, dass die Ganztagsbetreuung in Ostdeutschland nach wie vor deutlich besser ausgebaut ist und Frauen es sich daher eher erlauben können, trotz Kindern Vollzeit arbeiten zu gehen. In Zahlen ausgedrückt werden in Ostdeutschland 40,8 Prozent der Kinder unter drei Jahren und 73,4 Prozent der Drei- bis Sechsjährigen ganztags außer Haus betreut. Im Westen sind es laut Hans-Böckler-Stiftung hingegen nur 14,8 beziehungsweise 41,4 Prozent – und das, obwohl der Bedarf nach Ganztagsbetreuung dort mindestens genauso hoch wäre.

Niedrigere Löhne und weniger Rente

Dass westdeutsche Frauen weniger Stunden pro Woche arbeiten gehen, hat auch Folgen für die Höhe ihres Einkommens und ihre Absicherung im Alter. Die Hans-Böckler-Stiftung hat ermittelt, dass Frauen in Westdeutschland im Schnitt 18,9 Prozent weniger verdienen als Männer. Im Osten liegt der Unterschied gerade einmal bei 6,9 Prozent. Laut Studienautoren hängt das aber auch damit zusammen, dass die Stundenlöhne im Osten generell niedriger sind als im Westen und der Unterschied zu den Männern daher geringer ausfällt. Das niedrigere Lohnniveau ist unter anderem dadurch bedingt, dass im Osten weniger Unternehmen der Tarifbindung unterliegen und daher geringere Löhne zahlen.

So oder so bedeutet ein niedrigeres Einkommen aber eine geringere Rentensumme und somit eine schlechtere Absicherung im Alter. Laut Hans-Böckler-Stiftung trifft dies Frauen in Westdeutschland besonders hart. Während das Rentenniveau ostdeutscher Frauen 16 Prozentpunkte unter dem der Männer liegt, klaffen im Westen bereits 39 Prozentpunkte zwischen den Geschlechtern. Das macht Frauen im Alter abhängig und deutlich weniger selbstbestimmt als Männer.

„Die Ergebnisse unserer Studie belegen weiterhin klar erkennbare Geschlechterungleichheiten zu Ungunsten von Frauen. Meist sind die etwas ausgeprägter in Westdeutschland und etwas abgeschwächter in Ostdeutschland“, fasst Bettina Kohlrausch von der Hans-Böckler-Stiftung zusammen. Eine wahre Gleichstellung von Mann und Frau ist somit aktuell weder in West noch in Ost erreicht.

Was können wir dagegen tun?

Was also könnten wir tun, um sowohl die Unterschiede zwischen den Geschlechtern als auch die zwischen Ost und West zu verringern? Die Studienautoren haben dafür verschiedene Ideen. Eine besteht darin, Frauen den Weg aus der Teilzeitfalle zu erleichtern, indem für Männer bessere Möglichkeiten geschaffen werden, sich gleichwertig an der Care-Arbeit zu Hause zu beteiligen. Aktuell scheitert dieses Vorhaben unter anderem daran, dass Frauen aufgrund ihres oft niedrigeren Einkommens häufig diejenigen sind, die einen Großteil der Elternzeit nehmen. Es bräuchte also Wege, die Elternzeit gerechter auf beide Partner aufzuteilen, damit keiner von ihnen dauerhaft in die Teilzeit rutscht.

Auch der Ausbau der Kindertagesbetreuung in Westdeutschland wäre laut Studienautoren ein Schlüssel für mehr Gleichberechtigung. Frauen – die nach wie vor vorrangig die Kindererziehung übernehmen – könnten sich ihre Zeit dann freier einteilen und mehr in ihre Karriere stecken, so sie das denn möchten. Den Frauen in Ostdeutschland wäre hingegen geholfen, wenn die dortigen Unternehmen einer stärkeren Tarifbindung unterliegen und die Einkommen somit steigen. Und auch bei den Arbeitsbedingungen gibt es noch einiges an Spielraum. Gerade für Eltern, die Kleinkinder betreuen, könnten flexiblere Arbeitszeiten und die verstärkte Möglichkeit für Homeoffice in ganz Deutschland einiges an Abhilfe schaffen.

Es gibt also noch jede Menge zu tun, um wahre Gleichberechtigung in Deutschland herzustellen. Auch wenn der Osten aktuell ein wenig weiter in diesen Belangen ist, so ist selbst er immer noch nicht weit genug.

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