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Ein Kanzler und seine Krisen
1961 und 1965 hatte Willy Brandt bereits vergeblich für das Kanzleramt kandidiert, doch 1969 verabredete der bisherige Außenminister bereits am Abend der Bundestagswahlen vor laufenden Kameras die Koalition der SPD mit der FDP und damit seinen Aufstieg ins Kanzleramt. So erfolgte am 20. Oktober 1969 nach 20 Jahren Regierungsverantwortung der CDU der Machtwechsel durch die sozial-liberale Koalition mit Brandt als viertem Kanzler der Bundesrepublik. Nur durch eine knappe gemeinsame Mehrheit konnte die Koalition regieren, die Opposition war stark.
Vermittler zwischen Ost und West
Schon früh hatte sich Brandt, der am 18. Dezember 1913 als Herbert Ernst Karl Frahm in Lübeck geboren wurde, SPD-nahen Gruppierungen angeschlossen. Zu Beginn des nationalsozialistischen Regimes in Deutschland emigrierte er nach Norwegen und nahm die norwegische Staatsangehörigkeit an. Erst nach Kriegsende kehrte er zurück, ließ sich 1948 wieder einbürgern und änderte 1949 seinen Namen in "Willy Brandt", seinen Schriftstellernamen.
Nach zehn Jahren als Regierender Bürgermeister Westberlins und zwei gescheiterten Kanzlerkandidaturen beteiligte sich Brandt 1966 innerhalb der Großen Koalition als Außenminister Kiesingers, bevor er selbst zum Kanzler gekürt wurde. Brandt konzentrierte sich auf die deutsche Außenpolitik. Mit seiner in Westdeutschland umstrittenen "neuen Ostpolitik", für die er 1971 sogar den Friedensnobelpreis erhielt und vom amerikanischen Nachrichtenmagazin Time zum "Mann des Jahres" gekürt wurde, veränderte Brandt das angespannte Verhältnis zur DDR und zu den Ostblockstaaten grundlegend. Brandts innenpolitisches Engagement stand weit hinter seiner erfolgreichen Außenpolitik zurück.
Angekündigte Reformen wurden, mit Ausnahmen wie etwa dem 1972 verabschiedeten Betriebsverfassungsgesetz, das die innerbetriebliche Mitbestimmung und Arbeitnehmerrechte stärkte, zumeist nicht durchgesetzt. Wirtschaftspolitisch musste sich Brandts Regierung mit der überhitzten Konjunktur auseinandersetzen. Die Verteuerung des Erdöls gegen Ende 1973 sowie der Zusammenbruch des Weltwährungssystems löste eine Wirtschaftskrise aus, die insbesondere zu einem Anschnellen der Arbeitslosenzahlen führte.